Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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Hören Sie: Mein Auto steht hier, obwohl ich es vor drei Stunden woanders geparkt habe. Hinten in der Staufenstraße. Ich bin seit dem nicht damit gefahren; verstehen Sie? Und meinen Autoschlüssel habe ich hier bei mir. In dem Wagen sitzt jetzt ein fremder Mann mit einer dunklen Baseball-Mütze.“

      „Bitte nennen Sie mir das Kennzeichen ihres Wagens.“

      „MTK- XY 999. Ein dunkelblauer BMW X-3.“

      Etwas Klappern oder Rascheln im Telefonhintergrund. Stille. Dann wieder die weibliche Stimme:

      „Hören Sie bitte? Ihr Name ist Berkamp, richtig? Herr Berkamp, wir schicken einen Streifenwagen vorbei. Bitte warten Sie dort auf die Kollegen. Die sind gleich da. Zwei bis drei Minuten.“

      Noch ehe ich antworten kann, klingt ein schrill fiependes Alarmsignal durch die Straße. Etliche Menschen sind stehen geblieben und schauen in die Richtung, wo mein BMW parkt. Wieder schießt mir ein heißes Gefühl durch den Bauch.

      „Hey, da tut sich was, da drüben,“ sagt die Overallfrau, die mir ihr Telefon ans Ohr hält.

      „Hallo, Polizei. Hören Sie. Irgendwo ist gerade ein Alarm losgegangen. Mein Auto jedenfalls hat keine Alarmanlage.“

      „Ja, ich weiß, wir sind unterwegs. Wir haben ...“

      Damit bricht die Stimme im Telefon ab und die Verbindung endet.

      „Sie, wirklich vielen Dank. Das war ...“, will ich zu der Frau im Overall sagen. Die ist bereits einige Schritte in die Richtung gegangen, aus der das Alarmsignal tönt. Während ich ihr mit einem halblauten „nochmals vielen Dank“ folge, verlassen zwei groß gewachsene Frauengestalten mit langen blonden Haaren in flatternden hellen Hosen und weiten Sommerhüten auf dem Kopf das Schmuckgeschäft hinter meinem BMW. Sie schwingen ihre dunklen Knautschleder-Handtaschen über die Schultern und gehen zu dem X-3. Der dunkel gekleidete Mann am Steuer beugt sich etwas vor, der Motor startet, die beiden Frauen steigen ein. Kaum sind die Seitentüren geschlossen, rollt der Wagen nach links in die Fahrbahn. Fährt nur wenige Meter in meine Richtung und verschwindet vorn rechts in die schmale Alte Rothofstraße. Alles geschieht zügig, wirkt aber nicht fluchtartig.

      *

      Als mein Wagen abgebogen ist, löst sich meine Erstarrung. Ich laufe zu der Einbiegung. Dort kommt mir eine junge Frau mit einem Kinderwagen entgegen. Von dem X-3 ist nichts mehr zu sehen. „Entschuldigung, haben Sie gesehen, wohin der Wagen eben gefahren ist?“

      „Wagen? Auto? Ich kein Auto gesehen. Mein Kind geschaut. Verstehn?“

      Das blecherne Tatütata des Polizei-Wagens ist eine Weile früher zu hören und scheint den ganzen Rathenau-Platz zu füllen. Es verstummt und ein silberner Opel Zafira mit einem dicken blauen Polizei-Streifen an der Seite biegt in die Goethe-Straße ein. Er wird langsamer, fährt nach wenigen Metern nur noch im Schritttempo. Als ich zu dem Fahrzeug gehen will, höre ich ein zweites, dumpferes Martinshorn, von der anderen Seite aus Richtung Alte Oper. Mit blinkenden Scheinwerfern und aufleuchtenden Warnblinklichtern rollt ein grauer VW-Passat schnell näher und stoppt mit quietschenden Reifen kurz vor der Schmuckboutique „Croma“. Ich halte inne: Kommen die wegen meines Anrufs? Oder wegen des Alarmsignals? Wird sich zeigen. Ich halte mich an den silber-blauen Zafira. Der steht mir am nächsten. Seine Warnblinklichter sowie blaue und orangerote Leuchten in dem Signalbalken auf dem Dach zucken jetzt ebenfalls grell.

      Inzwischen sind zahlreiche Menschen stehen geblieben und bilden lockere Zuschauerreihen auf beiden Straßenseiten. Fast alle sehen in Richtung es grauen VW-Passat, der halb schräg auf der Fahrbahn vor dem Juwelierladen parkt. Auf dem Beifahrersitz des Zafira sitzt eine junge Polizistin, die vor sich hin spricht. Von einem Hörknopf in ihrem rechten Ohr führt eine dunkelgraue Kabelspirale zum Kragen ihres hellblauen Diensthemdes und verschwindet dahinter. Noch während sie kurz zu ihrem Kollegen auf dem Fahrersitz schaut, öffnet sie die Tür und steigt aus.

      Ovales Gesicht und hellblaue Augen, blonde Haare in einem kurzen Pferdeschwanz und ein deutliches Grübchen im Kinn. Obwohl viele Leute es ein wenig störend finden – schon als junger Mann haben mich menschliche Gesichter fasziniert. Sie sind für mich eine Einladung, sie genau zu betrachten. Stirn und Wangen der Polizistin wirken frisch, wie blankgeputzt. Der dunkelblaue Hosenanzug und die etwas kantige Schutzweste erscheinen mir ein wenig unpassend zu ihrem jungen, hübschen Gesicht und dem offenen Blick. Sie streckt sich kurz, überschaut mit einem schnellen Blick die Straße und die nähere Zuschauerreihe.

      Selbstverständlich stehen auch links und rechts vor dem Polizeiwagen, der mitten in der Fahrbahn gehalten hat, Menschen umher. Dem Fahrzeug und seinen beiden Insassen schenken sie kaum Beachtung, gaffen stattdessen hinüber zu dem grauen VW-Passat vor dem Uhrengeschäft.

      „Herrschaften, bitte bleiben Sie auf den Bürgersteig; treten Sie zurück von unserem Dienstwagen,“ höre ich den Polizisten auf der Fahrerseite, der inzwischen ebenfalls ausgestiegen ist. Doch die Leute bleiben einfach stehen. Ich drängele mich an zwei jungen Männern vorbei, um zu der Polizistin zu gelangen.

      Sie hat mich bemerkt und fragt: „Wollen Sie was? Das geht jetzt schlecht. Bitte bleiben Sie zurück.“

      „Ich muss mit Ihnen sprechen. Mein Name ist Berkamp. Ich habe die Rufnummer 110 angerufen. ... Wegen meinem Wagen ...“ erkläre ich über die Schulter einer Frau hinweg.

      „Reden Sie von dem blauen BMW X-3? Sind Sie das?“

      „Ja, richtig, das bin ich. Es geht um mein Auto.“

      Jetzt schließt die Polizistin die Tür ihres Wagen ganz, streckt ihren rechten Arm nach vorn und wedelt mit der Hand.

      „Bitte lassen Sie den Herrn durch. Kommen Sie.“

      Woher kommen derart schnell so viele Zuschauer?

      Die Polizistin gefällt mir. Sie wird sich um mein Auto kümmern.

      Und sie verwirrt mich. Seit zig Jahren hatte ich nichts mit der Polizei zu tun. Das jugendliche Aussehen der Beamtin und ihre unaufgeregte, freundliche Art widersprechen angenehm meiner Vorstellung vom Auftreten von Polizisten aus meiner Studentenzeit. Damals eine derartige Uniform-Frau – undenkbar.

      „Okay, also Sie sind Herr .... Berkamp, richtig?!“

      „Ja, richtig.“

      „Der Besitzer des BMW X-3?! Bitte zeigen Sie mir den Wagen.“

      Fast muss ich lachen.

      „Das geht leider nicht mehr. Er ist weg. Noch während ich den Notruf in der Leitung hatte ...“

      Die Polizistin zieht die Augenbrauen zusammen, hebt ihre rechte Hand, wie um mich zu unterbrechen. Von mir weggedreht beginnt sie mit gedämpfter Stimme in das kleine dunkelgraue Mikrophon zu sprechen, das links unterhalb ihres Kinns mit einem Clip an der Kante ihre Hemdkragens befestigt ist. Sie nickt ein paar Mal stumm vor sich hin, bestätigt halblaut: „Ja, verstanden, okay, ist klar, ja, Ende.“

      Ihre Dienstmütze hat sie im Wagen liegen gelassen. Recht so, bei dem Sommerwetter und ihren blonden Haaren.

      Immer noch dieser freundliche und zugleich feste Blick, als sie sich wieder zu mir dreht und erklärt:

      „Also, es gibt eine neue Lage. Das scheint etwas schwieriger zu werden. Dort drüben in der „Croma“-Boutique hat es einen Raubüberfall gegeben. Zeugenhinweise lassen vermuten, dass ein dunkelblauer BMW SUV daran beteiligt war, mutmaßlich als Fluchtfahrzeug. Ich meine ... es handelt sich mutmaßlich um Ihren Wagen. Sie müssen auf jeden Fall hier bleiben und sich zu unserer Verfügung halten. Das kann allerdings dauern. Die Kollegen müssen sich erst einen Überblick über das Geschehen verschaffen. Also, Sie bleiben bitte hier.“

      Nach kurzen Zögern: „Oder – kommen Sie, steigen Sie hier ein.“

      Damit öffnet sie mir die Beifahrertür. Sie spricht kurz mit ihrem Kollegen, steigt auf der Fahrerseite ein, startet den Motor und lenkt den Zafira behutsam und hupend einige Meter zur Seite. Damit wird zugleich der Weg frei für einen blassblauen