Paul Tobias Dahlmann

Der fahle Ritter


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Dass der Augenschein trügen konnte, hatte man ihnen gründlich eingeschärft. Wo sich die einfachen Freuden der Natur in ihrer ganzen Pracht entfalteten, witterten sie hinter diesen eine Falle.

      So kamen sie gegen Mittag an den dritten Fluss, und dieser war um einiges breiter und tiefer als die beiden Läufe zuvor. Die Ordensmänner ritten an seinem Ufer auf und ab und fanden keinen Übergang. Die Sonne schien wohlig wärmend auf sie nieder und lud sie ein, sich im Gras zu einem Nickerchen niederzulassen. Gerade das verunsicherte sie weiter und brachte sie dazu, leicht schwitzend und nervös beisammen zu stehen und darüber zu beraten, was zu tun sei. Angestrengt dachten sie nach, kamen jedoch zu keinem Ergebnis, denn ihre Pferde waren zu schwer, um zu schwimmen, und mussten atmen, um auf die andere Seite des Flusses zu gelangen.

      Als sie so eine Zeitlang sich beratend, doch ratlos, dagestanden hatten, hörten sie hinter einem dicken, alten Baumstamm ein Kichern erklingen. Es war hell, offen und in keiner Weise unterdrückt.

      Hastig und irritiert zogen beide ihre Schwerter blank, worauf sich das Kichern noch verstärkte. Es ging in ein hohes, nach Atem ringendes Lachen über. Überrascht erstarrten die Ritter und sahen sich fragend an.

      Kurz darauf erstarb das Lachen in einem unterdrückten Glucksen. Dann folgte ein Rascheln, und hinter dem Baumstamm trat eine weibliche Gestalt hervor, die sich von ihrer Umgebung erst durch eben diese Bewegung abhob.

      Ein Trollmädchen!, durchfuhr es Sejarl. Zur Hälfte beruhigt ließ er seine Klinge sinken. Von diesem Geschöpf drohte ihnen kaum eine Gefahr.

      Dann betrachtete er sie etwas näher und eingehender. Ihre Größe und Gestalt waren die einer normalen, jungen Menschenfrau. Nur ihr Knochenbau war überaus stark ausgeprägt und ihr Gesicht und ihre Glieder, ja ihr ganzer Körper wirkten knubbelig. Ihrem breiten, von Sommersprossen gekrönten, Grinsen und ihrer kokett-schlaksigen Haltung tat das keinen Abbruch. Ihr hüftlanges Haupthaar wellte sich gleichzeitig in verschiedenen Brauntönen. Ihr ganzer, in tiefem Gold schimmernder Körper war mit einem hauchzarten Flaum bedeckt, über den Licht und Wind in Kaskaden hinwegspielten, wenn man sich darauf konzentrierte. Gekleidet war sie in einen knielangen Rock und eine Weste aus lose miteinander vernähten, weichen Rindenstücken, die mehr Einblicke zuließen, als sie verdeckten. Alles in Allem ergab sich für Sejarl das Bild eines ziemlich hübschen, kecken jungen Mädchens, das wohl auch in so mancher Menschensiedlung die meisten Frauen hätte ausstechen können.

      Die Trollin trat in hüpfendem Gang näher.

      „Na, ihr seid mir ja zwei Vögel“, meinte sie gut gelaunt. „Erst schafft ihr es nicht, über ein einfaches, kleines Flüsschen ´rüberzukommen, und dann greift ihr zu den Waffen, sobald ein unbewaffnetes, junges Mädchen auftaucht.“

      „Kannst du uns denn garantieren, dass uns keine Gefahr droht?“, fragte Sejarl geistesgegenwärtig.

      „Natürlich. Solange ihr euch ruhig verhaltet, werden meine Leute sich auch ruhig verhalten.“

      Erleichtert steckten auf diese Worte hin die Krieger ihre Schwerter wieder zurück. Zwar galten Trolle als unberechenbar, doch in einem Punkt waren sich jedwede Menschen, die ihnen je begegnet waren, vollkommen einig: Dass nämlich den Trollen die Lüge gänzlich fremd war und ihr Wort stets feststand.

      „Wer bist du?“, fragte Ihlsteg, der, nachdem auch er sich beruhigt hatte, nun in einen Gesprächston verfiel.

      „Wer, ich? Oh. Ich bin Leihani. Ich wohne in den weiten Baumkreisen einen Tag nach Norden zu.“

      „Angenehm. Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Wir sind Ritter aus den Landen des Ordens Fradewis hinter den Bergen. Ich heiße Ihlsteg und dies hier ist mein Freund Sejarl.“

      Beide Ritter verneigten sich leicht zur Begrüßung.

      „Und? Was macht ihr hier?“, fuhr das Mädchen unbekümmert fort, indem sie auf ihren Füßen auf- und abwippte.

      „Wir befinden uns auf der Durchreise. Wir wollen nach Osten in das Königreich Kom. Dort hoffen wir auf Hilfe bei unserer Suche nach den Zielen, die wir uns für unsere Leben gesetzt haben.“

      „Aha. Was für Ziele sind denn das?“

      Sejarl schmunzelte in sich hinein. Sie erscheint naiv wie ein Kind, und sprühend vor Liebenswürdigkeit. Sind so jene Trolle aus unseren Legenden wirklich, wenn sie dort stets nur entweder hehr und edel, oder aber monströs und gewalttätig daherkommen?

      Ihlsteg beantwortete unterdessen die Frage: „Mein Ziel ist es, das wahre Glück im Leben zu finden, und das meines Bruders ist es, den Sinn des Seins zu ergründen.“

      „Da scheint mir dein Ziel aber um einiges sinnvoller. Wer sollte denn schon etwas über den Sinn des Seins wissen?“, lachte Leihani. Sie zwinkerte Ihlsteg dabei zu.

      Sejarl räusperte sich verlegen.

      „Schon gut, du. Das war nicht böse gemeint“, zwitscherte das Mädchen weiter.

      Einen Moment lang blickte Leihani zwischen den beiden Männern hin und her. Dann sagte sie: „Sagt mal, wie ist das denn jetzt? Soll ich euch einen Weg über den Fluss zeigen oder nicht?“

      Überrascht nickten die beiden Angesprochenen. Sie ließen sich von dem Trollmädchen ein Stück weiter den Strom hinauf führen.

      Dort befand sich eine Stelle, an welcher eine kleine Stufe im Gelände den Lauf des Wassers hemmte. Eine Reihe von Findlingen ragten hier und da hervor. Zwischen die einzelnen Brocken waren Baumstämme geschwemmt worden, die solcherart eine treibende und schwankende Brücke bildeten.

      „Wie, bei aller Zeit, sollen wir da denn unsere Pferde hinüberführen können?“, fragte Sejarl. „Da ist ja an einigen Stellen nur ein einzelner, glitschiger Stamm, um darüber zu balancieren.“ Nach dem, was er sah, wäre es selbst für einen leichten Menschen ein Kunststück von großem akrobatischen Können gewesen, den Überweg vor ihnen zu gehen. Für ihre Stahlrösser, deren Hufe schon im Kies der Böschung gänzlich versanken, erschien er ihm nicht gangbarer als die Wasseroberfläche daneben.

      Leihani schenkte ihm einen langen, verständnisvollen Blick. Dann sprang sie auf die Stämme und lief über sie hin, als ginge sie auf der breitesten aller Pflasterstraßen. In der Mitte des Stromes drehte sie sich um und winkte den Zurückgebliebenen zu.

      „Nun kommt schon!“, rief sie.

      „Aber unsere Pferde...“, setzte Sejarl an.

      Ihlsteg unterdessen nahm allen Mut zusammen. Er setzte einen Fuß auf das unsicher schwankende Gebilde aus Ästen, Stämmen und Felsen. Schritt für Schritt tastete er sich voran, gewann dabei zusehends an Sicherheit, und stand schließlich einige Mannslängen weit draußen auf den Wellen. In aller Gemütsruhe winkte er Sejarl.

      „Es geht irgendwie. Probier es aus!“, schloss er seinen Ruf dem des Mädchens an.

      Sejarl verschränkte die Arme und starrte ihn an. Einen weiteren Hinweis auf die Pferde wollte er sich ersparen.

      „Jetzt hol schon endlich dein vermaledeites Pferd!“, versetzte Leihani, „Du wirst sehen, es kommt mit dir.“

      Ihlsteg schaute daraufhin auf, ging zu seinem Tier zurück, und führte es vorsichtig auf das Treibgut hinauf. Dieses trug die schwere Last, ohne dabei auch nur im Geringsten einzusinken. Der Ritter führte das Ross am Zügel weiter und weiter, und die breiten, harten Hufe fanden sicheren Platz und Halt. Selbst auf einzelnen, dünnen Stämmen rutschte das Pferd weder aus, noch scheute es.

      „Solange ich bei euch bin, wird nichts passieren“, ergänzte die Trollin.

      Nun erst folgte auch Sejarl. Schnell musste er feststellen, dass er den Worten ihrer Führerin ebenso gut gleich hätte folgen können. Nicht, dass wirklich mehr Platz für ihn und sein Ross dagewesen wäre. Vielmehr verhielt es sich so, dass das, was da war, ihm in jeder Hinsicht sicherer und besser erschien, ohne dass dieser Schein die Augen getrogen hätte. So konnte Sejarl nicht sagen, ob er vom Ufer aus einem Trugbild aufgesessen war, oder ob sich hier tatsächlich auf magischem Wege etwas verändert hatte, als sie die Brücke betreten hatten.