Charlotte Bronte

Jane Eyre


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hat die Sache entdeckt. Ich glaube, sie war neidisch. Und jetzt leben sie und ihre Schwester wie Hund und Katze miteinander; sie zanken und streiten unaufhörlich.«

      »Nun, und was ist aus John Reed geworden?«

      »Ach, er führt sich nicht so brav auf, wie seine Mutter es wohl wünschen könnte. Er war auf der Universität und wurde fortgejagt; dann wollten seine Onkel, daß er Advokat werden und die Rechte studieren sollte. Aber er ist ein so leichtsinniger junger Mensch, ich glaube, daß niemals viel aus ihm werden wird.«

      »Wie sieht er aus?«

      »Er ist sehr schlank. Einige Leute finden, daß er ein schöner junger Mann ist. Aber er hat so dicke, aufgeworfene Lippen.«

      »Und Mrs. Reed?«

      »Die gnädige Frau sieht im Gesicht dick und wohl genug aus, aber ich glaube nicht, daß sie sich im Gemüt wohl fühlt. Mr. Johns Betragen gefällt ihr nicht – er braucht sehr, sehr viel Geld.«

      »Hat sie dich hergeschickt, Bessie?«

      »Nein, in der Tat; aber ich habe schon so lange gewünscht, Sie zu sehen, und als ich hörte, daß ein Brief von Ihnen gekommen sei, und daß Sie in eine andere Gegend des Landes gehen wollten, dachte ich mir, daß ich mich auf die Reise machen müsse, um Sie noch einmal zu sehen, bevor Sie ganz außer meinem Bereich wären.«

      »Und ich fürchte, Bessie, du siehst dich in deinen Erwartungen getäuscht.« Dies sagte ich wohl lachend, aber ich hatte bemerkt, daß Bessies Blicke, wenn sie auch achtungsvoll waren, in keiner Weise Bewunderung ausdrückten.

      »Nein, Miß Jane, das nicht gerade; Sie sehen sehr fein aus; Sie sehen aus wie eine Dame, und mehr habe ich eigentlich nie von Ihnen erwartet. Als Kind waren Sie auch keine Schönheit.«

      Ich mußte über Bessies offenherzige Antwort lächeln. Ich fühlte, daß sie treffend war, aber ich muß gestehen, daß ich doch nicht ganz unempfindlich gegen ihren Inhalt war. Mit achtzehn Jahren wünschen die meisten Menschen zu gefallen, und die Überzeugung, daß ihr Äußeres nicht geeignet ist, ihnen die Erfüllung dieses Wunsches zu verschaffen, bringt alles andere als Freudigkeit hervor.

      »Aber ich vermute, daß Sie sehr gelehrt sind,« fuhr Bessie, wie um mich zu trösten fort. »Was können Sie denn alles? Können Sie Klavier spielen?«

      »Ein wenig.«

      Im Zimmer stand ein Instrument; Bessie ging hin und öffnete es; dann bat sie mich, ihr ein Stück vorzuspielen. Ich gab ihr ein paar Walzer zum besten und sie war entzückt.

      »Die beiden Miß Reeds können nicht so gut spielen!« sagte sie triumphierend. »Ich habe ja immer gesagt, daß Sie sie im Lernen übertreffen würden. Können Sie auch zeichnen?«

      »Dort über dem Kamin hängt eine von meinen Zeichnungen.« Es war eine Landschaft in Wasserfarben, welche ich der Vorsteherin aus Dankbarkeit für ihre liebenswürdige Vermittlung bei dem Komitee geschenkt hatte, und die sie unter Glas und Rahmen hatte bringen lassen.

      »Aber das ist wirklich schön, Miß Jane! Der Zeichenlehrer der Miß Reeds könnte es auch nicht schöner gemalt haben; von den jungen Damen selbst will ich schon gar nicht reden. Denen könnte es bald jemand nachmachen. Haben Sie auch Französisch gelernt?«

      »Ja, Bessie; ich kann es lesen und auch sprechen.«

      »Und können Sie auch sticken und nähen?«

      »Gewiß, das kann ich.«

      »O, Sie sind ja eine ganze Dame geworden, Miß Jane! Das habe ich mir immer gedacht. Ihnen wird es immer gut gehen, ob Ihre Verwandten sich um Sie kümmern oder nicht. Ich wollte Sie noch um etwas befragen. – Haben Sie jemals von den Verwandten Ihres Vaters, den Eyres etwas gehört?«

      »Nein, in meinem ganzen Leben nicht.«

      »Nun, Sie wissen ja, Mrs. Reed hat immer gesagt, daß sie arm und ganz gemein wären; möglich, daß sie arm sind, aber ganz gewiß sind sie ebenso fein wie die Reeds selbst; denn eines Tages vor beinahe sieben Jahren kam ein Mr. Eyre nach Gateshead und wünschte Sie zu sehen. Mrs. Reed sagte, daß Sie fünfzig Meilen weit in einer Schule seien; er schien sehr enttäuscht, denn er konnte nicht bleiben; er wollte auf eine Reise in ein fremdes Land gehen, und das Schiff sollte schon in zwei, drei Tagen von London abgehen. Er sah aus wie ein Gentleman, und ich glaube, daß er Ihres Vaters Bruder war.«

      »Nach welchem fremden Lande ging er, Bessie?«

      »Nach einer Insel, die viele tausend Meilen entfernt ist, wo sie Wein machen – der Kellermeister hat mir das gesagt.«

      »Nach Madeira vermutlich?«

      »Ja, ja, das war's, so hieß sie.«

      »Und dann ging er wieder fort?«

      »Ja. Er blieb nicht viele Minuten im Hause, Mrs. Reed war sehr von oben herab mit ihm. Nachher sagte sie von ihm, er sei ein »armseliger Handelsmann«. Mein Robert glaubt, daß er ein Weinhändler war.«

      »Sehr wahrscheinlich,« entgegnete ich, »oder vielleicht der Commis oder der Agent eines Weinhändlers.«

      Noch eine ganze Stunde lang sprachen Bessie und ich von alten Zeiten, und dann war sie gezwungen, mich zu verlassen. Als ich am nächsten Morgen in Lowton auf die Postkutsche wartete, sah ich sie noch für einige Minuten wieder. Schließlich trennten wir uns vor der Tür des »Wappens von Brocklehurst« daselbst; jede zog dann ihre Straße; sie begab sich auf den Gipfel des Lowood-Felsens, wo der Wagen vorüber kam, der sie nach Gateshead zurückführen sollte; ich bestieg das Gefährt, das mich in die unbekannte Gegend von Millcote brachte, einem neuen Leben und neuen Pflichten entgegen.

      Elftes Kapitel

      Ein neues Kapitel in einem Roman ist mit einem neuen Akt in einem Schauspiel zu vergleichen; wenn ich den Vorhang wiederum in die Höhe ziehe, lieber Leser, mußt du dir vorstellen, daß du ein Zimmer im »Georgs Wirtshaus« in Millcote siehst, mit so großblumigen Tapeten an den Wänden, wie Gasthauszimmer sie gewöhnlich aufweisen; mit dazu passenden Teppichen, Möbeln, Nippesfiguren auf dem Kamin, Kupferstichen, einem Porträt von Georg III., einem zweiten des Prinzen von Wales, und einer Darstellung vom Tode des General Wolfe. Und alles dies siehst du bei dem Schein einer Öllampe, welche von der Decke herabhängt, und dem eines hellen Kaminfeuers, neben welchem ich in Mantel und Hut sitze; mein Muff und Regenschirm liegen auf dem Tische, und ich versuche, mich an der Wanne des Ofens von der Steifheit und Betäubung zu erholen, welche eine sechszehnstündige Reise in kaltem Oktoberwetter bei mir hervorgerufen hatte; um vier Uhr Morgens hatte ich Lowton verlassen und die Stadtuhr von Millcote schlug jetzt gerade die achte Stunde.

      Lieber Leser, wenn es auch den Anschein hat, als ob ich mich ganz behaglich fühlte, so befindet mein Gemüt sich doch durchaus in keiner beneidenswerten Verfassung. Ich hatte gehofft, hier bei Ankunft der Postkutsche jemanden zu meinen Empfange bereit zu finden. Als ich die hölzerne Treppe hinabstieg, welche der Hausknecht zu meiner größeren Bequemlichkeit an den Wagen gestellt, blickte ich ängstlich umher, in der Erwartung, meinen Namen von irgend jemandem aussprechen zu hören und einen Wagen zu erblicken, welcher meiner harrte, um mich nach Thornfield zu bringen. Aber nichts derartiges war sichtbar, und als ich den Kellner fragte, ob jemand da gewesen, um sich nach Miß Eyre zu erkundigen, wurde meine Frage verneinend beantwortet. So blieb mir also nichts anderes übrig, als zu verlangen, daß man mir ein Privatzimmer anweise – und hier sitze ich nun, während Furcht und Zweifel aller Art meine Seele martern.

      Für die unerfahrene Jugend ist es ein seltsames Gefühl, sich plötzlich ganz allein in der Welt zu sehen – von allen Bekannten getrennt – ungewiß, ob sie in den Hafen, für welchen sie bestimmt ist, einlaufen kann und durch tausend Schwierigkeiten verhindert, in den sichern Port, aus welchem sie ausgelaufen, zurückzukehren. Der Reiz der Neuheit, die Freude am Abenteuerlichen versüßt dies Gefühl, das Bewußtsein der Selbständigkeit erwärmt es – aber die Empfindung der Furcht dämpft es – und kaum war eine halbe Stunde vergangen, in welcher ich noch immer allein war, so wurde das Gefühl der Furcht durchaus vorherrschend. Da fiel es mir