hatte er von einer Sängerin erhalten. Schon früh in seiner Karriere war er mit Marianna Bulgarelli (Rom 1684-1734) in Kontakt gekommen, einer Sopranistin, die herkunftsbedingt „La Romanina“ genannt wurde, die „kleine Römerin“. Sie war um vierzehn Jahre älter als Metastasio und für ihre ausserordentliche Ausdrucks- und Darstellungskraft bekannt, jene Eigenschaften, für welche sie Metastasio am meisten bewunderte. Sie hatte 1703 debutiert und war bei ihrer Tätigkeit an den Opernhäusern von Genua, Neapel und Venedig äusserst erfolgreich. Sie hatte Werke der bedeutendsten Komponisten ihrer Zeit im Repertoire, so von Tomaso Albinoni, Antonio Maria Bononcini, Francesco Gasparini, Johann Adolph Hasse, Carlo Francesco Pollarolo, Nicola Porpora, Domenico Sarro, Alessandro Scarlatti oder Leonardo Vinci. Als sie die Cantata Gli orti esperidi von Nicola Porpora auf einen Text von Metastasio sang, war sie von dessen Dichtung so beeindruckt, dass sie den anonymen Autor ausfindig machen ließ. Sie überzeugte hierauf den begabten Dichter, die Juristerei, der er als Brotberuf in einer neapolitanischen Rechtsanwaltskanzlei nachging, aufzugeben und sich ganz dem Verfassen von Operntexten zu widmen und nahm ihn künstlerisch unter ihre Fittiche. Er zog hierauf in das Haus der Sängerin und ihres Mannes ein und lernte dort die bedeutendsten Komponisten seiner Zeit kennen: Neben Nicola Porpora, der ihn in Komposition unterrichtete, Francesco Durante, Johann Adolph Hasse, Leonardo Leo, Bendetto Marcello, Giovanni Battista Pergolesi, Alessandro Scarlatti und Leonardo Vinci. Viele von ihnen sollten später Texte von Metastasio vertonen. Im Hause Bulgarelli lernte Metastasio auch den Kastraten Carlo Broschi, genannt Farinelli, kennen, dessen Gesangskunst und Stil er bewunderte. Zwischen dem Sänger und Metastasio sollte es später mehrfach zur Zusammenarbeit kommen, aus der man wechselseitig profitierte.
Als Metastasio als Nachfolger von Apostolo Zeno Hofdichter am Wiener Kaiserhof geworden war, wollte Marianna Bulgarelli ihn 1734 hier besuchen, verstarb aber auf der Reise. Sie hatte den Dichter als ihren Alleinerben eingesetzt.
Was ist konkret über Metastasios Wirken als Regisseur bekannt?
Einige Hinweise darauf sind den szenischen Anweisungen in seinen Libretti zu entnehmen, mehr jedoch erfahren wir aus seiner Korrespondenz. Die Anweisungen in den Libretti variieren in Umfang und Aussagekraft beträchtlich und hängen davon ab, ob Metastasio eine Produktion selbst überwachte oder leitete. In solchen Fällen sind die Hinweise im Text aus verständlichen Gründen spärlich. Während das Textbuch zu Leonardo Vincis Oper Catone in Utica, die 1728 unter Metastasios szenischer Leitung in Rom gegeben wurde, wegen des direkten Kontaktes mit den Sängern und Musikern kaum szenische Anweisungen aufweist, ist sein Libretto zu Nicola Confortos Oper Nitteti, die 1756 auf Farinellis Wunsch vom spanischen Hof in Auftrag gegeben wurde, von detaillierten Anweisungen geradezu übersät. Diese beziehen sich nicht nur auf das szenische Geschehen, sondern beinhalten auch Hinweise auf den musikalischen und sängerischen Ausdruck. Da Metastasio nicht selbst an Ort und Stelle in die Inszenierung eingreifen konnte, musste er sich auf Farinelli, der ein nur mittelmäßiger Schauspieler war, und das diesbezügliche Wissen, das er ihm vermittelt hatte, verlassen. Zwei Jahre zuvor hatte er Farinelli, der in Francesco Corsellis Oper Alessandro nell’Indie in Madrid auftrat, zwecks Veranschaulichung der Situationen auf der Bühne Szenenbilder von der Hand des in Wien tätigen Bühnenbildners Giovanni Maria Quaglio gesendet. Dem dichtenden Regisseur bzw. regieführenden Dichter Metastasio lag daran, seinen Interpreten dramatische Aktionen immer klar und im Detail vor Augen zu führen.
Aus diesem Grund arbeitete er bei der Vertonung seiner Texte eng mit Komponisten zusammen, wie das Beispiel von Johann Adolph Hasse zeigt. Im Sommer 1749 schrieb er anlässlich der bevorstehenden Premiere von Attilio Regolo in Dresden dem Komponisten, mit dem er schon oft zusammengearbeitet hatte, einen ausführlichen Brief, in welchem er nicht nur detaillierte Charakterstudien jeder einzelnen Figur lieferte, sondern auch angab, an welchen Stellen die Accompagnato-Rezitative am vorteilhaftesten anzuordnen waren. Aus diesem Brief ist zu entnehmen, was einen großen Bühnendichter und Regisseur damals wie heute ausmacht: Tiefe Einsichten in das Werk und ein ausgeprägtes Gefühl für dramatische Wirkungen, präzise Bühnenanweisungen, Gesang und Schauspiel sowie das Zusammenwirken dieser Faktoren mit der Musik.
DAS DEUTSCHE ‚REGIETHEATER‘
Unter dem negativ besetzten Begriff ‚Regietheater‘ ist eine vor allem im deutschen Sprachraum verbreitete Form der szenischen Darstellung von Werken des Musiktheaters zu verstehen, bei der die Regie samt Bühnenbildern, Requisiten und Kostümen – alles möglichst aktualisiert, dekonstruiert, zertrümmert, ironisiert oder verfremdet – unter willkürlicher Einbeziehung werkfremder Elemente über alle anderen wesentlichen Komponenten des inszenierten Werkes dominiert. Die Wortkreation ‚Regietheater‘ ist an sich pleonastisch und ebenso unsinnig wie ihr Inhalt. Wie bei „Fußpedal“, „Rückantwort“ oder „Haarfrisur“ wird einem Substantiv ein zweites Substantiv beigefügt, das keine zusätzliche Information liefert und somit überflüssig oder sinnlos ist, denn dass zum Theater Regie gehört, ist eine Selbstverständlichkeit und müsste nicht eigens betont werden. Der Begriff ‚Regietheater‘ muss also etwas ganz Besonderes beschreiben. Er steht in der Tat für etwas zuvor nie Dagewesenes, nämlich für das Axiom, die Regie sei wichtiger als alles andere: wichtiger als die Darsteller und wichtiger als das Stück selbst. Das Verständnis des durch die Regie an sich im Sinne des Autors darzustellenden Werkes wird dadurch in falsche – vom Regisseur und nicht vom Autor erdachte – Bahnen gelenkt oder gänzlich verhindert. Der Regisseur, solcherart vom subalternen Erfüllungsgehilfen[46] zum selbsternannten Schöpfer aufgestiegen, tritt dabei manchmal sogar als tantiemenbezugsberechtigter Bearbeiter auf.
PRIMA LA REGÍA, POI L’OPERA?
Vor nicht allzu langer Zeit behauptete ein nicht mehr ganz junger deutscher Jungschauspieler mit vernachlässigbarer Regie-Erfahrung (er hatte einmal eine Studentenaufführung von Schillers Die Räuber inszeniert) in einer TV-Diskussion über „Sinn und Unsinn des Regietheaters“[47] allen Ernstes, die Inszenierung sei wichtiger als das Stück. Überträgt man derlei nicht argumentierbaren Unsinn in die Realität, ergibt sich daraus zwingend die Schlussfolgerung, der Umschlag eines Buches sei wichtiger als dessen Inhalt, die Fassade wichtiger als das dahinter befindliche Haus, oder die Lackierung eines Automobils wichtiger als das Fortbewegungsmittel. So etwas behauptet allerdings niemand, der sich mit der Materie ernsthaft vertraut gemacht hat.
Was derlei absurden Positionen möglicherweise zugrunde liegt, ist der Umstand, dass vorliegende Werke vergangener Epochen – Theaterstücke wie Opern – vom Regietheater immer häufiger als Vehikel zum Transport von Aussagen verwendet werden, die Regisseure von sich aus tätigen wollen und die mit den Stücken rein gar nichts zu tun haben. Da die Spielleiter mangels Können und Talent zumeist nicht in der Lage sind, gute eigene Stücke zu schreiben oder zu komponieren, missbrauchen sie fremdes Material dafür. So mag Hamlet als Vorwand für Pornographie in einer psychiatrischen Klinik dienen, oder Die Räuber nackten Darstellern als blut-, kotze- und spermaverschmiertes Vehikel für vorgebliche Kritik an der heutigen Gesellschaft. An diesen vom Feuilleton nicht nur geduldeten, sondern aus geradezu pathologischer Sucht nach Neuem und vor allem Modischem sogar geförderten Missständen ändern auch zeitgenössische Stücke nichts, denn ihre Autoren sind noch am Leben und wehren sich gegen einen solchen Missbrauch.
Die Degeneration vieler szenischer Interpretationen mit ihren monströsen, werkentstellenden, sinnlosen Inhalten wird allerdings erst durch die Degeneration jenes Teils des Publikums und der Kritik ermöglicht, der sie hinnimmt oder sogar akklamiert. Oder, wie Erich Kästner sagte: „An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“[48]
Man kann Teile des Publikums nicht für gänzlich unschuldig an der Situation erklären. Ob es nun an dem Gebotenen liegt oder ob es einfach an wirklichem Interesse am Dargebotenen mangelt: Es sind Verhaltensweisen der Zuschauer festzustellen, die noch vor dreissig Jahren so nicht zu beobachten waren. In den Pausen der Aufführungen wird heute zumeist nicht mehr über das Stück, die Sänger, den Dirigenten, die musikalische Interpretation, die Inszenierung usw. gesprochen, sondern über Berufsprobleme, Kindererziehung, Politik, Mode etc. Dies unter der Voraussetzung, dass die Zuschauer die Vorstellung nicht vorzeitig verlassen haben. Und nicht selten kann man gelangweilte Zuschauer während den Vorstellungen dabei