Paul Tobias Dahlmann

Der fahle Ritter


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hinabkullerten. Alarmiert schauten die Freunde sich an.

      „Was kann es nur so erschreckt haben?“, fragte Ihlsteg erstaunt.

      „Ich weiß nicht. Lass uns lieber vorsichtig sein.“

      Mit gezogenem Schwert wagte Sejarl den Blick aus der Eingang heraus.

      „Verdammt“, flüsterte er und fügte dann in verständlicherer Lautstärke hinzu: „Da draußen sind mindestens ein Dutzend von diesen Bergmenschen. Sie starren in unsere Richtung herüber und haben jeweils einen großen, schweren Stock und einen oder mehrere Wurfsteine dabei.“

      „So was Dämliches. Was machen wir jetzt? Aufsitzen und durchbrechen?“

      „Nein, vergiss das. Wir sind eingeschlossen und haben zu Pferde keinen Platz zum Ausweichen. Ich fürchte, wir werden wohl länger kämpfen müssen.“ Sejarl machte kein glückliches Gesicht bei diesen Worten, doch auch ein gewisser Trotz sprach aus ihnen.

      Bei der körperlichen Größe ihrer Gegner entschieden sich die Ritter dafür, nicht mit den Schwertern, sondern mit den Morgensternen zu kämpfen, den Schild in der Linken. Langsam, und respektvoll um sich schauend, verließen sie die Höhle. Sie hielten, so gut dies auf dem abschüssigen Hang ging, nebeneinander zu auf die Gruppe der primitiven Wesen, die auf dem Bergpfad auf sie wartete.

      Beinahe wäre Sejarl zurückgeschreckt, als der erste Stein auf ihn zuflog. Ein einfaches Parademanöver mit dem Schild konnte das Wurfgeschoß gut abwehren, ohne dass es dem Ritter größeres Können abverlangt hätte. Weitere Steine folgten, und so kam es Sejarl zunächst so vor, dass sich dieses Aufeinandertreffen mit dem Bergvolk nicht sehr von ihrem ersten unterschied.

      Dann aber, nachdem sie alle ihre Steine geworfen hatten, und auch keine weiteren mehr in ihrer direkten Reichweite fanden, liefen die Wilden aufgeregt durcheinander. Sie grunzten sich gegenseitig Worte in ihrer abgehackten Sprache zu, von der die Ritter nur wenig verstanden. Schließlich entschlossen sich die Bergmenschen, alle zusammen in einem großen Pulk auf die ausgebildeten Krieger loszustürmen.

      Sejarl und Ihlsteg unterdessen verfestigten ihren Stand und begannen damit, die Köpfe ihrer Morgensterne in weiten Bögen schwingen zu lassen.

      Wären die Bergmenschen organisierter gewesen, oder hätten sie zumindest das Gelände besser ausgenutzt, so wären sie trotz fehlender Rüstungen und schlechterer Taktik im Vorteil gewesen. Als jedoch die ersten von ihnen am Ende ihres Ansturmes von den harten Eisenstacheln getroffen wurden und Blut floss, da heulten sie auf. Ebenso erstaunt wie verletzt suchten sie, Einer nach dem Anderen, ihr Heil in der Flucht.

      Zurück ließen sie lediglich einen einzelnen der ihren. Es war großen haariger Klotz, der allzu forsch gewesen war. Sein zerschmetterter Schädel und seine gebrochene Augen starrten blicklos seinen Kameraden nach.

      Schwer atmend und sich fortwährend unsicher umsehend holten Sejarl und Ihlsteg ihre Pferde und führten sie zum Weg zurück.

      „Das ist ja grade noch einmal gut gegangen“, sagte Sejarl mit schwankender Stimme.

      Der Kampf war in Windeseile verlaufen. Die Ritter hatten feste um sich gedroschen, während ihnen selbst ihre Kämpferdisziplin gestattet hatte, die Knüffe und Schläge durch die Treffer der massiven Holzstäbe wegzustecken. Mehr als ein paar blaue Flecken hatten sie unter ihren Rüstungen nicht davongetragen, und die Bergbewohner hielten sich nun in sicherer Entfernung, wenn auch nicht ganz außer Sicht- und Hörweite. Gelegentlich vernahmen die Ritter noch einen wuterfüllten Schrei aus der einen oder anderen Richtung.

      „Wir sollten uns beeilen, weiterzukommen“, versetzte Ihlsteg.

      Hastig bestiegen die Kämpfer ihre Stahlrösser und lenkten sie weiter die Bergflanke hinan. Zwar war auch der Nachmittag mittlerweile schon deutlich vorangeschritten, doch für eine Weile würden sie noch Licht haben. Bis zum Höhenrücken war es nicht mehr allzu weit.

      Im Trab ritten sie ihre Pferde daher weiter den Berg hinauf, darauf bedacht, die Bergbewohner so weit es ging hinter sich zu lassen. Beiden war mehr als unwohl bei dem Gedanken, sich des Nachts auf fremden Grund dem Angriff primitiver, fremder Wesen stellen zu müssen.

      Als sie den Grat erreicht hatten, hatte es schon zu dämmern begonnen, und die Schatten der Felsnadeln um sie herum wurden mit der Zeit lang und länger. Zwangsläufig lenkten nun auch die Ritter ihre Pferde behutsamer, um der verschlechterten Sicht gerecht zu werden. Der schneidende Höhenwind hätte sie frösteln lassen, hätte sie ihre Ausbildung nicht gelehrt, wie man solche Gefühle unterdrückt.

      Die Bergbewohner hatten sie zurückgelassen; so hofften sie. Doch immer noch hielten sie wachsam Ausschau. Immer noch huschten ihre Augen zwischen den Felsbrocken am Wegesrande hin und her, spähten nach Bewegungen.

      „Sei still!“, sagte Ihlsteg plötzlich, hob warnend die Hand und stoppte sein Pferd, als sie schließlich nur noch eine Wegbiegung von dem offensichtlichen Pass zwischen zwei kleineren Gipfeln entfernt waren. Auch Sejarl hielt an, und lauschte in das Pfeifen des Windes hinein.

      „Hörst du das auch?“, fragte Ihlsteg.

      „Ja, verdammt. Werden wir die denn nie los?“

      Von Zeit zu Zeit war es ihnen beiden so erschienen, als ob sie hinter einer Biegung gestotterte Worte erklungen wären.

      „Und jetzt?“, fragte Ihlsteg weiter.

      Sejarl überlegte einen Moment, dass sein Ordensbruder wohl bald damit beginnen würde, um sich zu schlagen, fände er nur einen Gegner. Er kannte seinen Freund nur zu gut. Doch dieser brauchte seinen Rat so oder so nicht zu beeinflussen: „Jetzt ist die Zeit zum Durchbrechen gekommen“, erklärte Sejarl selbst.

      Beide Ritter lösten ihre langen Lanzen aus den Verankerungen und brachten sie in Anschlag. Dann trieben sie ihre Stahlrösser in einen leichten Galopp und preschten Seite an Seite um die Kurve.

      Die dort wartenden Bergbewohner waren auf ihre Ankunft zwar eingestellt gewesen, nicht jedoch auf die Geschwindigkeit, mit der diese erfolgte.

      Was, bei meiner Zeit, wollt ihr eigentlich von uns?, schoss es Sejarl durch den Kopf, als er da im Halbdunkel Dutzende großer, ungeschlachter Gestalten mit einfachen Waffen sah. Warum könnt ihr uns nicht einfach in Ruhe lassen? Seine Gedanken wurden abermals durch heranfliegende Steine beantwortet.

      Einer traf ihn am Helm. Dieser jedoch war zu gut gepolstert, als das der Ritter für mehr als den Bruchteil eines Atemzuges die Orientierung verloren hätte. Das reichte nicht. Immer weiter preschte er vor, den Bruder an der Seite, die Lanze gesenkt und auf die im Wege stehenden Gegner gerichtet.

      Einer kam ihm zu nahe. Sejarls Lanze erfasste ihn an der Schulter, drang ein in das zähe Fleisch und hindurch. Für einen kurzen Moment bog sich da der Lanzenschaft, und des Ritters Ansturm wurde gebremst. Kurz, den Augenblick eines Lidschlags lang, drohte er, aus dem Sattel gehoben zu werden. In einem knappen Gedanken weigerte er sich, die Lanze einfach loszulassen, und auf sie zu verzichten. Dann bestätigte ihn der Gang der Dinge. Mit einem unnatürlichen Knallen zersprang das Schulterblatt des Bergmenschen und ließ den Ordenskrieger wieder weiter nach vorne schießen.

      Die Gesellen des schwer Verletzten hatten dieses Geschehen mit angesehen und beeilten sich nun, aus der Bahn der Stahllanzen herauszuspringen. Allein am Ende des breiten Passtales wartete noch eine Gruppe der Primitiven, von vorne angeleuchtet durch den Schein der untergehenden Sonne, welche die Ritter im Rücken hatten. Sie waren gezwungen, auf das Bergvolk direkt zuzureiten, denn das Passtal verschmälerte sich an jener Stelle ein letztes Mal.

      Im ersten Augenblick, als er es bemerkte, fasste Sejarl seine Waffen wieder fester. Im zweiten jedoch, als die rasch näher kommende Gruppe deutlicher zu erkennen war, sah er sich genötigt, sein Verhalten wieder rückgängig zu machen, und die Lanzenspitze zu heben.

      Was soll das?, durchzuckte es ihn, denn meinte, bei jenen Wesen starke Größenunterschiede ausgemacht zu haben. Sind da etwa Kinder dabei? Sein Kodex verbot es ihm, gegen Kinder zu kämpfen, was auch immer sie als Erwachsene einmal werden mochten. Wissen diese Wesen von den Eiden der Ritter?, rasten seine Gedanken.