Bärbel Junker

Gang ohne Wiederkehr


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niemand wird je erfahren, warum. Denn keiner kümmert sich darum, was in dem Anwesen und den anderen Unternehmungen dieser gnadenlosen Frau geschieht.

      Und von den Betroffenen erhält nie jemand die Gelegenheit sich um Hilfe von außen zu bemühen. Vielleicht würde sich in diesem Land die Polizei darum kümmern. Jedoch hat die vermutlich nicht die geringste Ahnung davon, was hier unter ihren Augen passiert.

       EIN ZEICHEN!

      Ich muss zumindest ein Zeichen hinterlassen, welches vielleicht anderen hilft; denn mein Leben ist verwirkt, wird hier und jetzt zu Ende gehen.

      Und warum auch nicht!

      Ich bin so müde, so erschöpft, so ohne jede Hoffnung. Sie haben mich zerstört, meine Seele befleckt und mir meine Ehre genommen.

      Ich will nicht mehr in ständig neue Gesichter sehen, fremde Körper spüren, wie erstarrt vor Ekel sein.

      Es muss endlich ein Ende haben!

      Und dann kommt ihr eine verzweifelte Idee.

      Sie reißt eine Dornenranke von einem Busch. Einen Moment lang setzt sie sich auf einen Baumstamm um ihr Vorhaben auszuführen.

      Sie muss sich dabei beeilen.

      Das Bellen kommt näher.

      Sie erschrickt. Was tun?

      Sie grault sich vor den schrecklichen Kampfhunden, die alle und jeden anfallen.

      Ich muss den Fluss erreichen. Ertrinken ist das kleinere Übel, denkt sie fatalistisch.

      Geschafft. Sie ist fertig!

      Sie wirft die blutverschmierte Dornenranke hinter sich und mobilisiert die letzten, ihr noch verbliebenen Kräfte.

      Wie von der Sehne geschnellt eilt sie davon, weiter, immer weiter, auf den Fluss zu.

      Doch ihre schwachen Kräfte erlahmen schon sehr bald. Sie wird langsamer. Glaubt schon nicht mehr daran es zu schaffen.

      Doch da ist er!

      Da ist der Fluss.

      Leise gluckernd zieht er seine Bahnen, schert sich nicht um die Sorgen der Menschen um sich herum.

      Sie steht am Ufer, zögert sekundenlang den letzten Schritt zu tun.

      Da durchbricht ein dunkles Knurren die Stille der Nacht.

      Sie dreht sich langsam um.

      Der riesige Hund steht geifernd sprungbereit vor ihr. Dicke Speichelfäden rinnen aus seinem Maul, hellblaue, fast durchsichtig wirkende Augen wenden keine Sekunde lang den Blick von ihr.

      Sie zittert vor panischem Entsetzen, vermag ihren Blick nicht von dem Furcht einflößenden Gebiss des Tieres zu wenden.

      Der Mann, der Hundeführer, lacht.

      „Na, jetzt fürchtet sich das kleine Schlitzauge wohl“, höhnt er. „Hast du Schlampe wirklich geglaubt, du könntest uns entkommen? Wenn nicht ich, dann hätte dich mein Kumpel geschnappt und dessen Hund ist noch gefährlicher.“

      Sie sieht ihn nur an, versteht diese Sprache kaum, nur wenige Worte, die ihr Chung beigebracht hat. Sie hat sich mit diesem deutschen Alphabet unheimlich schwer getan, bis sie es schreiben konnte und einigermaßen begriffen hatte. Auch jetzt versteht sie die Worte kaum, erkennt jedoch den darin enthaltenen Hohn.

      Langsam weicht sie vor ihren Mördern zurück.

      „Noch ein Schritt, dann stürzt du da runter. Aber wahrscheinlich wäre das ein angenehmerer Tod“, meint er grinsend.

      Sie sagt nichts, starrt ihn nur aus schreckgeweiteten Augen an, bis es ihm zu viel wird.

      „Fass, Bazoo!“, befiehlt der Mann.

      Da spannt sich der sehnige Körper des Tieres. Wie ein Pfeil fliegt es auf sein schreiendes Opfer zu, krallt sich fest an dessen Brust, beißt einmal so kräftig zu, dass es der Frau fast die Schulter wegreißt, bevor beide zusammen den steilen Abhang hinunter ins Wasser stürzen.

      Die junge Frau knallt unglücklich auf ein wurmstichiges Boot, das verborgen inmitten des dichten Pflanzenteppichs dümpelt.

      Genickbruch. Sie ist sofort tot.

      Der Hund schwimmt zurück zum Ufer, wo er mit einem Tritt von seinem Herrn empfangen wird.

      „Wo ist das verdammte Weib?

      Du hast sie doch wohl hoffentlich umgebracht“, knurrt er wütend darüber, dass er das blutige Gemetzel nicht mit ansehen konnte.

      Er läuft noch eine Weile suchend am Ufer entlang.

      Doch die Leiche findet er nicht.

      „Ist wahrscheinlich abgesoffen“, murmelt er rüde. Dann dreht er sich um und geht gefolgt von der missbrauchten Kreatur davon.

      DIE TOTE IM FLUSS

      „Ein Fußgänger hat zufällig von dort oben das Boot und die Leiche darin entdeckt“, erzählte Dr. Eugen Roth, der Rechtsmediziner.

      „Ist sie ertrunken?“, wollte Kriminalhauptkommissar Felix Heckert wissen. Ein fünfundfünfzigjähriger mittelgroßer, etwas untersetzter Mann mit kurzen graumelierten Haaren und intelligenten grauen Augen.

      „Nein. Sie hat sich das Genick gebrochen. Stürzte wohl von da oben in der Dunkelheit den Abhang hinunter. Außerdem hat ihr ein Hund fast die rechte Schulter weggerissen. Sie wäre wahrscheinlich verblutet.“

      „Das schließt dann ja wohl aus, dass sie freiwillig sprang, oder?“

      „Freiwillig wohl eher nicht, Felix“, erwiderte Eugen Roth etwas genervt. „Ich frage mich, was sie hier nachts im Wald gemacht hat? Und dann auch noch in dieser Kleidung. Sie muss doch hier des Nachts gefroren haben ohne etwas darunter.“

      „Sie trägt eine Kutte. Ob sie aus einem Kloster hier in der Nähe stammt? Gibt es hier überhaupt eines?“, fragte Kommissar Markus Jansen. Der große schlanke Mann mit den warmen braunen Augen, dem markanten Gesicht und dem vollen dunkelblonden Haar, war Heckerts Freund und Kollege.

      „Markus, wir haben hier eine tote Asiatin. Welches Kloster sollte das denn deiner Meinung nach sein?“

      „Ich meine ja nur, Felix. Aber so ganz unmöglich erscheint mir meine Annahme nun auch wieder nicht“, erwiderte der neununddreißigjährige Markus Jansen ein wenig pikiert.

      „Aber wie kommt sie hierher? Und wieso ist ihr Gewand so zerrissen?“, überlegte Heckert laut.

      „Vielleicht von dem Sturz?“

      „Kann ich mir nicht vorstellen, Markus. Das sieht eher nach Schnitten als nach Rissen aus.“

      „Und wenn sie tatsächlich im Wald gewesen ist? Da gibt es Dornenbüsche wie ich aus bitterer Erfahrung weiß.“

      „Aber wer geht denn nachts in den Wald, Markus? Noch dazu in der heutigen Zeit, wo das ja wohl nicht gerade ungefährlich ist.“

      „Dazu kann ich vielleicht etwas sagen,“ mischte sich der Rechtsmediziner ein.

      „Ja, und was?“

      „Ihr rechtes Bein, der Oberschenkel. Sehen Sie sich den mal an.“

      Die Kommissare Heckert und Jansen kamen der Aufforderung nach.

      „Na, das ist doch …“, murmelte Heckert schockiert.

      „Das … das sind Buchstaben“, stieß Markus Jansen hervor.

      „Ja, sie hat sie sich in den Oberschenkel geritzt“, erwiderte Heckert betroffen.

      „Ein Hinweis, Felix?“