Paul Tobias Dahlmann

Der fahle Ritter


Скачать книгу

      An dieser Stelle war er aufgewacht.

      Sejarl überlegte, ob dieser Traum etwas zu bedeuten hätte. Er entschied sich dagegen. Schon seit langer Zeit hatte man ihn gelehrt, dass Omen immer nur so stark waren wie derjenige, der sie zu erfüllen suchte. Sejarl traute der Stärke seines Geistes und der Stärke seines Armes. Er würde die sich ihm stellenden Aufgaben angehen, und sie zu lösen versuchen. Mehr konnte niemand tun.

      Er atmete tief durch. Dann kleidete er sich an, zunächst nur in einen lockeren Überwurf. Er ging frühstücken. Die Mahlzeit fiel kurz und karg aus. Auf allzu vollen Magen zu reisen, schien ihm keine gute Idee zu sein. Nur wenige seiner Ordensbrüder beobachteten ihn in dem großen Speisesaal. Eine kleine Weile später begann er damit, seine letzten Habseligkeiten zu den Stallungen zu räumen.

      Als er das Gebäude mit seiner Unterkunft verließ und auf den Hof hinaus trat, schlug ihm ein frischer Wind entgegen. Es war kühl an jenem Morgen, wenn auch nicht kalt. Sejarl musste zweimal zwischen der Kammer und den Stallungen hin und her gehen, ehe er alles Nötige zusammen hatte.

      Ein letztes Mal noch ging er zurück, um seine bis dahin im Zimmer verbliebene Rüstung anzulegen, welche sein wichtigster Besitz auf der Suche nach Abenteuern sein mochte. Zunächst schlüpfte Sejarl in engmaschiges Kettenzeug. Dann kamen die silbrig schimmernden Plattenteile.

      Einander leicht überlappend waren diese, und an den Nahtstellen waren keine Scharniere angebracht, die sich hätten verbiegen und verklemmen können. Statt dessen hatten sie Lappen aus geflochtener Stahlwolle. An diesen war eine Verschnürung angebracht, so dass man die Rüstungsteile zusammenbinden konnte. Zuletzt kam der Helm: Dieser war halboffen und hatte ein senkrecht zweigeteiltes Visier, dessen Hälften man auf Schienen nach vorne schieben konnte. Die Rüstung war bis ins kleinste Detail und in unzähligen Arbeitsschritten an Sejarls Körper und Wünsche angepasst worden. Sie war eher leicht und behinderte ihren Träger kaum mehr als einen Anderen eine lederne Jacke, als er den Raum verließ.

      Als Sejarl abermals die Ställe erreicht hatte, wartete Ihlsteg dort bereits auf ihn. Auch er hatte seine Rüstung bereits angelegt. Er war aber noch dabei, etwas Reiseproviant in seine Satteltaschen zu stopfen, was Sejarl bereits getan hatte.

      Der Freund blickte mit einem frischen Grinsen auf. „Hallo. Na, alles bereit? Wo sind deine Waffen?“

      „Dort vorne hängen sie.“ Sejarl deutete auf eine Seitennische. Im Moment hatte er nur sein Schwert gegürtet, eine damaszenierte Einhandklinge von mittlerer Gewichtung, schnell und scharf. An seiner anderen Seite hing noch ein Langdolch, doch dieser zählte den Rittern nicht als Waffe.

      „In Ordnung, dann sollten wir jetzt mal damit anfangen, das ganze Zeug auf die Pferde zu laden“, meinte Ihlsteg, indem er Kleinigkeiten in eine Satteltasche schob.

      Direkt gegenüber der Stelle, wo die beiden standen, befanden sich die Boxen ihrer Tiere. Die Ritter gingen nun, öffneten die schweren, gusseisernen Türen der Verschläge und führten ihre Schlachtrösser hinaus ans Tageslicht.

      Dies wäre ein seltsamer Anblick für jeden Fremden gewesen. Die Tiere nämlich, die Pferde der Ritter vom Orden Fradewis, waren keine Tiere aus Fleisch und Blut. Sie bestanden aus reinstem Eisen.

      Es war ein Eisen, das niemals rostete und ein Eisen, das geschmeidig war. Dennoch hatte es dieselbe Härte wie der Stahl, aus dem die Wände der Burgen des Ordens waren. Kalt, doch lebendig blickten die Augen der Tiere. Keine Scharniere waren an ihren Gelenken und doch konnten sie sie normal bewegen, bis zu dem Tag, an dem sie starben. Allein in der Genauigkeit ihrer Bewegungen, da schienen sie mehr Maschinen zu sein als lebendige Wesen. Sie fraßen und sie soffen. Sie soffen Wasser und sie fraßen Erzklumpen, doch atmeten sie wie jedes andere Wesen.

      Damals wusste niemand, was es mit diesen Pferden wirklich auf sich hatte. Allerdings waren sie verbreitet genug, als dass etliche Magier sie schon zu Gesicht bekommen hatten. Bei letzteren wiederum hatte sich die Ansicht festgesetzt, dass es sich bei den Tieren um eine Art von Metallgolems handeln musste. Noch nie hatte man zwar sonst davon gehört, dass so etwas möglich wäre, und wie es anzustellen wäre, solche Wesen zu konstruieren. Das blieb den arkanen Forschern ein Rätsel.

      Zwei solcher Tiere begannen Sejarl und Ihlsteg nun, zu satteln. Sie legten ihnen ein Zaumzeug an, welches aus gewöhnlichem Leder bestand, und auch die verzierten Sättel und Satteltaschen bestanden nur aus Materialien, wie man sie an jedem anderen Orte auch hätte finden können. Allein über ihre aufwendige Verarbeitung konnten diese Materialien ebenso wenig hinwegtäuschen, wie das einfache Braun der Satteldecken.

      Nachdem sie ihre Tiere aufgezäumt hatten, machten sich die Ritter daran, ihre Gepäcktaschen und Waffen aufzuladen. Da waren je ein schwerer Morgenstern mit langer Kette, ein kurzes Handbeil, das auch für anfallende Arbeiten benutzt werden konnte, und da waren neben ihren Schwertern auch noch ihre Lanzen.

      Die Lanzen waren lang und dünn und ganz aus Metall, nach der Art des Ordens. Solche Lanzen waren niemals spröde, sondern stets ein wenig elastisch. Sie bogen sich und zerbrachen nicht an Schilden, sondern durchstießen diese. Auch dies war ein Grund für die Stärke des Ordens. Zum Schluss, nachdem sie all dies untergebracht und die Lanzen in speziellen Halterungen hinter den Sätteln aufgesteckt hatten, nahmen Sejarl und Ihlsteg noch ihre Schilde zur Hand. Diese zeigten das Wappen des Ordens. Auf grünem Grunde war eine weit ausladende, goldene Esche zu sehen, umfangen von einem metallenen Reif, der sie als schützende Mauer umgab.

      Die Ritter saßen auf, prüften, ob sie nichts vergessen hatten, und ritten zum Tor. Scherze vom Vorabend kamen ihnen in den Sinn. Ein fröhliches Lächeln lag ihnen auf den Lippen in Vorfreude auf die kommenden Abenteuer.

      Nur noch einmal wurden sie kurz aufgehalten, direkt am Tor. Hier warteten der Abtkanzler und ein paar ihrer Freunde auf sie, um sie endgültig und offiziell zu verabschieden, und ihnen nochmals die besten Wünsche auf die Fahrt mitzugeben.

      Dann ritten die Beiden durch das massige, schwere Burgtor mit seinen breiten Flügeln. Hiernach ging es den Hügel hinunter in das im Tal darunter gelegene Dorf. In diesem Dorf waren, wie auch sonst überall in jenem Lande, fast alle Gebäude Blockhäuser, deren Fassaden auf ihren ein bis zwei Stockwerken mit geschnitzten Intarsienarbeiten verziert waren. Nur die zahlreichen Schmieden entlang der Hauptstraße bildeten eine Ausnahme. Deren Wände waren wegen der Feuergefahr vielfach mit Metall verstärkt.

      Am Ende des Dorfes wandten sich Sejarl und Ihlsteg einer Straße nach Osten zu. Diese verschwand bald im Wald, der die Ritter mit seinem Geruch nach frischem Laub und seinem von Sonneninseln durchbrochenen Schatten einhüllte.

      Die Ritter kamen auf ihrem Weg gut voran. Sie ritten den ganzen Tag über ohne längere Unterbrechung. Das Wetter blieb gut. Der kühlende Wind, der keinen Regen mit sich trug, begleitete sie auf den Karrenwegen durch tiefe Täler und Wälder. Die Ritter konnten den Tag über ein gutes Stück ihres Weges zurücklegen. Gegen Abend kamen sie in ein Dorf, wo sie in einer kleinen Herberge übernachteten.

      Es war am nächsten Morgen, als sie aufbrachen und gerade wieder aus dem Dorf herausritten, als Sejarl am Wegesrand etwas auffiel. Da stand ein kleines Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt. Es hatte bis eben mit einem Ball gespielt und diesen nun gerade aus ihren Händen rutschen lassen. Der Ball rollte auf die Straße und vor die Hufe der Stahlrösser. Sejarl lächelte und brachte sein Pferd dazu, dem Ball einen kleinen Tritt zu verpassen, so dass dieser zur Seite wegflog, in ungefährer Richtung des Kindes. Dieses sammelte ihn eilig auf und grinste den Rittern glücklich nach, als diese weiterritten.

      Wiederum reisten die beiden Ordensleute einen Tag lang ohne große Unterbrechungen und kamen gegen Abend in eine anderes Dorf, wo sie übernachteten. Wieder fanden sie eine Herberge. Wieder fanden sie in ihr guten und festen Schlaf.

      Wiederum begegneten sie, als sie am nächsten Morgen wieder aus dem Dorf herausritten, einem kleinen Mädchen. Auch dieses war vielleicht neun oder zehn Jahre alt und spielte am Ortsausgang mit einem Ball. In unachtsamer Weise schleuderte es ihn über die Straße. Der Ball geriet dabei zwischen die Hufe von Sejarls Pferd und wurde zur Seite weggeschleudert. Überrascht und ein wenig überrumpelt sah Sejarl dem Ball nach. Dieser flog in weitem Bogen über eine Wiese, und kullerte an deren Ende