Bärbel Junker

Gang ohne Wiederkehr


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war auf der Universität in Hanoi eines meiner Studienfächer“, erwiderte der Vietnamese.

      „Sie sagten, Sie seien mit der Frau auf dem Foto zusammen aufgewachsen“, schwenkte Heckert zu dem Thema über, welches seinen Besucher zu ihm geführt hatte.

      „Das ist richtig. Ich war entsetzt, als ich das Foto zufällig in der Zeitung sah, denn ich erkannte, dass es nicht die Abbildung einer Lebenden ist. Und da ich hier bei der Mordkommission bin vermute ich, dass Huong einem Verbrechen zum Opfer fiel. Wie ist sie gestorben, Herr Kommissar Heckert?“, wollte Chung wissen.

      „Zur Zeit vermuten wir zuerst einmal nur ein Verbrechen“, erwiderte Heckert zurückhaltend.

      „Sie sind sich nicht sicher? Wieso?“

      „Sie stürzte einen steilen Abhang hinunter, der an einem Fluss liegt. Hier schlug sie in einem darin dümpelnden Boot auf und brach sich das Genick“, erklärte Heckert.

      „Aber dann war es doch ein Unfall. Wieso ermittelt dann aber die Mordkommission?“, wunderte sich Chung, der sich auszukennen schien.

      Kommissar Heckert musterte den Vietnamesen nachdenklich.

       Versucht dieser Mann mich auszufragen? Wieviel gebe ich preis? Erzähle ich ihm von der Verfolgung und der schrecklichen Bissverletzung? Falls ich es jedoch verschweige, dann muss ich dafür sorgen, dass er bei der Identifizierung lediglich das Gesicht der Toten zu sehen bekommt. Aber was antworte ich ihm?

      Chung sah den Kommissar ruhig an. Geduldig wartete er darauf eine Antwort zu bekommen.

      „Wir ermitteln deshalb, weil uns die Umstände, die zum Tode der bedauernswerten jungen Frau führten, nicht ganz klar sind. Wir fragen uns, wieso und wodurch sie dort abstürzte und was sie dort im Dunkeln zu suchen hatte“, erwiderte Heckert vorsichtig.

      Markus Jansen wollte etwas dazu sagen, doch Heckerts warnender Blick hielt ihn davon ab.

      Chung erwiderte nichts, sah den Kommissar nur an.

       Er verschweigt mir etwas, dieser Kommissar Heckert. Aber ich werde es herausfinden.

      „Sie sagen, Huong war in der Dunkelheit an einem Fluss. Aber wer geht des Nachts dorthin? Was soll sie da getan haben?“, fragte Chung.

      „Wir wissen es nicht, Herr Chung. Aber genau das ist der Grund aus dem wir ermitteln“, mischte sich Kommissar Jansen ein.

      „Fühlen Sie sich dazu in der Lage die Tote zu identifizieren, Herr Chung?“, fragte Heckert ablenkend.

      Chung nickte. „Ja, Herr Kommissar. Denn es ist für mich sehr wichtig zu wissen, dass es wirklich Huong ist“, erwiderte er leise.

      „Dann melde ich eben unseren Besuch bei dem Rechtsmediziner an“, sagte Heckert und verließ eilig den Raum.

      Kommissar Jansen, der ihm anfangs verwundert hinterher gesehen hatte, begriff jedoch sehr schnell, dass sein Chef wohl etwas mit dem Rechtsmediziner zu besprechen hatte, was der Besucher auf keinen Fall hören sollte.

      Er überlegte, was das sein könnte.

      Dabei fiel ihm auf, dass dem Vietnamesen die schreckliche, durch einen Hund verursachte Schulterverletzung verschwiegen worden war. Und wenn dieser davon nichts wissen sollte, durfte dieser Herr Chung nur das Gesicht der Toten sehen und auf keinen Fall etwas von ihrem Körper.

      „Dr. Roth erwartet uns. Wir können sofort zu ihm runterfahren“, sagte Heckert, als er zurückkam

      Die Rechtsmedizin befand sich im Souterrain des Gebäudes. Schweigend fuhren sie mit dem Fahrstuhl hinunter. Sie gingen einen langen Gang entlang. Vor der letzten Tür blieben die beiden Kommissare stehen.

      Heckert ließ Chung vorgehen. Ohne zu zögern betrat dieser den Raum, in dem Dr. Roth sie neben einer Bahre stehend erwartete. Er begrüßte den Vietnamesen und trat dann von der Bahre zurück.

      Chung starrte auf den abgedeckten Körper, der sich unter dem grünen Leichentuch schwach abzeichnete.

      Sein Herz hämmerte wie verrückt; seine Hände waren eiskalt; Tränen drängten sich in seine Augen, die er nur mit äußerster Willensanstrengung zurückzuhalten vermochte.

      Nach außen hin wirkte er unbeteiligt und kühl. In seinem Inneren jedoch tobte ein Orkan aus Schmerz, Trauer und Verzweiflung über den leidvollen, unersetzlichen Verlust.

      Auf ein Nicken Heckerts trat der Rechtsmediziner vor und schlug den Teil des Tuches zurück, der das Gesicht bedeckte. Der übrige Teil des schmalen Körpers war so fest eingepackt, dass das Leichentuch keinen Millimeter verrutschten konnte.

      Chung trat dicht neben die Tote und sah in ihr starres Gesicht, in dem einst das Lachen zu Hause gewesen war. Er wand sich innerlich vor Schmerz.

       Alles vorbei meine geliebte Huong.

       Alles auf ewig vorbei!

       Nach einem gemeinsamen Leben sehnten wir uns so sehr, doch es war uns nicht vergönnt. Wir wünschten uns Kinder, einen Jungen und ein Mädchen; sahen sie herumtollen in unserem Garten vor dem kleinen, mit leuchtenden Bougainvillea bewachsenen Haus.

       Nichts davon hat sich erfüllt. Skrupellosigkeit und Geldgier zerstörten unsere Träume, vernichteten unsere gemeinsame Zukunft. Einzig grauenhafter Seelenschmerz blieb mir von all unserem Glück. Leid, das fest verschlossen auf ewig in mir ruht. Ich bringe dich nach Hause, meine Liebste. Du wirst in heimatlicher Erde ruhen.

      „Was sind das für Schnitte in ihrem Gesicht?“, fragte Chung, der sich von dem wie heiße Lava in ihm brodelnden Kummer nichts anmerken ließ.

      „Sie muss sie sich an den Dornenbüschen zugezogen haben“, erwiderte der Rechtsmediziner.

      „Sie meinen, als sie den Abhang runterstürzte, fiel sie in Dornenbüsche?“, fragte Chung zweifelnd.

      Dr. Roth sah ihn verwundert an, antwortete jedoch nicht.

       Was verbergen sie vor mir? Was soll ich nicht erfahren? Und warum ist Huong bis fast zum Kinn so fest eingepackt?

      „Die Verletzungen müssen von ihrem Sturz den Abhang hinunter stammen“, antwortete Heckert anstelle des Arztes.

       Von wegen!

      Ich habe schon viele Tote gesehen. Derartige Schnitte fügt man sich kaum bei einem Sturz den Abhang hinunter zu, sondern beim Laufen durch stacheliges Gebüsch oder dicht daran vorbei, dachte Chung.

      Doch diese Gedanken verbarg er. Sein Gesicht blieb kühl und distanziert. Er nickte nur und tat so, als nehme er diese mehr als fadenscheinige Erklärung als gegeben hin.

      „Ist es diejenige, die Sie vermuteten?“, fragte Heckert.

      „Ja, Herr Kommissar. Es ist Tram Anh Huong“, erwiderte Chung leise.

      „Ich möchte sie nach Vietnam überführen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Bescheid geben würden, wann ich das Nötige veranlassen kann“, bat Chung.

      „Vermutlich wird das schon sehr bald sein, Herr Chung. Die Untersuchungen sind fast abgeschlossen“, erwiderte Heckert.

      „Wir benötigen sowieso noch Ihre derzeitige Adresse, falls noch irgendwelche Fragen auftauchen sollten“, fügte Kommissar Jansen hinzu.

      Sie begaben sich zurück in Heckerts Büro, wo Chung seine Adresse und seine Handynummer hinterließ.

      „Sie wohnen in einem Hotel?“, fragte Kommissar Jansen überrascht, als er die Angaben notierte. „Sagten Sie nicht, Sie würden Verwandte besuchen?“

      „Meine Verwandten haben nur eine kleine Wohnung, deshalb ziehe ich den Aufenthalt in einem Hotel vor“, erwiderte Chung gelassen.

      „Können wir Sie bei Ihren Verwandten erreichen?“, fragte Heckert, dem die Erklärung nicht besonders