Paul Tobias Dahlmann

Der fahle Ritter


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waren die Ritter schon an die Gruppe heran. Aus dem Augenwinkel erkannte Sejarl, dass sein Ordensbruder die gleichen Gedanken gehabt haben musste wie er, denn auch er trieb sein Ross nun zum Äußersten an.

      Beide Ritter planten gleich, beide hielten die Waffen fest und die Zügel noch fester und trieben ihre Pferde an, so schnell zu galoppieren, wie es diesen möglich war. Als sie an die Gruppe der Bergmenschen herangekommen waren, rissen sie an den Zügeln und verlangten von den Pferden den Sprung. Der Weg hatte sich dort, an jener Stelle, bereits wieder zu neigen begonnen. So gelang den schweren Stahlrössern ein viele Mannslängen weiter Satz, der sie über die Köpfe der meisten Gegner hinweg trug, und den Rest von jenen zu allen Seiten fortschleuderte. Wie loses Geäst wurden viele vom Andruck der stählernen Leiber durch die Luft geworfen. Sogleich brach lautes Geschrei und Gekreische unter ihnen aus.

      Die Ritter aber wurden sich nun mit einem Male eines Problemes anderer Art bewusst: Indem sie nämlich die Passhöhe nun hinter sich hatten, so sahen sie vor sich keinerlei Halt mehr. Da war nur noch ein abschüssiger Hang, welcher hier, auf der Abendseite der Berge, gänzlich im Dunkeln lag. Die Pferde waren zu schwer und nicht mehr zu bremsen.

      Alles Reißen an den Zügeln half nichts. Beide Reiter schossen über einen Klippenrand. Unter einem kalten, dunklen Himmel, an dem die ersten Sterne erschienen, stürzten sie auf einen Boden, der nicht zu sehen war. Kalt schlugen die eisernen Hufe auf den abschüssigen Felsen, so dass Sejarl und Ihlsteg gelegentlich in flüchtigem Hinabschauen die Funken fliegen sehen konnten.

      Gewöhnliche Pferde wären bei solchem Ritt, der nun für sie begann, unweigerlich gestrauchelt und hätten sich und ihre Reiter zu Tode gestürzt. Allein die Hufe der Stahlrösser bohrten sich wie Stemmeisen in das feste Felsgestein. Dies vermochte ihre Geschwindigkeit wieder ein wenig zu verringern. Trotzdem hätte ein einziger, loser Gesteinsbrocken auch diese Tiere zum Ausrutschen bringen können, doch dieser einzige kam nicht.

      Die Reiter verkrampften sich und hatten Mühe, sich auf den Rücken der Pferde zu halten, die alleine hier noch eine Vorstellung davon haben mochten, wie der Grund unter ihnen beschaffen war. Festgeklammert hockten sie da, hinter ihnen, unter ihnen und vor ihnen nichts als undurchdringliche Finsternis.

      So ging es hinab, weiter, rasend , den Atem raubend. Es ging so für eine Weile, die im Nachhinein keiner der beiden genau hätte einschätzen können. Als die Pferde schließlich am Ende doch noch langsamer wurden und schließlich anhielten, ließen sich die zu Tode erschöpften Reiter umgehend aus den Sätteln gleiten. Sie fielen dort, wo sie abgestiegen waren, noch an derselben Stelle in einen einer Ohnmacht gleichenden Schlaf.

      Am nächsten Morgen, als die Sonne sie wachkitzelte, fanden sie sich auf einem kleinen, buschbewachsenen Plateau am Rande der Baumgrenze wieder. Der Bergrücken lag, von kleinen Wölkchen umkränzt, in weiter Ferne hinter und über ihnen. In der milden Luft waren die Länder, welche nun zu ihren Füßen lagen, gut auszumachen.

      Direkt am Fuße der Berge lag eine weite Landschaft von kleineren und größeren, silberglänzenden Flüssen und grünen Auen. Die Flüsse dort flossen ständig auseinander und wieder zusammen, so dass sie kleinere und größere Inseln bildeten, und das Ganze von oben wie das Bild eines verwinkelten, wundersamen Gartens wirkte.

      Fern noch hinter jener Gegend lag ein Land, welches in weiten Flächen gelb war von der Farbe des Korns und der Ackerpflanzen. Hier und da waren sogar von der fernen Bergflanke aus noch die Rauchsäulen von den Herdfeuern aus größeren Ortschaften zu erkennen. Allen Berichten nach, die sie gehört hatten, wussten Sejarl und Ihlsteg, was dies dort für ein Land sein musste. Es war das Königreich der Zwerge, genannt Kom.

      In lichten Auen

      Gute zwei Tage hatte Sejarl und Ihlsteg der Abstieg von den Bergen gekostet. Immer wieder hatten sie nach jenem Weg Ausschau gehalten, den sie nach dem Kampf auf der Passhöhe verloren hatten. Sie hatten ihn jedoch nicht wieder gefunden. Auf der anderen Seite waren aber auch die haarigen Bergmenschen seit dieser Zeit nicht wieder aufgetaucht. Also waren sie zufrieden mit den Dingen.

      Ihren Abstieg hatten sie fortgesetzt, indem sie sich ihren Weg durch Bachbetten, sowie über Seitengrate und Wildpfade gesucht hatten. Die grüne Waldlandschaft hatte sich dabei zunächst nicht groß von jener auf der anderen Seite der Berge unterschieden. Gelegentlich hatte es Engpässe gegeben, Dickichte, durch die sie sich einen Weg hatten hauen müssen, steile Abhänge, die sie weiträumig hatten umgehen müssen, und kleine Schluchten, die sie nur sehr mühselig hatten überwinden können. Mit der Zeit jedoch flachte das Bergland ab, und die Hänge wurden besser passierbar.

      Oftmals wunderten sich die Ritter, denn das Gelände begann, lichter und offener zu werden, ohne, dass es einen erkennbaren Grund dafür gegeben hätte. Der Boden war fruchtbar, bewässert durch zahlreiche, kleine Bäche, und die Sonne schien freundlich und mild auf das Land herab. Dennoch gedieh hier kein wild wuchernder Urwald, wie man ihn in den Ordenslanden unter solchen Bedingungen hätte erwarten können. Die Bäume standen recht weit auseinander. Immer zahlreicher wurden die Lichtungen, auf denen das satte Grün kniehoch wuchs, und an deren Rändern sich so mancher beerentragende Busch finden ließ.

      Das Vorankommen wurde den Pferden immer leichter. Bald drängte sich Sejarl der Eindruck auf, er befände sich auf einem Spazierritt hin zu einem Festplatz, und nicht auf einer Abenteuerfahrt in der Fremde. Das Gelände fiel weiterhin sanft ab. Hierdurch in frohe Stimmung versetzt, erreichten die Ritter schließlich am Morgen des dritten Tages den ersten der breiteren Flussläufe, die sie vom Berghang aus gesehen hatten.

      Ein sanft vor sich hinplätschernder Arm war es. Sein Wasser sprang über steinerne Schnellen hinweg, und sein durch das glasklare Nass an vielen Stellen hindurch schimmernder Grund war kaum tief zu nennen. Die Ritter mussten nicht lange suchen, bis sie eine Furt gefunden hatten. Nach allen Seiten sprühten wässerne Perlen, während die schweren Stahlrösser schnell und unbehindert zum anderen Ufer gelangten.

      Als sie dieses hinauf ritten, fanden sich die Reisenden in einem sonnendurchfluteten Auwald wieder. Sein ganzer Boden war ein einziger Teppich aus Blauen Mittagsblüten. Diese Blumenart, die man in ihrer Heimat nur selten einmal, und wurde in den berühmtesten Gärten sorgsam gehütet. Niemals wuchsen sie dort wild an freien Flüssen. Durch diesen Hain ritten sie langsamer. An seinem Ende fanden sie einen weiteren Flussarm vor, den es zu durchqueren galt.

      Als sie über ihn hinwegblickten, sahen sie auf der anderen Seite etwas, dass sie beide unwillkürlich zusammenzucken ließ. Ein Schauer der tiefsten Verwunderung lief ihnen über den Rücken. Was sie sahen, war ein Baum, groß und hoch gewachsen. Er überragte alle anderen Bäume um ihn herum um das Doppelte. Trotzdem war er schlank und zart von Jugend. Die Blätter an diesem Baum zeigten alle Stadien, die sie im Laufe eines ganzen Jahres hätten annehmen sollen, in einem Moment gleichzeitig. So kam es, dass neben erblühendem, frischem Grün und anderen Blättern in der vollen Fülle des Sommers auch rostrote und orangene an den Zweigen hingen. Das merkwürdigste aber war, dass sich von diesem Herbstlaub auch andauernd ein kleiner Teil abfiel. Deshalb wehte von den Ästen des Baumes ein hauchfeiner, nebelgleicher Regen kleiner und kleinster Blätter und Blättchen nieder. In demselben hatte sich ein Regenbogen gebildet.

      Grimmig nickte Sejarl vor sich hin. Dann wandte er sich an seinen Ordensbruder: „Dir ist klar, wo wir hier sind?“

      „Natürlich. Das hier ist ein Trollwald.“ Auch Ihlsteg hatte die Erkenntnis verunsichert. Dennoch beeilte er sich, hinzuzufügen: „Dann stellt sich jetzt die Frage, ob die Trolle uns gut oder schlecht gesonnen sind.“

      „Auf jeden Fall dürfen wir uns nicht von dem schönen Schein trügen lassen“, sagte Sejarl. Von Kindesbeinen an hatte man ihn davor gewarnt, dass Trolle untereinander keine Unterschiede zwischen Gut und Böse machten, oder zwischen Klug und Dumm. Verschiedenartigste Wesen lebten bei ihnen an einem Ort zusammen. Was für einem Wesen sie hier zuerst begegnen mochten, war reine Glückssache.

      Von nun an ritten Sejarl und Ihlsteg vorsichtig und voller Misstrauen weiter, ständig die Seiten ihres Weges im Auge behaltend. Auch der zweite Flussarm war schnell durchritten und der Wald dahinter erstreckte sich