Ed Belser

Die Frauen von Schloss Blackhill


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Osgar durchgelassen wurden. Der letzte der Wächter öffnete ihnen die Tür zu seinem Arbeitsraum. Hinter dem riesigen Tisch, vor sich mehrere Stapel mit dicken Papieren, leeren und vollgeschriebenen, war Osgar kaum sichtbar. In der Hand hielt er eine Feder, tauchte sie in das Tintenfass, schaute kurz zwischen den Papieren hervor, sagte „gleich“ und schrieb weiter.

      Das gab den beiden Zeit, sich im Raum umzuschauen. Die schmalen Fenster spendeten wenig Licht, daher brannte eine Lampe auf dem Tisch des Generals. An der Wand hingen vollbeschriebene Listen mit Namen und große, aus einzelnen Teilen zusammengesetzte Karten, die offensichtlich das Schloss und seine Umgebung darstellten. In stets kleinerem Maßstab befanden sich dort auch Karten der weiteren Landesteile sowie eine von Schottland und England. Davor stand ein großer drehbarer Globus auf einem Holzgestell.

      Osgar schaute auf. Er war viel jünger, als sie ihn in Erinnerung hatten, kaum älter als Humph. „Ich bin Osgar MacAreagh. Ronald ist der Bruder meines Vaters. Setzt euch!“ Er wies ihnen die Stühle vor seinem Tisch zu. „Solange ihr hier seid, erhaltet ihr die Befehle von mir, klar? Hat euch das Schloss gefallen?“ Offensichtlich wusste er von ihrem Rundgang.

      „Sehr imposant“, antwortete Humph, „und sehr gut befestigt.“

      „Ronald glaubt, dass wir euch brauchen. Offensichtlich lernt man in Frankreich mehr als hier. Da ihr nun einmal da seid, will ich euch sinnvoll einsetzen. Wir erwarten die Lieferungen der Gewehre und der Säbel. Ihr werdet die Leute ausbilden, in Zusammenarbeit mit den Chieftains.“ Er erhob sich und ging auf eine der Landkarten zu. „Hier sind ihre Gebiete. Beginnt bei Ramsay.“ Sein Zeigefinger fuhr hin und her. „Zu Dougal müsst ihr nicht.“ Er setzte sich wieder. „In der Zwischenzeit werde ich euch einige Soldaten schicken, mit denen ihr beginnen könnt. Im Übrigen will ich nicht, dass ihr in der Gegend herumspaziert. Bleibt auf dem Schloss oder bei euren Soldaten. Verstanden?“

      Cremor und Humph nickten schweigend.

      „Euren Sold kriegt ihr wöchentlich vom Zahlmeister. Ihr könnt euch außerdem je zwei Ordonnanzen auswählen. Einigt euch mit ihren Offizieren. Seht zu, dass man euch nicht die Dümmsten abgibt. Noch etwas ... “ Osgar schaute sie drohend an. „Steigt hier nicht den Frauen nach. Wenn ihr ein Mädchen braucht, sprecht mit dem Verwalter. Er kennt sich aus.“

      Humph grinste säuerlich.

      Als sie hinausgingen sah sich Humph um, und als niemand in Hörweite war, meinte er zu Cremor: „Was für ein Ekel, dieser selbst ernannte General. Die einzige Qualifikation für seinen Posten ist offensichtlich seine Verwandtschaft mit MacAreagh.“

      „Wir sollten ihn nicht unterschätzen“, entgegnete Cremor.

      Beinahe täglich trafen neue Lieferungen von Säbeln und Gewehren aus Frankreich ein. Es waren stets nur wenige davon, denn sie wurden von den Schmuggelschiffen gleich an vereinbarten Landeplätzen an der Küste auf verschiedene Wagen verladen. Die als Händler und Bauern getarnten Leute von MacAreagh verbargen die Waffen unter Getreidesäcken oder versenkten sie in doppelten Böden ihrer Fuhrwerke. Ein Aufseher überwachte die Verladung und hielt Ausschau nach etwaigen Patrouillen der Engländer.

      Auf verschiedenen Wegen fuhren die Wagen teilweise direkt zum Schloss Blackhill, oder die Waren wurden auf Pferde verteilt und kamen über den Pass zur Rückseite des Schlosses. Nicht alle schafften den ganzen Weg, einige mussten Pferd und Wagen samt Ladung aufgeben und Reißaus nehmen, wenn sie von englischen Soldaten entdeckt wurden.

      Humph nahm die Lieferungen jeweils zusammen mit dem Zeughausverwalter entgegen. Mit der Zeit sammelte sich ein rechtes Arsenal an. „Die Franzosen scheinen bei uns ihr Gerümpel zu entsorgen“, war Humphs Kommentar. Viele der Gewehre waren beschädigt oder es fehlten Teile, der Stahl der Säbel schien nicht erste Wahl zu sein, etliche waren rostbefallen. So beauftragte Humph den Waffenschmied, die verwendbaren Teile neu zusammenzusetzen, bevor er sie an die Soldaten weitergeben ließ.

      8

      Lady Margarets Tagesablauf war wohlgeregelt. Für alles war jemand zuständig, und alle ihre Bedientesten hatten den Ehrgeiz, ihre Aufgaben perfekt zu erledigen, und wehe, Margaret wollte einmal selbst Hand anlegen. Wenn sie in der Küche auftauchte, entstand eine helle Aufregung, und sie zog es rasch wieder vor, die Verbindung zwischen dem, was auf dem Tisch stand, und der dafür nötigen Beschaffung und Zubereitung dem Oberbutler zu überlassen. Wollte sie im Garten Blumen pflücken, stand sofort ein Gärtner da und fragte sie, welche sie denn gerne hätte, und trug sie die Blumen selbst ins Haus, wurden sie ihr sofort abgenommen — sie durfte bestenfalls noch die Vase und den Standort auswählen. Ihre Zofen geisterten auch dauern herum, versuchten, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Sie fühlte sich wie in einem Gefängnis, und ein solches war es auch, unauffällig aus dem Hintergrund gesteuert von ihrem eigenen Mann. Er war es denn auch gewesen, der den Oberbutler persönlich bestimmt hatte. Ronald hatte Margaret rundum abgeschirmt, um sich während seiner häufigen Abwesenheiten von Schloss Blackhill sicher zu sein, dass Margaret, wie er sagte, wohl behütet sei. In der Tat befürchtete er, sie könnte ein zu starkes Eigenleben führen und mit ihrer Schönheit die Aufmerksamkeit irgendwelcher Nebenbuhler finden. Außerdem kam ihre Tochter ins heiratsfähige Alter und wurde damit zum wichtigsten Gut, das es abzuschirmen galt.

      Er spürte sehr wohl, dass Margaret ihn nie geliebt hatte, auch wenn sie ihm Shauna gebar. Sein Vater hatte ihn und Margaret, Tochter eines benachbarten Clan-Chiefs, zusammengeführt. Ronald konnte dazu wenigstens nicken, während Margaret erst gar nicht gefragt wurde. Margaret war seit früher Kindheit von Privatlehrern ausgebildet worden, sie sprach außer Gälisch und Englisch auch Französisch. Im Laufe der Zeit hatte sie sich eine umfangreiche Bibliothek eingerichtet. Dort, vom Wissen ihrer Vorfahren, von den Entdeckern anderer Welten, von den alten Gedanken der letzten paar Tausend Jahre und von den neuen der letzten paar Hundert, bezog sie ihr Weltbild. Ihre Gegenwart waren Shauna und Arbella, ihre persönliche Zofe. Sie war ihre Vertraute und eine gute Freundin von Shauna, kaum ein paar Jahre älter als diese.

      Für ihre Bücher hatte Ronald nichts übrig, und die Dinge, die sie sich anschaffte, fand er überflüssig. Seine Währung bestand aus Land, Rindern, Pferden und Soldaten — in dieser Reihenfolge. Geld sah er selten, dafür war der Zahlmeister zuständig. Dieser hatte auch den Auftrag, Margaret alle von ihr gewünschten Mittel zur Verfügung zu stellen. Was sie damit anfing, kümmerte Ronald nicht. Ihr Zusammenleben beschränkte sich auf gelegentliche gemeinsame Mahlzeiten oder auf Anlässe, an denen Ronald Gastgeber war und die Frauen der eingeladenen Gäste auch dabei waren. Die Letzteren waren ihm zuwider und zu Ersteren trieb es ihn selten. Viel lieber war er mit seinen Soldaten unterwegs, von Tal zu Tal, sie wussten meistens gar nicht, warum und wohin, aber sie folgten ihm, weil sie es so gewohnt waren und weil sie sonst nichts zu tun gehabt hätten. Stets loteten sie ihre Grenzen aus, bereit für jedes Scharmützel, die Hand stets am Säbelknauf, bereit, jeden in seine Schranken zu weisen, aber auch bereit, jedes freilaufende Vieh ihrer eigenen Herden einzuverleiben.

      Die Villa lag innerhalb eines abgeschlossenen Gebietes auf dem Schlossareal, wo sich auch die Häuser der anderen Offiziere und Höflinge befanden. Es war natürlich die prachtvollste von allen. Lady Margaret und Shauna spielten aufgrund ihrer Stellung eine Sonderrolle. Obwohl man sie mochte, zog man den Verkehr mit den Ranggleichen vor. Das übertrug sich auch auf die Kinder, die immer ein bisschen gehemmt waren, sobald Shauna dabei war. Wohl gab es unter den Damen hier und da gegenseitige Einladungen, aber die waren eher formeller Art, sobald die Frau des Clan-Chiefs mit eingeladen war. Anlässe mit den Männern und gar mit MacAreagh waren eher selten.

      Margaret hatte mit der Zeit aufgehört, selbst Einladungen auszusprechen. Sie hielt sich lieber in ihrer Bibliothek auf. Ihr Hunger nach Wissen und demzufolge nach noch mehr Büchern blieb ungestillt. Sie war die Lehrerin ihrer Tochter, die sie allein und zusammen mit den Kindern von Chieftains, Verwandten und Höflingen unterrichtete. Darin hatte sie einen Lebensinhalt gefunden, der ihr half, ihre Einsamkeit besser zu ertragen.

      Die Mauern, die Margaret umgaben, wurden auch die Mauern für Shauna. Sie wusste aus den Büchern ihrer Mutter und ihren Erzählungen, dass die Welt nicht an den Schlossmauern endete. Wenn sie jemals darüber herausgekommen war, dann immer in Begleitung