Paul Tobias Dahlmann

Der fahle Ritter


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diesen Rat hatte der fahrende Ritter im Zwergenland schon oft erhalten und er war unterwegs, ihn zu befolgen.

      Daher trank er sein Bier aus, verabschiedete sich höflich, verließ die Wirtschaft, bestieg sein Ross und ritt wieder hinaus aus der Stadt. Die Sonne stand noch recht weit über dem Horizont und Schatten des späten Nachmittages wiesen ihm die Richtung des Weges.

      Gute fünf Tage noch reiste Sejarl nach der Hauptstadt, bis er sie endlich erreichte. Nichts widerfuhr ihm noch bis zu seinem Eintreffen. Auch gab es nichts, was ihm selbst besonders aufgefallen wäre, außer einer Sache. Nun, wo er darauf achtete, bemerkte er das Fehlen eines Teiles an jungen Männern unter den Zwergen, welche zu den Truppen einberufen worden waren.

      Als er schließlich während der Zeit der Abenddämmerung sein Ziel erreichte, staunte er sehr über die Größe und Pracht der Hauptstadt des Reiches. Zwar war sie, wie alle anderen Zwergenstädte auch, in den Boden hinein gegraben, welchen hier eine flache, bewachsene Felsebene bildete, jedoch fanden sich überall kleine Türmchen und Plattformen, die sich über diese hinaus erhoben.

      Darum war Kom-Kabań bereits aus größerer Ferne zu sehen gewesen, denn auf den Spitzen dieser Türme war viel Glas und Gold und Kupfer, welches in der Sonne leuchtete und dem Reisenden schon von Weitem den Weg nach der Stadt hin wies.

      Staunend passierte Sejarl die Grenzen der Stadt. Keine Mauer, kein Graben und keine sonstige Befestigung hielten ihn auf. Die schiere Größe und der Glanz der zahllosen Gebäude, die er passierte, als er dort auf einer hell ausgeleuchteten Prunkstraße dem Zentrum entgegen ritt, drohten ihn zu überwältigen. Nie zuvor war er in einer Siedlung gewesen, deren Dimensionen auch nur annähernd mit denen dieses Ruhmesplatzes der Zwerge hätten in einen Vergleich treten können. Überall leuchtete und glitzerte es von Glas und Edelsteinen.

      Nirgendwo konnte man auch nur einen Hauch von Armut oder auch nur menschlicher Normalität entdecken, welche den Schein gestört hätten. Die Leute gingen in reichem Staat umher. Wann immer er anhielt, um diese oder jene sehenswerte Sache zu bestaunen, sei diese ein Gebäude, ein Brunnen oder ein Kleinod in der Auslage eines Händlers gewesen, so wurde er von jedermann freundlich gegrüßt. Niemand zeigte auch nur das kleinste Anzeichen von Überraschung wegen seiner Andersartigkeit.

      Langsam ritt er so weiter, und es dauerte lange, bis er das Zentrum erreicht hatte. Dort liefen aus drei von vier Himmelsrichtungen die Straßen auf einem großen Platz zusammen. In der vierten erstreckte sich ein einziger, riesiger Gebäudekomplex, glänzend von seinen gläsernen Fassaden und seinen weißen Säulen, die sich entlang seiner sieben überhohen Stockwerke hinauf in den Himmel erhoben.

      Ein einzelner Graben mit einem dünnen Zaun auf der Innenseite umgab die Anlage, nur an einer Stelle zur Seite des Platzes hin unterbrochen von einem mit unzähligen Ornamenten verzierten, schmiedeeisernen Torbogen. Dieser war groß genug, dass drei große Kutschen nebeneinander durch ihn hätten hindurch fahren können.

      Dies muss der Palast des Königs sein, dachte Sejarl. Doch was nun? Wo kann ich hier jemanden finden, dem ich meine Fragen stellen kann? Suchend sah er sich um. Unschlüssig stieg er von seinem Pferd ab und überlegte, ob es in der Umgebung vielleicht eine Bibliothek gäbe, wo man ihm weiterhelfen könnte.

      Indem er dort wartend auf dem Platz stand, umgeben nur von wenigen, vorbeigehenden Zwergen, war er gut zu sehen für jedermann.

      „Da, seht nur! Ein Fradewiser!“, erklang plötzlich ein Ruf und hallte über den Platz hinweg.

      Überrascht zuckte Sejarl zusammen. Niemand anderes als er hätte gemeint sein können.

      Schon kamen aus der Richtung des Torbogens zwei Wachen auf ihn zugeeilt und hasteten dabei sehr auf ihren kurzen Beinen. Beide trugen rotes Ornat, und in ihren Händen hatten sie Hellebarden mit riesigen Axtköpfen.

      „Bitte Herr, wir heißen Euch willkommen“, sprudelte einer der zwei los, kaum, dass er bei dem Ordensritter angekommen war. „Wenn Ihr uns folgen wollt; wir werden Euch in den Palast führen.“

      Mehr als nur ein wenig verwundert wollte Sejarl etwas darauf erwidern, kam aber nicht dazu. Allzu sehr drängten ihn die Zwerge dazu, ihnen zu folgen. Allzu schnell war er durch die eisernen Flügel hindurch und samt Ross und Windgeist innerhalb der Mauern der hochherrlichen Residenz. Auch schwatzten die Wachen die ganze Zeit fröhlich miteinander und waren dabei stets nur mit sich selbst beschäftigt.

      Sejarl konnte aus ihren Worten nichts entnehmen, als dass sie sich eine Belohnung von ihrem Vorgesetzten dafür versprachen, ihn entdeckt zu haben.

      Anfangs führte ihr Weg durch einen riesigen Tunnel, der hinter dem Tor begann. Dann bogen sie ab in einen etwas schmaleren Flur und Sejarl musste sein Pferd zurücklassen, indem er es an einem Kupferring an der Wand festband. Danach begann eine endlose Irrfahrt für ihn, hindurch durch zahllose Gänge und Korridore, die bald mit wertvollen Teppichen ausgelegt waren.

      Auch wechselten zweimal die Wachen, die ihn eskortierten, und beide Male waren die neuen in teurere Tuche gehüllt und mit prunkvolleren Waffen ausgestattet. Auch die jeweils neuen Wachen schienen zwar glücklich wegen seiner Anwesenheit, gaben aber keine wirkliche Auskunft.

      So kam Sejarl schließlich an vor einem mehr als zweimannshohen Portal aus reinem, getriebenen Gold. Weit stießen die Wachen die Flügel auf und eröffneten den Blick hinein in einen von magischen Kristallen in der Decke bunt und taghell ausgeleuchteten Saal. Dieser war kostbarer eingerichtet, als es sich der fahrende Ritter jemals hätte ausmalen können.

      Aus schwarzem Holz waren die Stühle, die an den Wänden standen, und beschlagen mit Weißgold. Über ihnen hingen Wandteppiche aus reinem Brokat bis in eine Höhe, die so Manchen schwindeln gemacht hätte. Die Läufer am Boden waren nicht minder prächtig und zeigten dabei, ebenso wie ihre Pendants an den Wänden, Landkarten aus den entferntesten Reichen. Überall über den riesigen Raum verstreut fanden sich Ständer aus Traumsilber, jenem Metall, von dem man sagt, es entstünde innerhalb von Steinen, die aus reiner Liebe geschenkt werden. Auf den Ständern angebracht waren faustgroße Kristalle und einige jener seltenen Kugeln, die eine wahre Antwort auf eine ihnen gestellte Frage spüren lassen, wenn man sie berührt. Leider fehlte es diesen Antworten meist allerdings an Konkretheit.

      Am weit entfernten anderen Ende des Saales beeilte sich soeben eine Gestalt, auf einem übergroßen Thron platzzunehmen.

      Und von irgendwoher erklang eine Stimme, die rief: „Leutlań von Kom-Kabań , König aller Zwerge. Es betritt den Saal: Der Gesandte des hohen, geistigen Ritterordens von Fradewis.“

      Sejarl stand wie vom Donner gerührt. Was geht hier vor? Was will nur der König selbst von mir? Wie nur könnte er je von mir gehört haben, wo ich doch nichts bin als gewöhnlicher Ritter meines Ordens und auf einer Fahrt, die für uns nicht weniger üblich ist? Und wieso sagt er „Gesandter“?

      Schon tönte die Stimme des Königs von seinem Platz aus zu ihm herüber: „Ah, ich freue mich, Euch zu sehen. Tretet näher! Kommt an meinen Stuhl heran!“

      Es gab nichts, was Sejarl hätte tun können, als diesem Worte zu folgen. Flisch folgte ihm. Durch das Meer aus Sternenfarben hindurch bewegte er sich gemessenen Schrittes zum Thron hin, während sein Geist betäubt war sowohl von seinem eigenen, aufgewühlten Herzen wie auch vom äußeren Glanz. Nur der Windgeist schwirrte unbeirrt und ausgelassen um ihn herum, ohne dass ihn jemand weiter beachtet hätte.

      So trat Sejarl vor den Thron, und sah dem König ins Angesicht. Dieser war ein Zwerg von mittlerem Alter, gekleidet in roten und weißen Samt. Sein Thron wirkte wuchtig und klobig und war aus einem einzigen, großen Block Kupfererz herausgeschnitten. Auf ihm eingraviert fanden sich zahllose Runen, deren schiere Macht sie leuchten ließ. Auch eine Krone aus Kupfer trug der König, bestehend aus elf rechteckigen Platten, die zu einem Ring zusammengeschweißt waren.

      Auch auf jeder dieser Platten fanden sich Runen, doch nur drei von ihnen glühten. Das Gesicht des Königs wurde umrahmt von einem gut gestutzten, leuchtendroten Bart, und es zeigte die ruhigen, steten Augen gehüllt in Sorgenfalten.

      Das ist das Gesicht eines Beamten, dachte Sejarl unwillkürlich. Nicht das