Liliana Dahlberg

Dem Glück auf den Fersen


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zum Einlesen über die Theke reichte.

      Ich wollte seine Geliebte sein und nicht wie eine erwachsene Tochter, die nicht aus dem Elternhaus auszog und ihrem Vater auf der Tasche lag. Ich fühlte mich eben wie ein Ballerina, der den Louboutins natürlich unterlegen war, doch meine Großmutter hatte immer gesagt: „Auch ein Mauerblümchen blüht.“ Diesen Ausspruch empfand ich als eine sehr tröstliche Weisheit. Außerdem konnte ich mit Bestimmtheit von mir behaupten, dass ich in der Tat jedes Mal aufblühte, wenn ich die Kunden des Schuhgeschäfts La Scarpa beriet. Dann hatte ich stets das Gefühl, von innen heraus zu strahlen, und mein Gesichtsausdruck und meine Stimmung wandelten sich. Ich sagte meinen Kunden oft: „Seien Sie gut zu Ihren Schuhen, dann sind sie auch gut zu Ihnen.“ Damit wies ich sie darauf hin, dass Lederschuhe ab und zu mit einem Spray imprägniert werden sollten.

      Mein Chef hieß Karl Schöne. Er war ein kleiner, dicklicher Mann, der trotz seines Alters von fünfzig Jahren ein bisschen nervös wirkte und sich bei Verkaufsgesprächen manchmal verhaspelte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er eine Kundin gefragt, ob sie mehr Ruhe brauche – anstatt Schuhe.

      Er war mit meiner Arbeitseinstellung sehr zufrieden, denn er merkte, dass ich stets mit Freude bei der Sache war und mein ganzes Herzblut in meine Arbeit einbrachte. Dass er jedoch das Ausmaß meiner Passion für Schuhe nachvollziehen konnte, das bezweifelte ich. Ebenso beschlich mich das Gefühl, dass Herr Schöne nicht seinem Traumberuf nachging. Kurz vor der Mittagspause hatte er mir einmal erzählt, dass er eigentlich Dirigent hatte werden wollen. Er liebe die Welt der Musik, die so viel wundervoller sei als die der Bilanzen und Verkaufszahlen. Chopin und Beethoven verehre er besonders und er spiele hervorragend Geige und Klavier. Noch im selben Atemzug meinte er, dass ihn die Buchhaltung oft maßlos überfordere und er abends mit Kopfschmerzen ins Bett ginge. Nur klassische Musik könne diese dann vertreiben. Ich hatte natürlich Mitleid mit Herrn Schöne, befürchtete aber auch, dass er mir eines Tages verkünden könnte, dass er den Laden dichtmachen und sich ein anderes Standbein suchen würde.

      Doch der Saldo auf seinem Konto hatte bisher wohl immer gestimmt, und damit auch der Umsatz, den er mit seinem Geschäft erzielte. Wir konnten auch wahrlich nicht über mangelnde Kundschaft klagen. Monika Wirth und Christine Behrend waren die beiden anderen Verkäuferinnen, die Herr Schöne neben mir beschäftigte. Frau Wirth ging auf die vierzig zu und machte ebenso wie Herr Schöne keinen recht glücklichen Eindruck, was ihren Beruf betraf. Meine Philosophie über Schuhe teilte sie jedenfalls nicht. Sie meinte, ich hätte wie so viele Frauen einen Schuhtick, sodass meine Ansicht, Schuhe könnten einem ein Hochgefühl verschaffen, aus diesem Blickwinkel zu betrachten sei. Wir siezten uns nach wie vor, obwohl wir mittlerweile seit mehr als fünf Jahren zusammenarbeiteten. Christine wiederum war um einiges zugänglicher. Im Gegensatz zu Monika schüttelte sie nicht den Kopf, wenn ich mit einem breiten Lächeln ins Lager ging, um meinem Kunden den zweiten, zum Exemplar in der Auslage passenden Schuh zu holen. Christine war wie ich eine kleine Träumerin und entfloh dem Alltag in Gedanken gerne für ein paar Sekunden. Wir waren per Du. Christine war erst zweiundzwanzig und hatte mir unlängst gestanden, dass sie eigentlich Primaballerina hatte werden wollen, wie so viele andere kleine Mädchen auch. Ihr Wunsch war es gewesen, sich auf der Bühne kunstvoll zur Musik von Schwanensee zu bewegen. Doch den Ballettunterricht hatte sie abbrechen müssen, als ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Damals war sie zehn Jahre alt gewesen und hatte sich von da an verstärkt um ihre jüngeren Geschwister Lasse und Mia kümmern müssen. Außerdem verdiente ihre Mutter Bianca als Kassiererin im Supermarkt nicht sehr viel Geld, sodass sie Christine den Unterricht nicht länger finanzieren konnte. Christine und Karl Schöne waren also beide große Anhänger der klassischen Musik. Während Schöne jedoch davon träumte, den Dirigentenstab zu schwingen, zeigte sich auf Christinas Gesicht ein Lächeln, wenn sie sich vorstellte, wie sie sich mit elegischen Figuren zur Operettenmusik bewegen würde. Christine wusste zwar, dass sich ihr Traum wohl nicht mehr erfüllen würde, dennoch hatte ich beobachtet, wie sie einmal ins Lager verschwand und dort ein paar kunstvolle Drehungen vollführte. Für sie schien das wichtigste Kriterium eines Schuhs darin zu bestehen, dass man in ihm gut tanzen konnte. Diese Ansicht konnte ich durchaus nachvollziehen.

      Im Gegenzug konnte sie meinen Wunsch, meiner Begeisterung für Schuhe bei einem Modemagazin noch mehr Raum zu geben, gut verstehen. An dieser Stelle mag vielleicht der Eindruck entstanden sein, dass wir im La Scarpa fast alle heimlichen Träumen nachhingen, die wir lieber verfolgt hätten, als Schuhe zu verkaufen. Ich liebe meinen Beruf zwar sehr, aber eine Kolumne in einer Modezeitschrift für Schuhe würde mich gewiss in die höchsten Höhen des Glücks befördern. Wenn man dagegen Monika Wirth fragte, ob sie es sich vorstellen könne, woanders zu arbeiten, entgegnete diese stets, dass ein Beruf schließlich nicht dazu da wäre, einem Freude zu bereiten, sondern um den Lebensunterhalt zu verdienen. Ich glaubte ehrlich gesagt, dass ihr die Fantasie für Träume fehlte. Wenn sie einen Lebensratgeber auf den Markt bringen würde, würde dieser wohl „Kein Platz für Träume“ heißen. Ich für meinen Teil erachtete es im Gegensatz dazu als wunderbar und sogar wichtig, Lebensträume zu haben, die einen durch den Alltag begleiteten und, wenn auch manchmal nur für Sekunden, die Stimmung aufhellten.

      Eines Morgens ereignete sich ein skurriler Geschäftsfall. Eine Frau in einem weiten Sommerkleid näherte sich sichtbar missgelaunt der Auslage für Schuhe in Größe zweiundvierzig. Draußen herrschten ziemlich hohe Temperaturen, sodass Herr Schöne im Laden die Klimaanlage in Gang gesetzt hatte. Die Dame beäugte die Schuhmodelle kritisch, nahm einige von ihnen nacheinander in die Hand, um sie mit gestrengem Gesichtsausdruck von allen Seiten zu inspizieren. Sie verlor sich ein paar Augenblicke im Anblick der Schuhsohlen; vielleicht wollte sie sich davon überzeugen, dass sie rutschfest waren. Auf ihrer Nase saß eine alte Brille, durch deren Gläser ihre Augen leicht spöttisch hervorzublitzen schienen. Schließlich ergriff sie einen Paul-Green-Schuh und verzog verächtlich das Gesicht, nachdem sie den Preis entdeckt hatte. Ja, sie stellte ihn regelrecht angewidert zurück. Ganz so, als hätte sie einen toten, schon etwas älteren Fisch in der Hand gehalten, der einen unangenehmen Geruch verströmte. Ich war natürlich noch nie so mit einem Schuh umgesprungen. Selbst wenn mir einer mal etwas überteuert schien oder mein Budget sprengte, stellte ich ihn mit einem tiefen Bedauern einfach wieder ins Regal zurück.

      Ich trat aus dem hinteren Ladenteil hervor, passierte die Theke und ging mit einem freundlichen Lächeln auf die Dame zu, die ich auf um die vierzig schätzte. Ich musste ihr wohl erklären, dass es sich bei diesen Schuhen um wahre Schätze handelte, die es nur zu entdecken galt, und nicht um billige Einwegrasierer.

      „Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen helfen?“, fragte ich sie freundlich.

      „Ja, ich brauche etwas für den Geburtstag meiner Schwiegermutter. Die ist leider ziemlich zäh und feiert bald ihren achtzigsten Geburtstag. Ich habe meine letzten Schuhe vor sieben Jahren gekauft. Da spare ich eisern.“

      Ich zuckte unmerklich zusammen. In diesem Moment schien mir alles möglich: dass Tag und Nacht aufeinandertrafen. Oder dass Nord- und Südpol sich berührten. Diese Frau sprach von Schuhen, als seien sie das Unwichtigste der Welt. Das stellte wiederum meine Welt auf den Kopf, doch ich versuchte, meine Bestürzung über ihre Worte hinter einem noch breiteren Lächeln zu verbergen.

      „An was für einen Schuh haben Sie denn gedacht? Wahrscheinlich an einen, der elegant ist und sich Ihrem Typ anpasst. Er sollte sicher nicht zu …“

      Die Frau unterbrach mich unwirsch: „Sie reden mit mir, als ginge es um eine neue Frisur. Geben Sie mir einfach ein paar einigermaßen ansehnliche Treter. Etwas mit einer Sohle und ein bisschen Leder drum herum.“

      Ich schluckte schwer und meinte: „Glauben Sie, dass Ihnen mit Schuhen von Salamander geholfen wäre?“ Ich dachte im Stillen, dass diese sicherlich ihrer Vorstellung von einem fairen Preis-Leistungs-Verhältnis entsprachen. Doch im Grunde wollte ich die Dame am liebsten dazu auffordern, den Optiker ihres Vertrauens aufzusuchen und sich dort eine neue Brille zu besorgen, um so erkennen zu können, dass Schuhe keine „Treter“ waren, sondern ein guter Begleiter und der beste Freund einer jeden Frau.

      Ich sagte: „Haben Sie schon entschieden, was Sie zu den Schuhen tragen wollen? Ich betrachte es nämlich so“, ich hob meine Stimme deutlich an, „dass Schuhe und die Kleidung sozusagen ein Perfect Match bilden sollten. Eine