Paul Tobias Dahlmann

Der fahle Ritter


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einem langen Schritt vom letzten, angespülten Wurzelstrunk herab aufs Land und warf dem Mädchen ein anerkennendes Lächeln zu. Eigentlich ist das eine ziemlich hübsche, junge Frau, dachte er sich und überlegte einen kurzen Moment, ob er ihr schöne Augen machen sollte.

      Noch fast im selben Augenblick jedoch ließ er alle in solchen Gedanken gleich wieder fallen. Als sein Blick zur Seite huschte, war der Ausdruck im Blick seines Freundes Ihlsteg mehr als eindeutig. Wann immer dieser nämlich von nun an in Richtung des Mädchens schaute, dauerte dieses Schauen nur allzu lange und ein tiefes, gedankenverlorenes Lächeln lag auf seinen Zügen.

      Wenn ich je im Leben einen spontan verliebten Mann gesehen habe,, überlegte Sejarl, dann heute meinen Bruder hier. Sein Glück sei ihm gegönnt. - Zumal es mir auf Gegenseitigkeit zu beruhen scheint. Und für eine Frau für mein Leben finde ich auch meine eigene Suche in ihrer Art nicht genug wieder.

      Auch Leihani widmete sich in der nächsten Zeit sichtlich immer mehr Ihlsteg. Als sie aufsaßen, um ihren Weg fortzusetzen, stieg das Mädchen wie selbstverständlich hinter Ihlsteg auf und schmiegte sich eng an ihn. Das hielt sie aber dennoch nicht davon ab, während des nächsten Abschnitts ihrer Reise weiter zu plappern.

      Sie redete über Kunst und Musik, über Bäume und Sträucher, über das Wetter und über uralte Legenden, welche alle Anwesenden zur Genüge kannten. Ihlsteg hing an ihren Lippen und lachte und scherzte. Sejarl mischte sich nur selten ein. Wenn er es überhaupt tat, dann nur an bestimmten Punkten, um etwas Wesentliches zu ergänzen. Nichts von dem, was er hörte, war wirklich neu für ihn. Die Hoffnungen darauf, etwas Nützliches zu erfahren, schwanden ihm bald. Er verzweifelte deswegen vorübergehend ein wenig.

      Statt also dem unergiebigen Gespräch zu folgen, machte sich Sejarl seine eigenen Gedanken über dies und das, und betrachtete die vorüberziehende Landschaft.

      Die Flussinsel, auf der sie gegenwärtig ritten, war verhältnismäßig flach und hatte dabei eine ziemlich weite Ausdehnung. Nur einmal noch bis zum Abend mussten sie einen kleinen Flusslauf überqueren, und das Wasser in diesem stand und war mit Schilf bewachsen. Bunte Libellen kreisten in großer Zahl darüber. Sejarl hatte den Eindruck, dass es sich dabei um einen toten Arm handeln musste, so dass sie sich auch nach der Überquerung immer noch auf der selben Insel befanden.

      Landschaft und Untergrund sahen ähnlich aus wie in dem Bereich, durch den die Ritter vor ihrem Zusammentreffen mit Leihani gekommen waren. Da waren lichte, offene Birkenhaine, zwischen denen sich Wiesen befanden. Auf diesen waren immer wieder kleinere und größere Tiere zu sehen, die keinerlei Scheu vor den Reisenden zeigten. Da waren Vögel mit fellartigen, flauschigen Federn, und armlange Eidechsen, die auf Steinen in der Sonne dösten. Es gab Rotwild mit verdrehten Geweihen. Gelegentlich lugten auch ein Auge oder zwei aus einem Gebüsch hervor. Sejarl argwöhnte Zauberwesen, die sich vor ihnen versteckt hielten. Der Boden unter ihnen war fast immer ein Blütenteppich, der nur selten von fünfblättrigem Klee oder Beerenranken unterbrochen wurde.

      Irgendwann begann Sejarl damit, all dieser müßigen Schönheit überdrüssig zu werden. Er lenkte seine Gedanken auf die Dinge in der Welt, die er für wichtiger und entscheidender hielt.

      Solcherart gelangten sie schließlich bei Sonnenuntergang an den Rand eines flachen Hügels, auf dessen Spitze ihnen Leihani das Lager aufzuschlagen riet. Es war Sejarl, als täte das nicht nur das Trollmädchen, sondern auch das ganze Land um sie herum, denn unzählige schmale Pfade führten aus der Umgebung auf jene Kuppe hinauf, auf der allein ein einsamer, großer Baum stand.

      Sejarl versuchte zuerst, ihn mit jenem Regenbogenbaum zu vergleichen, den sie früher am Tage gesehen hatten, scheiterte aber. Dieser hier musste uralt sein. Er hatte einen Stamm, den sechs Männer kaum hätten umspannen können. Weit ausladend waren seine Äste, und in seinem Gezweig flog schwer erkennbares Federvolk hin und her. Wo immer die Arme des Baumes zum Boden herabreichten, da hingen süße Früchte an ihnen, deren Art die Ritter nicht kannten. Ihr Geruch war schon fast auf Sichtweite hin schwer und süß und betörend.

      Zu diesem Baum gingen sie und ließen sich nieder auf der weichen Erde unter dem schützenden Blätterdach und aßen von den Früchten. Diese hatten einen Geschmack, der ihrem Duft um nichts nachstand. Dann streckten sie sich und schliefen ein.

      Nicht allzu lange dauerte es, und Sejarl wachte wieder auf und stellte fest, dass er allein auf der Kuppe unter dem Baum lag. Aus einem Gebüsch ein Stück weit entfernt erklangen Geräusche, deren Ursprung zu erkennen es ihn keine große Mühe kostete. Ihlsteg und Leihani hatten sich um der Höflichkeit willen nach dorthin fort geschlichen. Doch sie machten genug Lärm, um den halben Wald aufzuwecken, und dem Ritter auf dem Hügel eine unruhige Nacht zu bescheren.

      Als der Morgen anbrach, machte das Pärchen sich keine Mühe mehr, seine Liebe noch verborgen zu halten. Sie küssten einander unentwegt und kuschelten beim Frühstück so eng miteinander, dass die Situation für Sejarl zeitweilig peinlich wurde.

      Als sie dann aufbrachen, änderte sich auch nicht viel. Den ganzen Tag über kamen sie durch liebliche Gegenden hindurch, in denen das einzige Zeichen intelligenten Lebens darin bestand, dass die ihnen den Weg versperrenden Wasserläufe nun an vielen Stellen von zierlichen Brücken aus Schnitzwerk oder Marmorstein überwunden wurden.

      Nahrung boten ihnen die sanft rauschenden Wäldchen im Überfluss. Sie kamen auf ihrem Pfad so gut voran, dass sich Sejarl der Eindruck aufdrängte, sie müssten schon ein gutes Stück seit dem Fuße der Berge zurückgelegt haben.

      Leihani und Ihlsteg kamen sich während dieser Zeit nur noch näher. Soweit das überhaupt noch möglich ist, ergänzte Sejarl gedanklich in einem Anflug von amüsiertem Sarkasmus. Es kam für ihn auch wenig überraschend, als die beiden nach einer kurzen Rast am frühen Nachmittag Händchen haltend an ihn herantraten und Ihlsteg sich verlegen räusperte.

      „Sejarl, wir haben etwas beschlossen“, sagte er.

      Der Angesprochene ahnte schon, was kommen würde. Er sagte jedoch nichts, blickte statt dessen nur erwartungsvoll, und ließ seinen Freund fortfahren.

      „Weißt du, ich bin ja ausgezogen, um das Glück zu suchen. Und ich glaube nun, dass ich es bei Leihani gefunden habe.“

      „Herzlichen Glückwunsch“, sagte Sejarl, unabsichtlich etwas spröde.

      „Na ja, also haben wir beschlossen, dass wir uns verheiraten und zusammenleben wollen. Und ich stimme Leihani darin zu, dass dies hier für ein solches Leben ein besserer Ort ist, als die Dörfer und Städte der Menschen.“

      „Und du meinst nicht, dass dir hier deine Bücher und geistigen Herausforderungen fehlen werden?“

      „Oh, Bücher haben wir“, beeilte sich die Trollin zu erklären, „Tief im Wald liegt eine große Bibliothek verborgen. An geistigem Ansporn wird es meinem Schatz schon nicht mangeln.“

      „Dann wollt ihr euch also jetzt das Versprechen geben? Oder wollt ihr damit noch warten, bis ihr vor Zeugen steht?“

      „Wir wollten auf einem Versammlungsplatz der Trolle heiraten, der etwa eine halbe Tagesreise entfernt liegt“, erläuterte Ihlsteg, „Wie steht es? Die Feier wirst du dir doch wohl nicht entgehen lassen? Ob du Kom einen Tag früher oder später erreichst, kann dir doch egal sein.“

      Der frisch verlobte Ordensritter hatte an dieser Stelle offen und fröhlich vor sich hingeplaudert, als Leihani plötzlich ein verlegenes Gesicht machte, und sich ihrerseits laut räusperte.

      „Äh, Schatzi, ich fürchte, das wird nicht gehen“, sagte sie.

      „Was meinst du?“

      „Er kann nicht mit auf den Versammlungsplatz kommen. Unser Land zu durchreiten, das ist in Ordnung. Aber ihn zu unseren geheimen Orten zu führen, das traue ich mich nicht. Es gibt da zu viele Leute, die das falsch auffassen und ihn angreifen könnten.“

      „Aber wieso? Und überhaupt: Er ist ein Ritter von ausgezeichnetem Kampfesmut...“, setzte Ihlsteg an, nur, um von seiner Gefährtin unterbrochen zu werden: „Willst du denn, dass an unserem Tage Blut vergossen wird? Glaube mir, der Schatten, der dann auf das Fest fiele, ist weit