Liliana Dahlberg

Dem Glück auf den Fersen


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Gehen da und zu nichts anderem. Es ist schon das höchste der Gefühle, wenn man welche findet, die nicht drücken. Mehr auch nicht.“ Voller Hoffnung spähte ich kurz auf die Füße der Dame, um zu sehen, ob sie sich bisher vielleicht immer nur in der Schuhgröße vertan hatte und Schuhen deswegen so kritisch und abwertend gegenüberstand. Doch diesen Fall konnte ich nach einem kurzen Blick ziemlich schnell ausschließen. Die Kundin hatte für eine Frau recht große Füße, und es war bestimmt nicht immer leicht, in Größe zweiundvierzig schöne Exemplare zu finden, doch ehrlich gesagt, trieb mich die Art und Weise, wie diese Kundin mit mir umsprang, ziemlich in die Enge. Da kam mir der rettende Gedanke. Das war doch genau die passende Kundin für Frau Wirth. Eventuell würden sich hier sogar zwei verwandte Seelen finden. Ich deutete mit dem Kopf zur Ladentheke hinüber und sagte zu der Kundin: „Es tut mir leid, ich habe im Lager noch etwas zu erledigen. Frau Wirth, ich habe hier eine Kundin für Sie. Entschuldigen Sie mich“, fügte ich kurz hinzu, ehe ich der Kundin den Rücken zudrehte und ins Lager lief.

      Die Frau hat mich vielleicht aufgeregt, dachte ich bei mir. Schließlich hatte bereits der gestiefelte Kater gewusst, wie wichtig gutes Schuhwerk war. Ebenso hätte Cinderella ohne ihre Glasschuhe ziemlich alt ausgesehen. Auch wenn mir Schuhe aus Glas natürlich nicht wirklich sinnvoll erschienen. Doch ich fühlte mich durch das Verhalten der Frau irrsinnigerweise sogar etwas gekränkt. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie meine Kollegin die Kundin bediente, und hörte, wie sie mit knappen Worten zu ihr sagte: „Sie brauchen ein Paar Schuhe? Hier, probieren Sie doch die mal an.“ Frau Wirth hatte zu meinem Erstaunen einen Schuh gewählt, der eigentlich für ältere Semester bestimmt war. Doch die Kundin schien das nicht zu stören, sie nickte sogar anerkennend. Irritiert ließ ich die beiden zurück. Wenn die Kundin auf dem Geburtstag ihrer Schwiegermutter in Schuhen für ältere Frauen erscheinen wollte, sollte sie!

      Um mich wieder ein wenig aufzubauen, öffnete ich einen Karton, von dem ich wusste, dass er Pumps von Manolo Blahnik enthielt, sah diese eine Weile an und strich einmal kurz mit der linken Hand verzückt darüber. Das war für mich wie ein Seelenstreichler. Denn ich kannte schließlich den wahren Wert von Schuhen. War es meine Schuld, wenn andere zu kurzsichtig waren, um diesen zu begreifen? Der restliche Arbeitstag verlief deutlich angenehmer, und ich beriet wieder Kunden, die in der Lage zu sein schienen, den wahren Nutzen und die Schönheit von Schuhen zu erkennen.

      Zu Hause machte ich Kai gegenüber meinem Ärger noch einmal Luft. Wir waren gerade dabei, uns eine Gemüsepfanne zuzubereiten. Bei uns herrschte nicht das überholte Modell vor, dass ich das Heimchen am Herd spielte, sondern stattdessen eine gerechte Arbeitsteilung, „Diese Frau hat mich angeschaut, als sollte ich einen Arzt aufsuchen!“, rief ich entrüstet, als ich ihm von der Kundin erzählte und währenddessen ein paar grüne Bohne in die Pfanne fallen ließ. Ich fügte hinzu: „Ich würde mir wirklich zweimal überlegen, welche Schuhe ich zum runden Geburtstag meiner Schwiegermutter trage. Diese Kundin würde wahrscheinlich auch auf einen Ball in Hausschuhen oder Flipflops gehen. Ich sage dir, ich koche innerlich vor Wut!“

      Kai sah mich mit einem Schmunzeln an. „Du hast ja zum Glück keine Schwiegermutter, die du beeindrucken musst.“

      „Was soll das jetzt heißen? Planst du etwa schon, mich zu verlassen?“, erwiderte ich aufgebracht.

      „Unsinn, ich meine doch nur, dass du die ganze Angelegenheit überbewertest. Außerdem reicht es, wenn nachher der Topf mit dem Reis kocht, den wir zu dem Gemüse essen wollen.“

      „Mach dich nur lustig über mich. Ich finde das gar nicht komisch. Diese Kundin heute hat an meinem Berufsethos gekratzt.“

      „Und dafür wird meine liebe Milly jetzt zur Kratzbürste“, entgegnete Kai unumwunden. Da gab ich es auf, Kai von dem Ausmaß meiner Verärgerung zu überzeugen. Er verstand mich ja doch nicht – oder vielmehr wollte er mich nicht verstehen. Ich fragte ihn beiläufig: „Na, haben dir Tessa und Konsorten heute mal wieder schöne Augen gemacht? Die Minirockfraktion.“

      „Ich finde, du übertreibst.“

      „Glaubst du etwa, ich habe Tomaten auf den Augen? Jede von den vier würde sich dich gerne schnappen. Du siehst nicht gerade schlecht aus und hast außerdem ausreichend Geld auf dem Konto. Die jungen Damen kreisen doch über dir wie Raubvögel über ihrer Beute. Diese Stella lässt doch immer absichtlich die oberen zwei Knöpfe ihrer teuren Bluse offen, während Verena versucht, dich mit ihren feuerroten Haaren und ihrer bedeutungsschweren Stimme zu verhexen. Und bei Tessa und Wanda ist es auch nicht viel besser. Ich denke allerdings, dass Tessa einen besonderen Einfallsreichtum an den Tag legt, um dein Herz zu erobern. Du hast doch schon mehrfach erzählt, dass sie dir immer deinen Kaffee bringt und keine Möglichkeit verstreichen lässt, dich zu berühren. Dass sie dir einmal sogar angeboten hat, deine Krawatte neu zu binden, und tagtäglich glaubt, dir angebliche Fussel von deinem Anzug zupfen zu müssen. Offensichtlicher und plumper geht es wohl kaum!“

      „Ich bin aber doch sehr glücklich liiert. Danke der Nachfrage. Und du weißt, dass diese Damen bei mir keine Chance haben.“ Da huschte mir trotz meines Ärgers ein Lächeln übers Gesicht. Gleich darauf wurde ich jedoch nachdenklich und sagte: „Du hast recht. Vielleicht sehe ich tatsächlich nur Gespenster. In diesem Fall wohl sehr attraktive. Aber ich weiß, ich kann mir sicher sein, dass du bei dem Augengeklimper meiner Rivalinnen nicht schwach werden wirst.“

      „Na siehst du. Das Essen ist bald fertig. Wir gönnen uns einen guten Rotwein dazu, dann wirst du all deinen Ärger und Kummer bald wieder vergessen haben.“

      Der nächste Arbeitstag sollte einer wie jeder andere werden – das dachte ich zumindest.

      Zunächst verlief alles wie gewohnt. Ich half einigen Kunden bei der Wahl des richtigen Schuhs und ließ Kreditkarten durchs Lesegerät gleiten. Doch kurz vor der Mittagspause bedeutete Karl Schöne mir und meinen Kolleginnen mit einer kurzen Handbewegung, dass er uns etwas mitzuteilen hatte. Neugierig traten wir näher und scharten uns um ihn wie die Schafe um ihren Hirten. Karl sah heute besonders ausgeglichen aus. Ja, es war unverkennbar, dass sein Launebarometer die obere Skala erreicht hatte. Welch seltenes Phänomen! Ich wusste, dass er alleinstehend war, und überlegte, ob er schließlich doch noch eine Frau gefunden hatte, die er heiraten wollte, und uns gleich zur Hochzeit einladen würde. Nach reichlicher Überlegung kam mir jedoch der Gedanke, dass seine Laune dann schon über einen längeren Zeitraum deutlich aufgehellt gewesen wäre. Als wir um ihn versammelt waren, räusperte sich Herr Schöne, ehe er zum Reden ansetzte: „Ich will Sie natürlich gleich in Ihre wohlverdiente Mittagspause entlassen. Vorher muss ich Ihnen jedoch noch etwas mitteilen, das für Sie ebenso wie für mich von großer Bedeutung ist …“ Er räusperte sich erneut und sagte dann bestimmt: „Wir werden schließen. In einem Monat, um genau zu sein.“

      In diesem Moment wurde mein Gesicht so bleich wie Marmor, und der Mund stand mir offen. Hatte ich mich verhört? Schließen? Was war geschehen? War Herr Schöne wider Erwarten von einem Kammerorchester als Dirigent engagiert worden? In meine Gedanken hinein sagte unser Chef, begleitet von einem nervösen Hüsteln: „Es ist an der Zeit, dass ich auf mein Herz höre und nicht länger auf meinen Verstand. Wie sagt man so schön: Man muss seinem Glück auf die Sprünge helfen. Das werde ich nun tun, indem ich mich zu diesem mutigen Schritt entscheide. Ich will mich meiner Leidenschaft widmen, der Musik. Ich habe zwar noch kein Angebot vorliegen, irgendwo als Dirigent oder Musiker zu arbeiten, bin mir aber dennoch sicher, dass ich meinen Weg machen werde.“ Das war ja gut und schön. Ich wünschte Herrn Schöne für die Zukunft ehrlich alles Gute. Aber was würde aus uns werden? Aus Frau Wirth, Christine und mir? Für die nicht übertrieben vielen Schuhgeschäfte in unserer Stadt gab es nicht gerade wenige Verkäuferinnen. Ich spürte einen deutlichen Schmerz in meinem Herzen, der sich anfühlte, als würde es von einem Messer durchbohrt werden. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können. Meine schlimmste Befürchtung war wahr geworden! Ich würde bald arbeitslos sein und bei der Agentur für Arbeit vorstellig werden müssen. Warum war ich nicht intelligent genug gewesen, um das Abitur zu schaffen? Dann hätten mir deutlich mehr Türen offengestanden. Doch all die Lateinvokabeln hatte ich mir nun mal schwer merken können. Und auch Mathematik, Physik und Chemie waren für mich stets ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Ich war ganze vier Jahre lang auf das städtische Gymnasium gegangen, bis meine Noten in besagten Fächern so schlecht