Dr. Phil. Monika Eichenauer

Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1


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veränderte Hirnstrukturen: die der Stressverarbeitung. Zu diesem Themenkreis von Gewalt und deren Folgen über Generationen hinweg, könnten die Psychologischen Psychotherapeuten einen eigenen Fachbereich aufgrund der Unterschiedlichkeit der Gewaltformen initiieren. Anhand von Schilderungen unserer Patienten und Patientinnen und wie sie heute darunter leiden und welche Störungen und Krankheiten sie infolgedessen ausbilden, wären schon Bände von Büchern zu füllen. Pointiert hat dies auch Auswirkungen auf die Haltung im Erwachsenenalter, die eigene Meinung kund zu tun: wo der Kindermund zu Gewalt und ungerechter Unterordnung schweigen muss, schweigt später der gesetzlich mündige Bürger.

      Im ersten Quartal 2010 überschlagen sich Nachrichten, die über Missbrauch, Vergewaltigung und Gewalt in katholischen Einrichtungen und anderen Schulen und Heimen berichten, die über Jahrzehnte unterirdisch gespürte Beziehungsverhältnisse, wie der Mensch zum Menschen steht, offen legen! Zwar sprechen nun die Opfer, aber wie stehen die Familien zu ihnen, den Opfern?

      Nebenbei bemerkt, hat nun die Staatsanwaltschaft in Dortmund häusliche Gewalt als ein Problemfeld erkannt! Weiter wäre zu bemerken, dass Frauen in Dortmund wie gleichfalls bundesweit bereits vor cirka 30 Jahren den Verein „Frauen helfen Frauen“ gründeten und ein Frauenhaus initiierten, das sie mittels Spenden und unentgeltlicher Arbeit aufbauten. Es müssen also Jahrzehnte ins Land gehen, bevor sich etwas gesellschaftlich und politisch in einem Problembereich tut. In dem Bericht heißt es: „Die beiläufige Ohrfeige, immer wieder Schläge und Tritte, Vergewaltigung und fast Totschlag – der Täter: Der Ehemann. Die Staatsanwaltschaft spricht von häuslicher Gewalt und hat ein weites Problemfeld mit vielen Unbekannten erkannt. ‚Vor allem, weil bei Familien immer auch die Kinder betroffen sind. Selbst, wenn sie nicht das Ziel der Gewalt sind. Aber sie schauen zu’, sagt die leitende Oberstaatsanwältin Petra Hermes.“ (Ruhr Nachrichten, 28. November 2009: „Mann schlägt Frau...“) Nun liefert die Staatsanwaltschaft Zahlen: 2474 Verfahren (369 mit Anklagen oder Strafbefehlen). „Doch die Verfahren klammern die tatsächliche häusliche Gewalt aus. Genau hier liegt das Problem. Hermes: „Die Frauen rufen die Polizei. Ist die vor Ort, sagen sie nichts mehr.“ (Ebda.) Um hier Abhilfe zu schaffen, wurden zwei Mitarbeiter eingestellt, die mit anderen Stellen eng zusammenarbeiten, damit sie die „Frauen überzeugen, dass ihnen geholfen werden kann.“ (Ebda.) Die Frauen sollen bei ihren belastenden Aussagen bleiben und sollen glauben, keine Angst mehr haben (zu) müssen.“ (Ebda.)

      Ein schwieriges Thema, zumal die Angst sich weit über die Schläge des Mannes hinaus auf ihr weiteres Leben erstreckt: was soll werden, wenn der Mann bestraft ist? Wie können Frauen und Kinder mit dieser Erfahrung leben, wer steht ihnen bei in den nachfolgenden Jahrzehnten, in denen sie psychisch mit der Verarbeitung der Schläge des Mannes fertig werden müssen? Wie können sie sich schützen und welche Art von Beziehungen werden folgen, die maßgeblich ihr Leben gestalten. Allein für diesen Problemkreis und deren Auswirkungen in der Gesellschaft, so behaupte ich, gibt es zu wenig zugelassene Psychologische Psychotherapeuten in Deutschland. Genau genommen, existiert Psychotherapie, weil Verletzungen der Seele in ungezählter Form wie Strandgut aus der Gesellschaft in die psychotherapeutischen Praxen geschwemmt werden. Menschen kommen mit dem Leben, das jeden Tag aufs Neue kulturell zelebriert wird, eben nicht klar. Alle bemühen sich, leisten und passen sich an, um am Ende festzustellen, dass sie mit bestimmten Dingen eben nicht klar gekommen sind, von denen immer allgemein angenommen wurde, dass „die anderen“ damit aber klarkommen und man selbst deshalb damit auch klarkommen muss. Wissenschaft und Forschung untersuchen nachträglich, welche Bedingungen vorliegen, die zu psychischen und seelischen und nun auch noch genetischen Schäden führen. Selbst dann, wenn die Ursachen aufgezeigt sind, verändert sich deshalb noch lange nichts.

      Die klassische Medizin behandelt mittels des Descartes’schen Paradigma blaue Flecke, gipst Knochenbrüche zusammen, versorgt Wunden aller Art, sammelt messbare Parameter im Körper, ohne groß danach zu fragen, woher sie stammen und wie sie über das medizinisch-körperliche Erklärungsmodell hinaus erklärt werden könnten. Seelische und körperliche Verletzungen, bei denen solche Symptome nicht mehr zu sehen sind und über deren psychischen und seelischen Ursachen und Zusammenhängen inzwischen viele Jahre lang „Gras“ gewachsen ist, finden sich heute nicht wieder zuerkennen in medizinischen Diagnosen, die die Geschichte des einzelnen Menschen namenlos codiert und anonym kategorisiert, geschichts- und erkenntnislos für Medizin und Individuum ins so genannte individuelle und kulturelle „Unbewusste“ zurückfallen lassen. Nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Dann kann auch alles so bleiben wie es war und ist. Bei dem cartesianischen Ausgangspunkt der Medizin – auf den jeder naturwissenschaftliche Mediziner stolz ist und sich von Kollegen, die anderer Meinung und anderen, nämlich geisteswissenschaftlichen Geistes, sind, abwendet! – wundert es nicht, dass jährlich immer mehr Diagnosen in Form von Differentialdiagnosen auf rein körperlicher Ebene hinzutreten, ohne das adäquate Behandlungen im Sinne der Heilung von Patienten angeboten werden können. Differenzierung bis zur Erkenntnislosigkeit. Die klassische Medizin wird und ist Zulieferer der Pharmazie, die für Symptome Mittel ersinnt, um sie unsichtbar und nicht fühlbar zu machen, sprich, Menschen dopt. Der Mensch, seine Psyche und Seele werden nochmals zurückgedrängt: Damit soll er nun endgültig glauben, dass das, worunter er leidet, nichts mit seinem Leben in der Gesellschaft, in der er lebt, zu tun hat. Lebensgeschichte und Vergangenheit werden ebenso bedeutungslos wie der einzelne Mensch. Was Menschen zu ihren Krankheiten fühlen, wird als nicht interessant im medizinischen und gesellschaftlichen Leben berücksichtigt. Es sei denn, man verarbeitet Leiden in der Literatur, schreibt einen Roman, den man auf Gefühle, Befindlichkeiten, Gedanken, Erlebnisformen oder Weisheit fokussiert. Hier gäbe es viele sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen und daher unterlasse ich es aus diesem Grunde. Diese persönlichen Mitteilungen in Romanen werden als Kunst oder Ausnahmeerscheinungen, aber nicht als gesellschaftlich relevante gültige Diagnostik eingestuft und bleiben als solche vor dem Gesundheitswesen stehen. Damit, ohne nun die eigentliche Intention von Autoren zu beurteilen, wird Geld verdient. Und/oder ein weiterer Zweig von vermeintlicher Konkurrenz zu Psychoanalyse und Psychotherapie initiiert, wie es bezüglich des Romans „Die Schopenhauer-Kur“ von Irvin D. Yalom in Bezug auf Philosophische Beratungspraxen heißt.

      Ratio zählt, Gefühl ist unwissenschaftlich und vor allen Dingen „weiblich“ und nicht wirklich ernst zu nehmen, wenn es um gesellschaftliche und wirtschaftliche Belange geht.

      Gefühl ist Privatsache. Man benutzt es zum Geldverdienen, aber nicht um die Welt besser werden zu lassen, indem man sie bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen gleichrangig zu anderen Entscheidungsfaktoren einbezieht.

      Krankengeschichte ist Symptom- und Parametergeschichte, in der Menschen sich weder wieder erkennen noch aus der heraus sie sich selbst begreifen oder Zusammenhänge zwischen sich, ihrem Erleb(t)en und der Gesellschaft stiften können. Das ist Arztsache! Und der Arzt vergisst individuelle Gefühle seiner Patienten. So weiß der Mensch im Laufe seines Lebens immer weniger von sich selbst, statt mehr. In Familien wird von Älteren totgeschwiegen, was notwendigerweise gesagt werden sollte, damit es den jüngeren wohlergehe. Irgendwann erzählen Menschen ihr Leben entlang von Diagnosen, Symptomen und Befunden – dem Geländer des Descartes’schen Paradigmas in der Klassischen Medizin.

      Dennoch gibt es Menschen, die sich für Zusammenhänge interessieren und ihre Einsichten wie Erkenntnisse unter einem anderen Blickwinkel, und ohne ihre Gefühle zu verstecken, mitteilen. Vergangenheit und Lebensgeschichte haben viele Dimensionen. Ebenso viele wie Mittel, diese persönliche Geschichte zu verdecken. Insofern gäbe es eine Vielzahl von Vergangenheitsbewältigungsdimensionen. Die gängigste ist, immer wieder das gleiche Muster von emotionalem Erleben mit allen Konsequenzen leben zu müssen, weil sie nicht gewusst und bewusst wird. Eine andere Dimension von Vergangenheitsbewusstsein bietet die Folgende:

      Thomas Buergenthal, heute Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, hat als kleiner Junge mit eigenen Augen gesehen und erlebt, was im KZ geschah. Er kann sich bis heute nicht mit derartigen Bildern konfrontieren. Er kann nicht hinschauen, weil sie die Gefühle von damals wecken, wie er in einem Fernsehinterview anlässlich der Vorstellung seines Buches „Ein Glückskind. Wie ein kleiner Junge zwei Ghettos, Auschwitz und den Todesmarsch überlebte und ein zweites Leben fand“ unter starker emotionaler Betroffenheit mitteilte. Es habe