Torsten Thoms

Nocturnia - Die langen Schatten


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seines Vaters Mittel, mit denen er erfolgreich alle zum Schweigen brachte, die von der Sache wussten. Selbst seine Schwester kannte nicht jedes Detail, doch war sie zu schlau, um sich nicht ihren Teil zu denken.

      Widerwillig wälzte Naxbil sich aus dem Bett. Er würde doch gehen. Und wenn er nur seinen Vater mit seiner Anwesenheit ärgern konnte. Der riesige, schwarze Spiegel zeigte ihn in seiner ganzen Größe. Aus irgendeinem Grund hielt er sich für unwiderstehlich. Trotz seiner jungen Jahre hatte er bereits einen prächtigen Bauchansatz, seine Arme und Beine schienen kaum zu dem aufgeschwemmten Körper zu passen, zu dünn, um ihn zu tragen. Sein Gesicht war aufgedunsen vom üppigen Genuss des Miestas, doch Naxbil liebte sich selbst zu sehr, als dass er seinen körperlichen oder moralischen Schwächen all zu viel Bedeutung beigemessen hätte. Sein Erfolg beim weiblichen Geschlecht gab ihm recht und jeder, der ihn sah, musste zugeben, dass er etwas hatte, etwas Unbeschreibliches, dass ihm eine Art Aura gab, die besonders auf den ersten Blick alle anderen Merkmale übertünchte. Das hatte er mit seiner Schwester gemein, obwohl es bei ihr nicht so auffiel, war sie doch von Natur aus eine erotische Erscheinung.

      Anders als Juchata, die mit einem einfachen Lebensstil zufrieden war, umgab Naxbil sich mit allem Luxus, den er finden konnte. Er hatte sich von Namenlosen einige Skulpturen schaffen lassen, die seine Gemächer zierten. Ebenfalls hatte er eine Schwäche für weiche Stoffe, die überall hingen oder lagen. Sein Kleiderschrank war voll mit den besten Stücken, kaum jemand in der Oberstadt legte so viel Wert auf Kleidung. Zwar ließ sein Geschmack etwas zu wünschen übrig, manchmal passten die Farben nicht unbedingt zueinander, doch alles war von feinster Qualität und immer sehr teuer.

      Das ganze Zimmer strahlte deshalb eine kitschig-heitere Atmosphäre aus, die allerdings selten jemand zu Gesicht bekam, denn wenn er seine Freunde traf, tat er das in der Oberstadt, die einige Hundert Phrakten vom Haus der DeRoveres entfernt lag.

      Langsam zog er sich an, wählte seinen teuersten und farbenfrohsten Anzug, ein Pigmanie neuester Mode. Er wusste, dass sein Vater diesen Pigmanie hasste, er hielt ihn für dekadent und weibisch. Vielleicht wählte Naxbil ihn aus diesem Grund, doch er gefiel ihm auch, den grell-gelben, extra-lange Kragen, das rote Jackett mit den grünen Taschen und dem bunten Muster auf den unteren Partien, die bis zu den Beinen reichten. Naxbil sah sehr elegant aus und jeder, der ihn so sah, musste bestätigen, dass der moderne Pigmanie Naxbil überaus gut kleidete, seine ungünstige Figur in ein besseres Licht rückte. Diesmal geschmackvoll wählte Naxbil eine besonders einfache Brosche, die ganz im Gegensatz zu seinem verschnörkelten Auftritt stand. Sie fiel auf, in ihrer männlichen Simplizität und hielt die Erscheinung zusammen. Sie schmückte seinen Kragen, verband diesen mit der Schärpe, die – ganz in Schwarz – ebenfalls aus dem Ensemble heraus stach.

      So wollte er zur Zeremonie, sich den Vätern und Müttern der Bräutigame zeigen, besonders aber seinem Vater. Zufrieden mit sich legte er sein dünnes, kurzes Haar mit Pomade an seinen Kopf, blickte auf seine stolze Gestalt und war zufrieden mit sich. Ihm war nicht bewusst, was er eigentlich erreichen wollte oder ob es überhaupt eine Rolle spielen würde, dass er erschien, aber in diesem Aufzug fühlte er sich wohl und damit sicher. Schließlich wollte er Blicke erhaschen, Blicke, die eigentlich seiner Schwester gehörten. Und auch wenn er das nicht schaffen sollte, war es immer noch besser aufzutreten und in seiner Schande präsent zu sein, als im Nichts der Dunkelheit seines Gemachs zu verschwinden.

      Seine innere Uhr, die alle Nocturnen besaßen, damit sie den Tagesanbruch nicht verpassten, sagte ihm, dass es Zeit war, sich auf den Weg zu machen. Noch hatte die Zeremonie nicht begonnen, doch durfte er sich Hoffnungen machen, dass bereits einige Gäste anwesend waren, vor allem natürlich sein Vater. Langsam schritt er sein Gemach der Länge nach ab, so als ob ihm im letzten Moment Zweifel gekommen wären. Sollte er oder sollte er nicht? Wie würden die Familien reagieren, wenn er auftauchte? Würden sie ihn mit Schimpf und Schande davon jagen? Doch Naxbil kannte den Einfluss seines Vaters, der, auch wenn er durch Naxbils Verhalten gelitten hatte, noch immer groß genug war, um jeden Skandal im Keim zu ersticken. Sie würden ihn vordergründig achten, wenn er ihnen jedoch den Rücken zukehrte, sich die Mäuler über ihn zerreißen. „Gut so,“ dachte er sich,„dann reden sie wenigsten über mich.“

      Fest entschlossen riss er die schwere, mit schwarzen Eisennieten beschlagene Tür auf. Der unendliche Korridor vor ihm schien ihm jetzt noch länger als sonst. Mit unnatürlich lauten Schritten verschaffte er sich Gehör, sie waren ganz sicher noch in vielen Etagen über und unter ihm zu hören. Man sollte vernehmen, dass er auftauchte, sich auf seinen Auftritt vorbereiten, vielleicht sogar Angst vor ihm haben und sei es auch nur wegen des Skandals und der Furcht davor, wie man sich ihm gegenüber verhalten sollte. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr freute er sich, doch noch seine Meinung geändert zu haben. Und wer wusste es schon, vielleicht würde er nach der heutigen Nacht wieder der Erste sein, denn er kannte seine Schwester, der er zwar keine Dummheit, aber eine kaum vergleichbare Sturheit zutraute. Sein Instinkt, den alle DeRoveres in schwächerer oder stärkerer Form besaßen, sagte ihm, dass es auch für ihn eine bedeutende Nacht werden würde. Er fühlte sich bereit dazu, seinem Schicksal erneut zu begegnen.

      Kapitel 3

      Seine innere Unruhe bemerkte niemand im Raum, zu stark war sein Wille, zu routiniert sein Verhalten, um irgendjemanden spüren zu lassen, was er wirklich dachte oder fühlte. Vincus war von groß gewachsener Gestalt, schlank und drahtig. Sein schlichtes, schwarzes und weites Gewand war von feinstem Stoff und hing beinahe schwerelos um seinen Körper. Seine Gesichtszüge waren hart und die Falten tief. Selbst für einen Fünfunfsechzigjährigen wirkte er älter als er war. Seine ganze Art strahlte Würde und Ruhe aus, der Fels in der Brandung, doch in seinem Innern loderte es heißer als sich irgendjemand vorstellen konnte. Er kannte die Gefahr, die heute lauerte, wusste, dass es seine letzte Chance war, den Familiennamen, der nun schon seit Generationen vererbt wurde, weiter zu führen. Es war eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet er, der die Familie zu höheren Ehren geführt hatte als sämtliche DeRoveres zuvor, an der simplen Frage der Nachkommenschaft scheitern sollte. Der schwere Schlag, den sein Sohn ihm mit seinem Verhalten verpasst hatte, war beinahe sein Ende gewesen, was kaum jemand wusste. Das erste Mal in seinem Leben hatte er sich verkaufen müssen, seine Dienste in die Macht jener gestellt, die er früher noch ausgelacht hätte. Doch die Situation war nun eine andere, denn wenn sie wollten, wäre er ihre Marionette, was in seiner Position fatale Folgen haben konnte. Sein Leben lang hatte er nur seinem Gewissen über Rechenschaft ablegen müssen, hatte sich niemals von anderen abhängig gemacht. Jetzt war es anders und er wusste es.

      Mit einem Lächeln auf den Lippen begrüßte er seine Gäste, Pelates Borja und Pelleus Magnus samt Gemahlin, einer beleibten Nocturnin mit dem Namen Livia, die aus einer der angesehensten Familien stammte. Die männlichen Nocturnen waren ähnlich gekleidet wie er, schlichte schwarze Gewänder, ihre Haare martialisch kurz geschnitten. Pelleus Magnus war ein Hüne von einem Nocturn, der mit den Jahren auch in der Breite gewachsen war. In jungen Jahren ein ebenso gefürchteter General wie sein Sohn jetzt, der mit dem gleichen Hang von selbstzerstörerischem Mut seine Truppen befehligt und die Schlachten gegen die Namenlosen wie durch ein Wunder überlebt hatte. Dass er dabei einen Arm durch den Biss seines eigenen Meganten, den gefährlichen Reittieren der Nocturnen, verloren hatte und nur noch auf einem Auge leidlich sehen konnte, war Teil seiner Geschichte. In späteren Jahren sprach er dem Miesta zu, während er sich auf den erkämpften Lorbeeren ausruhte. Er lebte von seinem Ruhm, wurde vom Volk nahezu vergöttert, was ihm eine nahezu uneingeschränkte Macht einbrachte. Zwischen ihm und Vincus herrschte eine Art berührungsloser Respekt, denn weder konnte Pelleus mit dem Intellekt des Vincus mithalten, noch Vincus mit der gewaltsamen Kraft des Pelleus, die von fast allen Hochgeborenen bewundert wurde. Durch das ausbalancierte Verhältnis der Beiden war eine Co-Existenz und fruchtbare Zusammenarbeit möglich, die in ihren schon lange währenden Regierungsjahren bereits viel bewegt hatte.

      Dem gegenüber stand Pelates Borja, ein ständiger Rivale von Vincus, der ebenso wie der Älteste der DeRoveres schlank und hochgewachsen war. Beide hatten ähnliche Eigenschaften, eine Intelligenz und Scharfzüngigkeit, die andere in den Schatten stellte. Während jedoch Pelates der noch bessere Redner war, fehlte es ihm an Charisma, ein Umstand, der vielleicht auf seinen Sprachfehler zurückzuführen war. Das leichte Lispeln machte sich besonders in