Torsten Thoms

Nocturnia - Die langen Schatten


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Inhalt. Pelates war seit jeher eifersüchtig auf den Erfolg der DeRoveres, ein Umstand, der ihn zu einem gefährlichen Gegner machte. Mit einer eventuellen Heirat wollte Vincus diese tödliche Rivalität abschwächen und er hoffte, dass Juchata den Sohn des Pelates wählen würde, denn Calavus war ihm näher als Gladicus. Vielleicht würde er auf diese Weise nicht auf den Enkel warten müssen, sondern genug Einfluss auf den Schwiegersohn gewinnen können, um das Familienerbe bereits früher in würdige Hände zu legen. Mit seinem Erzfeind hatte Vincus eine lose Vereinbarung getroffen. Aber dieses Spiel hatte sich noch nicht entwickelt und wie eine Partie Machroon, dass er meisterhaft beherrschte, würde er seine Figuren setzen und sehen, welche Situationen sich mit der Zeit entwickelten.

      Die Gemahlinnen von Pelleus und Pelates, Domitia und Livia, hielten sich im Hintergrund, ganz nach den Regeln Nocturner Gesellschaft. Sie waren etwas aufwendiger gekleidet, doch hielten sie sich an die Tradition der Hochgeborenen, nach der sich Nocturninnen in allen Belangen im Hintergrund halten mussten. Die beiden Söhne Calavus und Gladicus warteten bereits auf Juchata im Hochzeitsgemach, das Vincus eigens für diese Zeremonie hatte herrichten lassen. Das Zimmer, in dem ihm Naxbil diese unauslöschliche Schande zugefügt hatte, lag auf der anderen Seite des Hauses und war von nun an verschlossen, als könnte so die Erinnerung an die schmachvolle Tat endgültig ausgelöscht werden. Um Überraschungen und Zeugen zu verhindern, hatte Vincus diesmal nur ein einziges Spähloch anbringen lassen, von dessen Existenz nur er wusste. Nicht dass er Juchata ein ähnliches Verhalten wie Naxbil zutraute, im Gegenteil, er zweifelte nicht, dass sie gehorchen und wählen würde. An den Ernstfall eines Patts mochte er nicht einmal im Traum denken, denn jetzt brauchte er die stärksten Verbündeten, um aus der Situation heraus zu kommen.

      Seine Tochter hätte eigentlich längst hier sein sollen, bereits vor einer halben Stunde hatte er nach ihr geschickt. Baribas war sicher nicht der Schnellste, doch langsam könnte er mit seiner Tochter auftauchen. Das Gesicht des Vincus spiegelte keine seiner Befürchtungen wider, still und würdevoll strahlte er die Ruhe aus, die ihn zu dem gemacht hatten, der er war. Ein glänzender Politiker und Führer, der andere inspirieren und zu Taten bringen konnte, die diese selber nicht für möglich gehalten hätten. Aber auch jemand, der vorne lächelte und ohne mit der Wimper zu zucken seine Feinde hinten herum erledigen konnte, ohne dass diese merkten, woher der Schlag kam.

      Erst aber tauchte Naxbil auf, den er nicht erwartet hatte. Vincus bemerkte ihn bereits von Weitem, hörte seine übertrieben lauten Schritte und fragte sich, ob er sich wirklich so undeutlich ihm gegenüber ausgedrückt hatte. Die Einladung war zwar erfolgt, doch in der seichtesten Form, die jeder Nocturn von Rang sofort als Ausladung verstanden hätte. Nur nicht Naxbil, der anscheinend noch nicht genug angerichtet hatte. Als sich die schwere Holztür öffnete und Vincus seinen Sohn erblickte, diesen albernen Aufzug, sein Gehabe, verlor er für einen Bruchteil einer Sekunde die Herrschaft über seine Gesichtszüge. Der Hass, der in ihm brannte, nahm ihn für diesen Augenblick gefangen. Niemand, außer Naxbil, bemerkte es, der zusammenzuckte, denn mit einer derart starken emotionalen Reaktion seines Vaters, der so selten Gefühle zeigte, hatte er nicht gerechnet.

      Naxbil verbeugte sich vor seinem Vater, der seine Fassung sofort wieder gefunden hatte. Dieser legte seine Hand auf den Kopf des Sohnes, die ehrerbietige Begrüßung vor Zeremonien, wie sie in der Gesellschaft der Nocturnen unter Familienangehörigen üblich war. Sie sprachen kein Wort, Naxbil machte danach zuerst den männlichen Gästen seine Aufwartung, Pelleus begrüßte ihn beinahe schon wie seinen eigenen Sohn, denn der Tragus gab nichts auf die Gerüchte, die über Naxbil im Umlauf waren. Pelates hingegen warte Abstand, war sich der Schwachstelle im Hause DeRoveres bewusst und ließ Naxbil durch wenige sarkastische, gut gewählte Worte spüren, dass er gedachte, die Situation zu nutzen, die ihm Naxbil ermöglicht hatte. Sein Plan stand fest, nur noch ein kleiner Schritt und die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Zwischen den DeRoveres und Borjas würde nie Eintracht herrschen, selbst eine Zweckheirat konnte die vielen Jahre der Feindschaft nicht tilgen, soviel stand für Pelates fest. Er konnte nicht glauben, dass Vincus einen solchen Fehler begehen würde, vielleicht wurde er doch alt und sein scharfer Geist ließ ihn nach den Schicksalsschlägen der letzten Zeit im Stich. Doch Pelates war klug und kannte seinen alten Gegner zu gut, als dass er ihn jetzt, in der Stunde der Entscheidung, unterschätzen würde. Zu oft hatte ihm dieser alte Haudegen bereits einen sicher geglaubten Sieg im Parlament entrissen. Also blieb Pelates vorsichtig, ließ sich nichts anmerken und benahm sich wie der perfekte Vater des angehenden Bräutigams, denn er zweifelte keine Sekunde daran, dass die schöne Tochter des Vincus seinen brillanten Sohn Calavus dem Tölpel Gladicus vorziehen würde. Was hatte dieser einer so intelligenten Nocturnin schon zu bieten als Gewalt und Eintönigkeit?

      Die Tochter ließ weiter auf sich warten. Schon wurden Livia und Domitia in das Hochzeitsgemach geschickt, in der sie der Tradition gemäß für einige Zeit mit den jungen Herrschaften zusammen sein würden. Auch Ketauro Constantinus, der Ophraces, war bereits eingetroffen. Sein rotes Gewand wies ihn sofort als Priester aus, die arcinerne Schärpe, die nur die höchsten Ophraces tragen durften, deuteten auf seine Position hin. Die silberne Farbe war allein den Ophraces vorbehalten, die ihrerseits mit der göttlichen Pracht sehr sparsam umgingen und diese nur zu besonderen Anlässen trugen. Vincus hatte sicher alles in Bewegung gesetzt, um zu erreichen, dass der Ophraces heute diese und keine andere Schärpe trug. Die Väter waren jedenfalls beeindruckt, obwohl nur Pelleus dies auch offen zugab. Ketauro kannte Vincus seit seiner Kindheit, ein jetzt fülliger Lebemann, der dem Kult beigetreten war, um einen gehobenen Lebensstil leben zu können. Den Ophraces, den Priestern des Ophras, fehlte es an nichts. Früher durften sie nicht heiraten. Jetzt aber mussten sie nicht, auch wenn sie dem Geschlechtsleben frönen konnten, wie es ihnen beliebte. Und selbstverständlich wurde darüber niemals geredet, selbst die geschwätzigsten Nocturninnen hielten sich zurück, weil es bei Strafe verboten war, die heiligen Ophraces zu verleumden. Ihre Macht in der Gesellschaft war mit den Jahrhunderten stetig gewachsen, auch heute gab es kein Gesetz, keine wichtige Aktion, kein Gesetzesentwurf, denen sie nicht zustimmen mussten. Vincus' große Stärke war seine Kontrolle der Ophraces, seine treusten Anhänger befanden sich unter der Priesterschaft des Ophras. Heikle Abstimmungen hatte er so bereits des öfteren zu seinen Gunsten entscheiden können, auch wenn er es einmal nicht geschafft haben sollte, das Parlament zu überzeugen. Auf dieses Bollwerk seiner Macht konnte er sich noch immer stützen, auch wenn sein Einfluss unter den Adhiben, den Parlamentariern der Nocturnen, geschwunden war.

      Wenn Juchata gewählt hatte, würde Ketauro an Ort und Stelle die Heirat vollziehen, eine Zeremonie, die zwei ganze Nächte dauern würde. Alles war vorbereitet, Naxbil hatte sich in eine Ecke verzogen, allein, bekam, anders als gehofft oder erwartet, kaum Beachtung. Vincus redete mit seinen Gästen, hielt das Gespräch am Laufen, um die Zeit zu überbrücken. Juchata hatte ihn noch nie warten lassen, hätte schon eine ganze Weile da sein sollen. Doch auf Baribas war Verlass, er würde die Tochter herbringen, wenn nötig mit allen Mitteln. Das war sein Auftrag. Doch Vincus bezweifelte, dass seine Tochter es so weit kommen lassen würde, zu geschickt und vorsichtig war sie, als dass sie die Situation nicht verstehen würde.

      Aber wo blieb sie?

      Vincus entschuldigte sich für einen Moment, übertrug Ketauro die Aufgabe, die Gäste zu unterhalten, und ging selbst in Richtung der Gemächer seiner Tochter. Als er jedoch an der Treppe stand, die nach oben zum Stockwerk führte, in dem Juchata wohnte, sah er sie bereits kommen. Ihre roten Haare wehten trotz Windstille hinter ihr her, die ihn so sehr an seine Gemahlin Marletta erinnerten. Zwar hatte sie seine Statur, groß und schlank, doch die Züge waren weicher, genau so lieblich wie die Marlettas. Ihrer Mutter, seiner Frau.

      Er hatte ihr nie offen gezeigt, wie sehr er sie liebte, hatte sie immer auf Abstand gehalten. Er hatte seine Gründe dafür, kannte ihre schlummernden Fähigkeiten, von denen er nicht wollte, dass sie sie je entdeckte. Jetzt aber, in diesem Moment, als sie ihm entgegen eilte, mit ihrer ganzen Weiblichkeit, entschlossen und zielgerichtet, spürte er diese tief vergrabene Liebe, die aufbegehrte. Ganz wie es seine Art jedoch gebot, kontrollierte er jede Emotion, zeigte nichts. Ganz im Gegenteil, er sah geduldig und reglos zu ihr empor.

      Baribas folgte Juchata in gehörigem Abstand, konnte er doch der Jugend nicht länger folgen. Als Juchata ihren Vater erblickte, erstarrte sie für den Bruchteil einer Sekunde, fing sich aber sofort wieder. Wie immer bei