Bärbel Junker

Gang ohne Wiederkehr


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Du hattest doch sicherlich eine Taschenlampe dabei, oder? Wenn nicht, wäre das ja ein weiterer dummer Fehler von dir, nicht wahr?“

      Hanno nickte zitternd.

      „Dir ist doch hoffentlich klar, was das für dich bedeutet, Hanno? Oder etwa nicht?“

      „Nein, bitte nicht, Chefin! Ich hab Ihnen immer treu gedient. Jeder kann doch mal einen Fehler machen“, flehte der Mann.

      „Bei mir nicht, Hanno. Ich dulde niemals Fehler.

      Ich bestrafe sie!

      Ausnahmen gibt es bei mir nicht. Du hast es dir selbst zuzuschreiben“, entschied sie bar jeglichen Gefühls.

      Sie nickte dem Zweimetermann zu, der regungslos wie eine Statue neben der Tür stand und sie nicht aus den Augen ließ. Für Johanna Bach, die er hündisch verehrte, hätte er sich in Stücke schneiden lassen.

      Er liebte sie, verehrte sie, blickte zu ihr auf und bewunderte sie über alle Maßen.

      „Du weißt, was du zu tun hast, Sergej“, wies sie ihren Leibwächter und Vertrauten an.

      Dieser nickte.

      Er löste sich von seinem Platz und trat hinter den Stuhl, auf dem Hanno Stegner zitternd hockte. Mit völlig ausdruckslosem Gesicht klopfte er dem Todeskandidaten grob auf die Schulter. Es war der Befehl aufzustehen, denn sprechen konnte Sergej nicht.

      Er war stumm.

      Hanno Stegner, selbst ein skrupelloser Mörder, der sein Opfer verhöhnt und mit der kleinen Vietnamesin nicht einen Hauch von Mitleid empfunden hatte, stand auf. Seine Beine zitterten jedoch so stark, dass er sich einen Moment lang an der Stuhllehne festhalten musste.

      „Bitte, Chefin“, bat er mit zittriger Stimme. „Bitte, nicht die Hunde.“

      Johanna Bach musterte ihn so gleichgültig, als sei er ein lästiges Insekt.

      „Schaff ihn mir aus den Augen, Sergej“, befahl sie eisig.

      Der Russe packte Hanno an den Schultern und schob ihn grob vor sich her. Sein Opfer hatte seinen dicken Muskelpaketen, seiner gewaltigen Kraft, nicht das Geringste entgegenzusetzen. Vielleicht, wenn er seine Waffen dabei gehabt hätte, obwohl das auch eher zweifelhaft war.

      Allerdings gelangte niemals jemand mit einer Waffe zu der Chefin dieser Verbrecherbande, dafür war sie viel zu vorsichtig. Sie kannte sich in dem Milieu besser aus, als viele andere.

      Sie war skrupellos, raffiniert und intelligent. Sie agierte mit Erfolg aus dem Verborgenen, streckte ihre geistigen Fühler wie die Tentakel eines Kraken aus und erschloss für sich und ihre Organisation ständig neue, zumeist mitleidlose, jedoch sehr einträgliche Geschäfte.

      Johanna Bach verschwendete weder Gefühle – falls sie überhaupt welche besaß – noch Gedanken an andere.

      Als sich die Tür hinter den beiden Männern schloss, hatte sie den Todeskandidaten bereits aus ihrem Gedächtnis gestrichen.

      „Nicht zu den Hunden, Sergej.

      Bitte, nicht!“, wimmerte der Todeskandidat.

      „Erschieß mich, das ist mir egal. Aber bitte tu das nicht, was die Chefin dir befohlen hat. Sie weiß es doch nicht, Sergej. Du brauchst es ihr doch nicht zu sagen“, flehte Hanno. Ein Mörder, der noch vor kurzem seinen Hund getreten hatte, weil er diesem nicht beim Zerfleischen seines Opfers hatte zusehen können.

      Das ist ausgleichende Gerechtigkeit, würde vielleicht so manch einer zu seinem sich abzeichnenden, baldigen Schicksal sagen.

      Sergej schüttelte abweisend den Kopf.

      Was für ein Ansinnen von diesem Narren.

      Wusste dieser denn nicht, dass er stets genau das tun würde, was seine von ihm vergötterte Chefin ihm befahl? Und natürlich würde er sie niemals belügen, sie niemals hintergehen, würde bis zum Tod zu ihr halten.

      Denn seine Treue zu ihr war absolut!

      Ob sie ein Engel war oder ein Teufel, eine Mörderin oder eine Nonne, all das zählte für Sergej nicht.

      Für ihn war Johanna Bach alles. Sie war sein Leben. Ohne sie hörte er auf zu existieren.

      Er gab Hanno einen Schubs, was hieß er solle schneller gehen. Zielstrebig trieb er ihn auf seinen Geländewagen zu, der in einer Seitenstraße des Clubs parkte. Hier angekommen, drängte er sein am ganzen Leib zitterndes Opfer auf den Beifahrersitz.

      Hanno Stegner saß kaum, da versenkte ihn ein gezielter Handkantenschlag in tiefe Bewusstlosigkeit, die bis zu ihrem Ziel andauern würde.

      Sergej schwang sich hinters Steuer, startete den anthrazitfarbenen Geländewagen und fuhr davon, um seinen Auftrag zu erfüllen.

      Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. In seinen schlammfarbenen Augen spiegelte sich keinerlei Gefühl. Die schmalen, stets zu einem Strich zusammengepressten Lippen kannten keine Zärtlichkeit. Streichholzkurze dunkelblonde Haare betonten das Kantige des Kopfes. Und das vorspringende Kinn betonte zusätzlich die Gnadenlosigkeit und Kälte dieses Mannes.

      Doch auch er war durch die Grausamkeit und Manipulation verbrecherischer Menschen zu dem geworden, was er jetzt war. Sie waren es gewesen die ihm seine Zunge, seine Männlichkeit, seine Sprache und sämtliche Gefühle genommen hatten.

      Das mochte vielleicht keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für sein von Gewalt geprägtes Leben sein. Jedoch gab es einen gewissen Einblick, wozu die Gnadenlosigkeit und Boshaftigkeit anderer einen Menschen bringen kann.

      Nur bei Johanna Bach kehrte ein wenig Wärme in diesen versteinerten Panzer zurück. Nur wenn er sie sah oder hörte fühlte er, dass er noch am Leben war, ein Leben, in dem es für ihn keinerlei Erinnerungen mehr gab. Denn auch die hatte man ihm genommen.

      Jetzt war er ein leeres, vollkommen unbeschriebenes Blatt. Vielleicht war Sergej Michailow noch nicht einmal sein wirklicher Name.

      War er überhaupt Russe? Er wusste es nicht und es war ihm auch gleichgültig wie alles in seinem jetzigen dürftigen Leben, alles, außer Johanna Bach.

      Denn sie war es gewesen, die ihn zufällig in einem Kellerraum entdeckte, in dem ihn seine Folterer mehr tot als lebendig gefesselt zurückgelassen hatten, um sich ihn am nächsten Tag noch einmal vorzunehmen, wie sie sagten.

      Es sei ein reiner Zufall gewesen, hatte sie ihm später erzählt. In dem bewussten Haus war ein Treffen mit einem Geschäftspartner vorgesehen gewesen, welches sich im letzten Moment zerschlagen hatte.

      Er war schwer verletzt und kaum noch bei sich gewesen. Er wäre gestorben, hätte sie sich seiner nicht angenommen und ihm die bestmögliche Pflege angedeihen lassen.

      Und als er dann endlich wieder körperlich genesen war, jedoch ohne die geringste Erinnerung, da hatte er sie händeringend angefleht bei ihr bleiben zu dürfen, um sie zu beschützen.

      Aber wohin hätte er auch gehen sollen?

      Er konnte sich nicht artikulieren und verfügte nicht über die geringste Erinnerung. Er hatte nur sie, die ihn so nahm wie er war. An sie klammerte er sich, suchte Halt an ihrer Stärke, sonnte sich in ihrer Sympathie, ihrem Vertrauen zu ihm.

      Mit sexuellem Bedürfnis hatte das absolut nichts zu tun. Auch das hatten ihm seine Folterer für immer genommen, ebenso wie seine Zunge.

      Und sie hatte ihn mit Freuden bei sich aufgenommen, denn sie brauchte zum Schutz vor ihren gefährlichen, ebenso skrupellosen, verbrecherischen Geschäftspartnern wie sie einer war, unbedingt jemanden, dem sie tausendprozentig vertrauen konnte.

      Jemanden wie ihn!

      Einen Vertrauten, der nur dann von ihrer Seite wich, wenn sie es befahl. Der zu jeder Tages- und Nachtzeit für sie da war, ihr sein Leben geweiht hatte.

      Sergej fühlte kaum jemals irgendetwas, denn auch seine Gefühle waren ihm verlorengegangen. Er kannte nur ein einziges Gefühl, die Sorge