Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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treten als Herren auf, tragen Polohemd unter dunkelblauem Blazer sowie klassische Lederschuhe, die edle Goldrandsonnenbrille über der Stirn oder halb verdeckt in der Brusttasche. Die durchweg schlanken Damen ziehen Rock und Bluse den längst hoffähigen Jeans vor.

      Du ahnst, von zahlungskräftigen Leuten umgeben zu sein. Einen Hinweis darauf bietet die immer wieder bemerkenswerte Ansammlung teurer und teuerster Autos, die sich samstags auf den schmalen Parkstreifen der Goethe-Straße drängen. Beinahe kann es als Ausnahme gelten, wenn dort kein Bentley oder Ferrari und nicht mindestens eine gute Handvoll Porsche sowie BMW X-5 und Range-Rover mit getönten Scheiben rumstehen. Selbst die meist quergeparkten Smart wirken hier etwas edler als anderswo. Irgendwie passt alles zusammen. Sommer, Sonne und das Luxusflair der Goethe-Straße.

      *

      Beinahe hätte ich es übersehen. Es dauert einen Augenblick, bis mir bewusst wird, was ich sehe. Und dann noch einmal einen Wimpernschlag, bis ich es begreife. Das kann doch nicht sein?! Schräg vor mir auf der anderen Straßenseite am Ende des Parkstreifens steht – mein BMW X-3. Unmöglich?! Wie kommt der hier hin? Ich muss mich buchstäblich zwingen, erneut und genauer hinzuschauen, obwohl ich es intuitiv bereits weiß: Da drüben steht mein Wagen. Den ich heute Morgen in der Staufenstraße ein Stück hinter der Alten Oper geparkt habe. Ein prüfender Griff an meine Hosentasche bestätigt, meinen Autoschlüssel habe ich bei mir. Ich schaue noch einmal genau hin: Dunkelblau, keine Dach-Reling, seitlich unten die zusätzliche Türschwelle und klar lesbar vorn mein Nummernschild. Eine Fülle verwirrender Gedanken und Gefühle rast mir durch den Kopf. Doch was ich sehe, bleibt dasselbe: Kein Zweifel, mein Auto, dort drüben.

      Darin am Steuer sitzt ein Mann, anscheinend kräftig gebaut. Erkennbar sind ein Stück kurzgeschnittener schwarzer Vollbart, ein dunkler hochgeschlossener Pullover sowie eine schwarze Baseball-Mütze, deren gebogenes Schild das Gesicht des Mannes weitgehend verdeckt. Alles schimmert etwas verzerrt durch die Spiegelung in der Windschutzscheibe und seitwärts im Schlagschatten. Erst jetzt spüre ich mein deutliches Herzklopfen und bemerke, dass ich stehen geblieben bin. Der Schreck läuft mir heiß durch den Bauch. Was geht hier vor? Eine harmlose Erklärung finde ich nicht. Nur die Ahnung: Meine gewohnte Fahrt nach Hause kann ich vergessen.

      Denk! Denk nach! Ich schaue mich kurz um. Kaum Autoverkehr auf der Fahrbahn und das übliche Bummeln der Menschen auf den Gehwegen. Nichts Auffälliges erkennbar. Ich gehe einfach hin und fordere den Mann auf, mein Auto zu verlassen! Doch ein kribbeliges Gefühl im Nacken lässt mich innehalten: Vorsicht; was, wenn das mehr als ein unschöner Zufall ist?! Irgendetwas an dem Mann wirkt unangenehm, bedrohlich. Vielleicht gerade, weil er nur dunkel und still dasitzt. Mir kommt eine Grundregel aus einem Sicherheitstraining in den Sinn, an dem ich vor einigen Jahren im kalifornischen Santa Cruz teilgenommen habe: Der Angreifer hat fast immer einen Plan; das Opfer dagegen ist meist ahnungslos. Verrückt, was man in solchen Augenblicken denkt. Was ist, wenn der Angreifer eine Waffe hat?

      Der Gedanke löst meine Erstarrung ein wenig. Meinem Drang folgend, etwas zu tun, schaue ich mich erneut um: Ich bin klar sichtbar und völlig ungeschützt, wenn ich über die Straße zu dem Wagen gehe. Der Kerl macht einfach die Tür auf und tritt dir in den Bauch. Und das nächste herankommende Auto erfasst dich. Keine gute Idee. Kann ich mich ihm unbemerkt nähern? Er weiß ja nicht, dass mir das Auto gehört, in dem er sitzt. Und dann? Ich halte mich zwar körperlich gut in Form. Aber jeder halbwegs geübte Schlägertyp dürfte mich als Lachnummer abtun.

      Während ich noch überlege, die Straße zu überqueren, als ob mich dort ein Schaufenster interessierte, läuft es mir wieder heiß durch den Bauch: Auf meiner Straßenseite ein Stück vor mir, gegenüber und dann einige hundert Meter weiter hinter meinem BMW befinden sich drei Edelläden für teure Uhren, Schmuck und Juwelen. Schlagartig begreife ich, was vorgeht: Genau, der Mann in meinem Auto sitzt da, als ob er auf jemanden wartet. Oder auf etwas. Wozu man ein gestohlenes Auto benutzt.

      Denken nutzt zwar selten, hilft aber manchmal. Dort drüben steht mein Auto mit einem fremden Mann darin. Egal wie die zwei da hinkommen und was dort vorgeht, in jedem Fall ist es Autodiebstahl. Folglich Sache der Polizei; klar doch, ich brauche die Polizei. Möglichst schnell.

      *

      Stecken Sie Ihren Kopf freiwillig in einen Mikrowellenherd? Auch wenn Millionen von Menschen etwas tun, was dem nahe kommt – ich lebe bewusst und gern ohne Mobiltelefon. Und fühle mich durchaus als vollwertiger Mensch. Jetzt allerdings wäre ein Handy von unschätzbarem Wert. Nach einer öffentlichen Telefonsäule brauche ich gar nicht zu suchen; die sind hier längst ausgestorben. Mist, wie erreiche ich möglichst schnell die Polizei?! Ohne wirklich hinzuschauen sehe ich eine Frau ein Handy in ihre Handtasche stecken und in einen Smart steigen. Richtig!

      Ich sehe mich kurz um. Neben mir dreht sich ein sportlich wirkender Mann um die dreißig von einem Schaufenster weg.

      „Entschuldigen Sie bitte, dies ist ein Notfall. Haben Sie ein Handy? Dürfte ich für eine Sekunde Ihr Mobiltelefon benutzen, ich muss die Polizei anrufen. Es ist wirklich dringend.“

      Der Mann, freundliches Gesicht, blonder Haarschopf schräg über der Stirn, stutzt, nickt knapp und macht eine Handbewegung in Richtung der Innentasche seines Sommerjacketts. In dem Augenblick legt eine superschlanke, jüngere Frau mit einem glitzernden Kristall auf dem rechten Nasenflügel ihre Hand auf seinen Unterarm. Dass die beiden zusammensind, hatte ich nicht erkannt. Kaum hat sie sich zu mir gedreht, erklärt sie näselnd:

      „Junger Mann, kaufen Sie sich gefälligst selbst ein Handy. Dann gewöhnen Sie sich gleich an die Preise.“

      Sie gibt ihrem Begleiter einen leichten Schubs. Der Mann zuckt überrascht zurück, lächelt verlegen und murmelt verhalten:

      „Vielleicht besser so.“

      Damit wendet er sich ab, während sie im Weggehen lauter als nötig tönt:

      „Wie kommen wir denn dazu! Unglaublich, was es für Leute gibt.“

      Danke, ihr mich auch mal!, durchzuckt es mich.

      Mann, ich brauche Hilfe! Will doch nur die Polizei verständigen ... dringend. Und mein Auto wiederhaben.

       2

      „Nett, diese hilfsbereiten Mitmenschen,“ bemerkt eine weibliche Stimme neben mir. Zugleich berührt eine Hand meinen rechten Unterarm. „Wenn Sie es mir wiedergeben, können Sie meins benutzen.“

      Mir fällt ein Stein vom Herzen. Während die untersetzte Frau mit südländischen Aussehen kopfschüttelnd dem jungen Paar nachschaut, zieht sie mit der linken Hand ein Mobiltelefon aus der Brusttasche ihres dunkelgrünen Overall. Die Frau war damit beschäftigt, den goldenen Rahmen einer Außenvitrine zu putzen und hat anscheinend die Abfuhr mitbekommen, die mir gerade zuteil wurde. Erst bin ich überrascht, dann dankbar erleichtert, als ich das ältere rundliche Gerät in die Hand nehme.

      „Oh, vielen Dank. Das ist nett. Zu dumm, aber es ist wirklich wichtig. Wie wähle ich bei dem Ding? Ich brauche 110, den Notruf der Polizei.“

      „Ganz leicht. Geben Sie her, lassen Sie mich mal ...“

      Kaum hat sie eine der winzigen Tasten gedrückt, hält sie mir das Gerät ans Ohr. Erst fällt es mir schwer, das schwache regelmäßige Rufsignal vom Hintergrundlärm der Straße zu unterscheiden. Einen Augenblick später ein Klicken, dann eine gut verständliche weibliche Stimme:

      „Hier ist die Nummer 110, der Notruf der Polizei. Bitte sagen Sie mir Ihren Namen und den Grund Ihres Anrufs.“

      „Ja, guten Tag, mein Name ist Berkamp. Ich bin hier in der Goethe-Straße und da drüben steht mein Auto, ein blauer BMW X-3....“

      „Was ist daran ungewöhnlich? Vielleicht haben Sie selbst den Wagen dort geparkt.“

      „Nein, mein Wagen kann da gar nicht sein. Ist er aber. Weil ich ...“

      „Hören Sie, dies ist die Notrufnummer der Polizei. Falls Sie sich einen Scherz erlauben ... Haben Sie