Klaus Hönn

Tsunami- Protokoll einer Flucht


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genötigt und mit der Bemerkung „Bon vol, camarade, merveilleux “ ein wenig glaubwürdiges Kompliment gemacht.

      Rust fand François, Yvonne und den blonden Schweden wieder in Beobachtung der See vertieft. Der Schwede macht sich als Lars bekannt. Er führte ein Fernglas mit sich. Das schwarze Futteral baumelte an einem Band um seinen Hals. Dazu aufgefordert, warf Rust einen Blick auf den weißen Streifen am Rand des hellen Sichelbandes auf der Wasserfläche. Er war ungeübt in der Hantierung mit dem Glas. Die Vergrößerung schien stark zu sein. Erst nach langem Suchen im Dunst des Horizonts gab sich der Streifen als Krone einer Brandungswelle zu erkennen. Der Kamm zeigte keinen engen Zusammenhang. Eine helle Krone warf sich sich zu wechselnder Höhe auf. Abschnittsweise schien sie zu brechen oder zu zerfasern. Aus der matten Fläche aus Schaum erhob sich scheinbar aus dem Nichts ein Wasserberg und suchte Anschluß an den seitlich benachbarten Brandungssaum. Noch immer war der schmale Steifen, nicht mehr als ein mehrfach unterbrochener weißer Strich im Meer und nur weitab der kleinen Gruppe auszumachen. Beim Blick über den Strandabschnitt zu ihren Füßen war der Übergang vom nassen Sand zum Meer, jetzt wie es Rust schien, ein Stück herangerückt. Lars, an Unruhe in nördlichen Meeren anscheinend gewohnt, fand Gefallen an der Erscheinung, die im Glas zu sehen war. Wellengang am Strand versprach mehr Vergnügen als unbewegte See.

      Die Vier waren ins Englische gefallen. François drückte Unverständnis über die wahrgenommene Erscheinung aus. Sagte, dergleichen habe er nie vorher erlebt. Vergebliche Anstrengung um Einordnung und Zusammenhang der Phänomene! Warum erschien die Brandungswelle stark nur an den Flanken? Warum nur diese eine Welle so vereinzelt, ohne Vorläufer wie man sah und anscheinend auch ohne Folgewellen? Rust machte auf das Relief des Meeresgrundes aufmerksam. Ihm war bekannt, die Strandabschnitte mit den großen Brechern für Surfer auf Hawaii und in der Südsee waren örtlich oft eng begrenzt. Voraussetzung war immer ein Anstieg der Geländelinie unter der Oberfläche, der das Entstehen der steilen Kämme möglich macht. Lars, anders als Rust selbst Wellenreiter, gab ihm Recht. Er vermute, die Brandungswelle, jetzt mit bloßem Auge erkennbar, schäume nur auf entfernte Strandabschnitte zu. Anhöhen erhoben sich dort hinter dem Ufer, bei ihnen hier dazwischen sei das Hinterland dagegen flach.

      Das unbewehrte Auge übersah, daß sich in weitem Abstand zum erkannten Brandungsband eine Wellenfront heranschob, die den Vorboten als Zwerg erscheinen ließ.

      Ban Bang Noh und Ban Bang Lam waren bis vor zwanzig Jahren unscheinbare Ansiedlungen gewesen, friedlich eingebettet zwischen zwischen Meer und Hügelland. Alle hier kürzten die Namen ab und sprachen nur von Noh und Lam. Durch den Fremdenverkehr waren die Ortschaften aufgeblüht. Zwischen beiden lag kaum bebautes Land hinter der Küstenstraße. Yvonne hatte ihren Stand ungefähr in der Mitte zwischen Noh und Lam gesetzt. Wenige Bäume säumten die Ränder eines nahen Flüßchens vor der Einmündung ins Meer. Beiderseits, nach Noh hin ebenso wie nach Lam, erstreckte sich flaches Land bis zu Bergen, die viel weiter vom Meer abgelegen waren als die Hügel direkt hinter den beiden Küstendörfern. Wenige Felder wechselten sich mit Brachland ab. Die Küstenstraße verlief nahe Yvonnes Pavillon auf einem flachen Damm. Hinter der Straße und dem Gehweg fiel das Gelände wieder ab. Nur wenige Baumgruppen hatten die Holzhändler überleben lassen. Gerade noch genug, um den Eindruck von Öde und Kahlheit zu vermeiden. Dieses schwach genutzte Terrain war Bauerwartungsland, mindestens in Küstennähe, sagte sich Rust, der in diesen Dingen nicht ohne Erfahrung war.

      Die Wellenfront zu beiden Seiten wurde jetzt hörbar. Kräftiges Rauschen wehte der Morgenwind von rechts herüber.Das Geräusch hatte sich aus der Tonlage von schwachem Summens wie bei Insekten rasch verstärkt und verstärkte sich zu bedrohlich wirkender Gewalt. Die Vier am Pavillon sahen sich betreten an. Keiner wünschte die sich Blöße übermäßiger Ängstlichkeit zu geben. Rust neigte nicht zu grundloser Furcht. Jetzt verhehlte er sich nicht: die spürbare Gewalttätigkeit einer Erscheinung nicht weit entfernt von ihrem Standort provozierte Angst. Lars betastete mit unfroher Miene seinen Sonnenbrand. Der Lederriemen des Futterals schmerzte anscheinend auf der gereizten Haut. Yvonne hatte sich hinter die Theke zurückgezogen und begann, den Vorrat an Gebäck unverkauft in Transportkisten zu verstauen. Sie gab sich keine Rechenschaft über Sinn oder Vernünftigkeit ihres Tuns. François unterstützte sie ungefragt. Kein Wort war in der letzten Minute mehr gewechselt worden.

      Der breite Sichelstreifen hatte den Strand erreicht. Rust konnte erkennen, daß die vorher freiliegenden Felsvorsprünge im Meer sich wieder sacht bedeckten. Das Wasser war nicht klar wie gewohnt sondern gelblich gefärbt von feinem Meeressand. Der Meeresspiegel erreichte bald die Höhe, die ihm zukam nach Rusts Erinnerung. Der Anstieg hatte sich sacht und ohne Heftigkeit vollzogen. Das Wasser umspülte nun wieder den Landungssteg der Fallschirmflieger knietief unter der Startplattform. Dies Maß erlaubte komfortable Bedingungen für den Start beim Wasserski. Der Spiegelanstieg hielt in dieser Höhe noch nicht inne. Kleine Wellen leckten den Holzsteg entlang näherten sich Rust und seinen jetzt unverhohlen angstvollen Gefährten. Kein Zweifel, sie waren allesamt geübte Schwimmer. Dennoch trieb die Furcht vor der unheimlichen Erscheinung die Vier wie zur Schutzsuche nahe auf einander zu. Ihnen entging der krachende Aufprall einer hüfthohen Brandungswelle auf die Strände von Ban Bang Noh und Ban Bang Lam. Sie schoß vor Noh ebenso wie vor Lam wuchtig den Uferstreifen hoch bis zur Promenade. Hier hatte sich die Kraft erschöpft. Der Kamm hatte sich gebrochen und verlief sich in Schaum und Schmutz. Was Brandungswelle gewesen war, sank matt zurück in den gelb aufkochenden Wassersaum, der sich bis über die Strandmitte vorgeschoben hatte. Die Flut zeigte noch kein Zeichen der Bereitschaft zum Rückzug auf die angestammte Höhe.

      Wenige Badegäste wurden von dieser Welle im Wasser überrascht. Mutige hatten dem Anprall die breite Brust geboten. Von Sylt, von Biarritz, von vielen Stränden des alten Kontinents Europa war man mit dergleichen Wogenspiel vertraut. Eltern hatten beim Nahen der Woge ihre erschreckten Kinder tröstend an die Hand genommen. Vom Rücklauf des Wassers ein Stück weit nachgezogen, hatten sie Tritt gefasst und näherten sich wieder lachend den Hotels. Mit erstauntem Kopfschütteln hatten auch die Passanten auf der Promenade den Anprall verfolgt. Im tieferliegenden Teil des gepflegten Uferweges war Nässe bis auf die Pflastersteine vorgedrungen. Ganz überwiegend aber hatte die Flut knapp unterhalb des Weges eingehalten. Nur einige vorsichtige Flaneure sahen Anlaß, die soeben noch bedrohte Promenade zu verlassen. Auf landseitig höher liegendem Terrain setzten sie den Spazierweg fort. Auf den Terrassen und in den Speisesälen der Hotels nahm das Frühstücksvergnügen seinen gewohnten Lauf, eher verspätet an diesem Morgen nach der Festlichkeiten vom Abend bis in die späte Nacht.

      Lars, Yvonne und Rust erfuhren keinen Brandungsangriff, nur still ansteigenden Meeresspiegel. Yvonne hatte sich schutzsuchend bei Lars und François eingehakt. Schwerer als üblich atmend, verfolgten sie Anstieg und Annäherung der dunklen See. François beschwor in einem schwachen Anlauf zum Scherzen die Sintflut als Strafe für menschliche Verderbtheit. Lars, äußerte den Verdacht auf ein Erdbeben als Ursache der Naturerscheinung. Man versicherte sich gegenseitig, kein Zeichen von Erschütterungen festgestellt zu haben. Salzig gelbes Wasser erreichte ihren Standplatz vor dem Verkaufsgerüst. Bald bedeckte es den Fußboden im Inneren des leicht gebauten Standes.

      Sie hatten die Sandalen ausgezogen. Hinter ihrem Rücken hatte auf dem Straßendamm ein Pick-Up haltgemacht. Der Fahrer war ein junger Thai. Er starrte ebenso ungläubig aufs Meer wie seine Begleiterin. Das Geräusch entfernten Tosens von den Landzungen her war abgeebbt. Yvonne löste sich aus der vorher selbst gesuchten Stützung und lief zu ihrem Auto unterhalb des Dammes. Rasch steuerte sie das Fahrzeug aus dem flachen Wasser den kleinen Abhang hoch. Die Körbe mit dem Backwerk konnte man leicht den kleinen Umweg tragen. Vor der Rückkehr zum Pavillon blickte sie sich nach allen Seiten um. In Richtung Noh und Lam schien nichts bemerkenswert. Als sie zurückkam, um die Körbe aus dem Stand zur Verladung ins Auto abzuholen, hatte der Anstieg des Wassers haltgemacht. François zeigte sich erleichtert. Damit sei wohl das Schlimmste überstanden. Der Wasserspiegel verharre auf einer Höhe, geschätzt einen Meter fünfzig über normalem Stand. Man fühlte sich dennoch in Eile

      Gemeinsam mit François hatte Yvonne das Backwerk in Kunststoffkisten eingepackt.. Fast die gesamte frische Morgenware wurde unverkauft wieder im Laderaum verstaut. Rust hatte sich ein goldbraun gebackenes Stangenbrot und vier dunklere Brötchen gesichert. Er verwahrte den Einkauf sorgfältig in einem mitgeführten Beutel. Yvonne verzichtete auf sofortige Bezahlung