Manfred Rehor

Diamanten aus Afrika


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Rolli hatte ihm ja klar genug gesagt, wie schwierig es werden würde, an einen der wichtigen Politiker heranzukommen, von Bismarck gar nicht zu reden. Saban brauchte also Zeit, um sich in Berlin umzusehen, um die Gewohnheiten der Deutschen kennenzulernen und um Wege ausfindig zu machen, wie er sein Ziel erreichen konnte.

      Für die Nacht fand Saban Unterschlupf bei den Pferden, die in einem Schuppen am Rande des Rummelplatzes standen. Am folgenden Morgen packten alle Schausteller mit an und errichteten aus den Resten der ehemaligen Afrika-Schau ein brauchbares kleines Zelt für Sabans Vorstellung. Als Schlafstelle für die Nacht riet man ihm, einen Wohnwagen zu mieten. Einer der Schausteller, der Wurfbudenbesitzer Breitmann, vergab für solche Zwecke Kredite und organisierte bei Bedarf auch Wagen und Pferde.

      Saban trat zunächst nur an den Nachmittagen auf, wenn viele Kinder auf dem Rummel waren. Obwohl der Rummel als Kinderjahrmarkt angekündigt war, kamen abends die Erwachsenen und wollten auch ihren Spaß haben. Das war wegen des Alkohols, der dann in Mengen konsumiert wurde, nicht ungefährlich für einen wie Saban. Zumindest behauptete Muck das.

      „Halt dich erst mal zurück, bis du gelernt hast, mit Menschenmengen umzugehen. Wenn dein ganzes Zelt voller betrunkener Männer ist, die deine Vorführung langweilig finden, kann das auf ziemlichen Ärger hinauslaufen.“

      Saban nutzte die Vormittage, um die Stadt zu erkunden. Zunächst das Arbeiterviertel, in dem der Rummelplatz lag, dann die Innenstadt mit ihren Palästen, Kirchen und vornehmen Geschäften. Er gewöhnte sich rasch daran, angestarrt zu werden. Wurden Passanten gar zu lästig, sprach er sie ungeniert an und lud sie auf den Rummel ein, wo sie ihn in aller Ruhe beobachten könnten. Die meisten Menschen wurden dann rot, stotterten irgendeine Ausrede und gingen weiter. Manche verbaten es sich, von einem wie ihm angemacht zu werden und drohten ihm Prügel an. Aber es tat ihm nie jemand etwas.

      Nach zwei Wochen fühlte sich Saban so wohl auf dem Berliner Rummel, als hätte er schon immer dort gelebt. Die Schausteller waren nett zu ihm, die Stolbergs nahmen ihn wie ein Mitglied ihrer Familie auf und die Vorstellungen vor Kindern machten ihm Spaß. Ein alter Wohnwagen war als Unterkunft hergerichtet worden. Die Kosten waren gering, weil der Wagen eine gebrochene Achse hatte und nicht weiterfahren konnte. Der Besitzer würde ihn erst reparieren lassen, wenn er wusste, wohin der Rummel nach dem Kinderjahrmarkt zog.

      Unter Mucks Anleitung begann Saban, ein halbstündiges Programm einzustudieren, das einen stetigen Wechsel von Spaß und Spannung bot, wie Kinder es gerne hatten. Das verband er mit scheinbar lehrreichen Informationen, so dass die Erwachsenen den Eindruck bekamen, ihre Kinder lernten auch etwas über die Welt, wenn sie diese Veranstaltung besuchten.

      „So hat Grabow das damals aufgezogen, als Benjamin bei ihm war, und er hat nicht schlecht daran verdient“, erklärte Muck. „Wobei er selbst die Rolle eines Afrikaforschers gespielt hat, das hat der Vorstellung mehr Glaubwürdigkeit verliehen. Vielleicht kannst du später einmal jemanden einstellen, der diese Rolle übernimmt.“

      Daran dachte Saban jedoch nicht. So gut es ihm auf dem Rummel gefiel, er war aus einem anderen Grund von Afrika bis nach Berlin gereist. Um herauszufinden, wer in der Politik außer Fürst Bismarck und dem Kaiser etwas zu sagen hatte, begann er, die Zeitung zu lesen. Das brachte ihm wenig Wissen, aber viele hämische Bemerkungen seiner Rummelkollegen ein.

      „Will unser Afrikaner uns zeigen, wie schlau er ist?“, fragte Bergmann einen Losverkäufer, während Saban direkt neben den beiden stand und es hören konnte.

      „Wahrscheinlich schaut er sich nur die Bilder an“, antwortete der Losverkäufer und beide lachten.

      Zu ihrer Verwunderung lachte Saban mit.

      Die schöne Zeit ging zu Ende, als eines Nachts zwei Männer auf den Rummel kamen, die sich nach einem jungen Afrikaner erkundigten. Da Saban keine Abendvorstellung gab, war er nicht in seinem Zelt. Die Schausteller sagten den Männern auch nicht, wo Saban schlief, damit er nicht gestört wurde. Die Männer zogen grimmige Gesichter und gingen, ohne sich eine der Vorführungen auf dem Rummel anzusehen.

      Als Saban am folgenden Morgen davon erfuhr, wusste er, dass seine Verfolger ihm auf die Spur gekommen waren. Schuld daran war vermutlich Bergmann, denn der hatte neue Plakate an die Litfaßsäulen der Stadt kleben lassen, um für mehr Besucher zu sorgen. Darauf pries er auch den „echten Afrikaner aus den Dschungeln unserer Kolonien südlich des Äquators“ als Attraktion an. Sabans Verfolger mussten gedacht haben, das könnte er sein. Woher sie wussten, dass er nach Berlin gereist war, konnte sich Saban dagegen nicht vorstellen. Vielleicht hatte Rolli mit jemandem darüber gesprochen.

      Saban verzichtete an diesem Tag darauf, eine Vorstellung zu geben. Er behauptete, sich nicht gut zu fühlen, und packte heimlich ein paar Sachen zusammen. Dann trieb er sich den ganzen Nachmittag in der Nähe des Rummelplatzes herum, so dass er sehen konnte, was vorging, ohne selbst allzu sehr aufzufallen. Am frühen Abend kamen die beiden Männer. Der eine hatte lange, blonde Haare, die wie Fransen unter seinem Hut hervorquollen, der andere war kahl, wie Saban sah, als der den Hut abnahm, um sich mit einem Taschentuch über die Glatze zu fahren.

      Sie stachen sofort unter den Besuchern des Jahrmarkts hervor, obwohl sie nicht anders gekleidet waren, als die anderen: schäbiger Anzug, der für den besonderen Anlass noch einmal herausgeputzt worden war, und natürlich Hut und Zigarre, wie es sich für einen Mann gehörte. So sahen alle Männer aus, die hier in der Gegend wohnten. Und doch merkte man, dass die beiden nicht hierher gehörten. Sie wirkten, als wären sie verkleidet, ohne dass Saban, der sich in europäischer Mode sowieso nicht gut auskannte, hätte sagen können, warum.

      Die Männer gingen direkt auf sein Zelt zu und lasen das Schild, auf dem stand, dass die Vorführungen ausfielen. Einer von ihnen riss das Schild einfach ab, der andere versuchte, den Eingang des Zelts zu öffnen. Als er merkte, dass ein Seil ihn daran hinderte, zog er ein Messer und schnitt einen langen Schlitz in die Leinwand. Er verschwand kurz im Zelt, kam wieder heraus und sprach mit seinem Begleiter. Sie wandten sich an einen Verkäufer von gebrannten Mandeln, der in der Nähe seinen Stand hatte, und fragten ihn etwas. Saban sah, wie der Verkäufer den Kopf schüttelte und mit den Schultern zuckte.

      Nachdem sie einen Rundgang über das Rummelgelände gemacht und immer wieder Schausteller angesprochen hatten, verließen die Männer das Gelände. Sie gingen die Straße entlang. Saban folgte ihnen vorsichtig, bis er sah, dass hinter der nächsten Ecke eine Droschke wartete, mit der die Männer davon fuhren.

      Da abends alle Schausteller bei ihren Fahrgeschäften, Buden und Zelten waren, sah niemand, wie Saban später sein Bündel aus dem Wohnwagen holte und verschwand.

      Schornsteinfeger!

      Berlin war die drittgrößte Stadt der Welt nach London und Paris. Jedenfalls behaupteten die Berliner das gerne, und sie fügten meist hinzu, dass sich die Rangfolge bald ändern werde. Für Saban, der in seiner Heimat in den größten Siedlungen, die es gab, die Hütten nach Dutzenden zählen konnte, spielte das keine Rolle. Für ihn war Berlin riesig und überfüllt mit Menschen. Was ihm schmerzhaft fehlte, waren Pflanzen und Tiere. Er bewegte sich zwischen den großen Mietskasernen wie ein unvorsichtiger Wanderer, der in eine unbekannte, möglicherweise gefährliche Schlucht geraten war, und nun einen Weg hinaus suchte. Hinaus ins Grüne, wo der Himmel an schönen Tagen blau war und nicht von den Schwaden der Kamine überzogen, die man über den Häusern auch im Sommer qualmen sah.

      Das Stadtviertel, in dem sich Saban befand, lag im Süden von Berlin, deshalb war die Entfernung zum freien Land nicht gar so groß. Teltow war einer der Namen, die sich Saban eingeprägt hatte, dort hatten ja die Hamburger Schausteller zunächst Station gemacht. Aus Gesprächen zwischen Rummelbesuchern war herauszuhören gewesen, dass sie aus Teltow kamen, um den Tag in Berlin zu verbringen.

      Eigentlich gab es keinen Grund für die Teltower, so einen bescheidenen Kinderjahrmarkt zu besuchen. Was sie reizte, war nicht der Jahrmarkt, sondern die Fahrt dorthin. Man hatte eine neue Maschine in Betrieb gesetzt, die „Dampfstraßenbahn“ genannt wurde und Berlin mit Teltow verband. Jeder Teltower wollte diese Straßenbahn ausprobieren, und wenn man schon in Berlin war, konnte man auch gleich auf den Rummel gehen.

      Straßenbahnen hatte Saban in Berlin