Paul Tobias Dahlmann

Der fahle Ritter


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begreife doch!“, fuhr Leihani eindringlich fort, „Viele der Wesen dort sind den Menschenvölkern nicht annähernd so ähnlich, wie ich es bin, sei es an Geist oder an Körper. Dort leben baumgroße Kerle von ungeschliffener Brutalität. Dich, als meinen Mann, müssen sie zwangsweise akzeptieren. Ein Anderer jedoch wäre ihnen nichts als ein Feind.“

      Sejarl sah, dass Ihlsteg weitere Einwände vorbringen wollte, erkannte aber auch die Wahrheit in den Worten des Mädchens.

      Darum erhob er sogleich die Stimme: „Warte, Ihlsteg! An dem, was sie da sagt, ist einiges dran. Ich möchte wirklich nicht der Grund dafür sein, dass es am Ende noch Tote gibt.“

      Schlechten Mutes schnitt der Angesprochene eine Grimasse.

      „Lass es uns doch so machen:“, schlug Leihani vor, „Wir bringen Sejarl bis zur Grenze von Kom, und verabschieden ihn dort für dieses Mal. Und wenn er dann das nächste Mal, in einigen Monden oder so, hier durchkommt, dann können wir das Wiedersehen groß feiern. Bis dahin habe ich diese Hauklötze in meinem Volk bestimmt überredet, etwas nachsichtiger zu sein. Schließlich sind auch nicht alle Orte hier gleich geheim.“

      Dieser Vorschlag der Trollin wurde noch ein wenig besprochen, und schließlich von allen dreien akzeptiert. Es war ein Kompromiss; kein guter vielleicht, doch einer, auf den sie sich hatten einigen können.

      Nur noch ein kleines Stück gemeinsamen Weges setzten sie daher ihre Reise in Richtung auf das Zwergenland fort. Als der Abend zurückkehrte, nächtigten sie auf einem offenen Feld aus schulterhohen, weichen Gräsern, und wiederum hatte Sejarl mit der gleichen Art von Störungen seines Schlafes zu kämpfen, wie in der Nacht zuvor.

      Am späten Vormittag des folgenden Tages schließlich erreichten sie die Grenze des Auenlandes, in dem die Zauberwesen hausten.

      So kam die Zeit für die Freunde, Abschied zu nehmen und für die Weggefährten, sich zu trennen. Hier verhielten sie an einem kleinen, fröhlich plätschernden Bachlauf am Rande einer Gruppe von blühenden Apfelbäumen, hinter denen nach Osten hin eine weite Grasebene begann, die sich bis zum Horizont erstreckte.

      „Hier endet unser Land.“, erklärte die Trollin belegt.

      Die Drei entschieden sich, noch kurz von den Pferden abzusteigen, um eine letzte gemeinsame Rast miteinander zu verbringen. Die beiden Ritter tauschten untereinander Grüße für Freunde aus; je nachdem, wer von beiden sie zuerst wiedersehen mochte. Sie machten Scherze und wechselten das eine oder andere Versprechen. Beide wollten darauf achten, ihre Freundschaft nicht ersterben zu lassen. Dies sollte nicht das letzte Mal sein, dass sie sich in ihrem Leben sahen.

      Es waren jedoch nicht die Ritter, die etwas Wichtiges sagten oder taten, sondern es war Leihani, die ihr Gespräch in einer aus Wehmut entstandenen Pause unterbrach.

      „Ich kann das mit euch Beiden nicht mit ansehen“, rief sie, getrieben von ihrer eigenen Wut und Trauer. „Ich trenne hier die besten Freunde. Ich muss es tun, das befehlen mir sowohl mein Herz, als auch mein Verstand. Und doch ist es falsch.“

      Mit großen Augen sahen die Männer sie an.

      „Dir, Ihlsteg, mein Schatz, werde ich die Trauer um den Abschied schon zu nehmen wissen“, sprach sie weiter, „Aber was soll ich mit dir machen, Sejarl? Du musst nun allein und ohne Hilfe fortziehen ins Unbekannte, ohne jemanden, dich zu begleiten und vielleicht hier und da auch zu schützen. Zwar bist du mir nichts als ein lockerer Bekannter geworden während der letzten beiden Tage, doch sehe ich, dass du ein braver Mann bist. Allein und schutzlos dort hinauszuziehen, das verdienst du nicht.“

      Sejarl war mit Sprachlosigkeit geschlagen. Was meint sie?, dachte er, Schutzlos bin ich nicht. Meine Waffen sind von bester Qualität und ich bin gesund und wohl auf und weiß mich meiner Haut zu erwehren. Zwar werde ich meinen Bruder vermissen, doch was Anderes sollte denn jetzt passieren? Er war gefesselt in der Vorstellungswelt seines Ordens.

      „Komm!“, sagte die Trollin, und bedeutete Sejarl, ihr zu einer Stelle einige Schritte entfernt zu folgen, wo der Wind im Schatten eines umgestürzten, alten Baumes allerlei Laub zusammengetragen hatte. Zögernd kam Ihlsteg nach und beobachtete die Vorgänge aus einiger Entfernung.

      „Was ist es, was du mir hier zeigen willst?“, fragte Sejarl.

      „Warte“, sagte Leihani, „Ich mache dir ein Abschiedsgeschenk.“

      Leise begann sie zu säuseln. Halb schloss sie ihre Augen und begann, ihren Körper dabei sich mit dem Klang jener Laute mitschwingen zu lassen. So entstand ein merkwürdiger Tanz, als sie sich auf der Stelle stehend dem Himmel entgegenschlängelte, gefangen in der Trance. Dann öffneten sich ihre Lider wieder und sie starrte ausdruckslos den Wolken in der Höhe entgegen.

      Ein ausladender Ast, welcher ihr nahe in der Luft hing, zog nun ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eine laue Brise fuhr durch ihn hindurch, löste einige weiße Blütenblätter und spielte mit ihnen, sie in der Schwebe haltend.

      „Ja, du bist richtig“, sagte Leihani leise, doch klar und klingend. Ihr Blick blieb unverwandt auf den treibenden Blättern heften.

      „Komm herab!“, rief sie in einem Befehlston, den Sejarl ihr in dieser Plötzlichkeit nicht zugetraut hätte.

      Was macht sie da?, überlegte er, Wendet sie Magie an? Man sagt ja, dass Trolle solche Dinge täten.

      Sein Staunen hielt an, als die Gruppe der Blätter von dem Ast herabschwebte in Bewegungen, die auf ihn in seltsamer Weise beherrscht wirkten. Das Trollmädchen starrte dabei angestrengt in jedem kleinsten Moment. Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn, während sie weiterhin Silben hervorbrachte, die offenbar keinen anderen Zweck hatten, als sich melodisch aneinanderzureihen.

      Solcherart bestaunt vermischten sich die Blätter der Luft mit dem Laub am Boden, wirbelten es hoch und nahmen es in sich auf. Ein wachsender Wirbel von Wind und Blättern entstand so. Seine Größe schwankte zwischen einer doppelten Handspanne und Hüfthöhe.

      „Drücke dich aus, lebe und sei sein Freund!“, sagte Leihani und richtete ihren Blick dann scharf und plötzlich auf Sejarl. Danach entspannte sie sich sichtlich, schüttelte ihren Kopf, dass ihre Haare flogen, und grinste wieder fröhlich. „Bitte sehr“, sagte sie.

      Verblüfft starrte Sejarl auf den kleinen Wirbelwind aus Blättern unterschiedlichster Farbe, der auf ihn zutanzte und dann in einer Armlänge Entfernung verharrte.

      „Was ist das?“, fragte er.

      „Ein Windgeist“, erklärte Leihani. „Du musst wissen, dass die Natur an vielen Stellen nicht immer ganz dumm ist. Winde sind normalerweise sehr, sehr kurzlebig. Aber wenn man weiß, wie, dann kann man ihr Leben festhalten. Ich glaube außerdem, dass dieser hier recht klug ist; etwa wie ein Adler oder ein Otter, der dir als treu ergebener Begleiter zur Seite stehen kann.“

      Das Mädchen feixte und linste zwischen den beiden Männern hin und her, die beide gleichermaßen erstaunt auf den leise raschelnden, belebten Wind stierten.

      „Kann er sprechen?“, fragte Sejarl.

      „Er mit dir anfangs noch nicht, das muss er erst lernen. Aber du kannst mit ihm reden und er wird dich im Großen und Ganzen verstehen. Übrigens lebt er jetzt praktisch ewig, solange keine Magie ihn zerstört. Glaub mir, das wird dir noch sehr nützlich sein. Also dann: Viel Spaß mit deinem neuen Weggefährten. Das war das, was ich für dich tun konnte.“

      Sejarl war sprachlos. Da hatte eine Trollfrau wenig begründete Schuldgefühle, und was tat sie? Sie schenkte der Welt ein neues Leben. Seine Überlegungen überschlugen sich. Sie schenkt mir ein Zauberwesen, mich zu beschützen. Was sind diese Trolle für seltsame Geschöpfe? Die einen bedrohen einem das Leben und die anderen spenden neues in der Dauer eines verwunschenen Liedes. Schade nur, dass ich nichts habe, was ich ihr als Gegengeschenk anbieten könnte. Gerührt streckte er seine Hand nach dem aufschwebenden Luftwirbel aus, fühlte dort jedoch nichts als eine kühlende Brise und aufgewirbelte Blätter.

      Gemeinsam bestaunten die Ritter noch eine lange Weile jenes wahr gewordene Wunder. Viel fröhliches