Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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mach' ich, wenn Stahl die Gleiche hat? Der muss doch den gleichen Koffer haben. Das wär' ja superpeinlich, dann lieber noch die gleichen Unterhosen.

      Erheitert sucht er nach einer Weiß-Blauen, oder nach einer mit einem Löwen vorne drauf, doch Fehlanzeige, bei allen zehn. Die Zeit drängt, seine Gedanken kreisen nun nicht mehr um sein heutiges Erscheinungsbild, vielmehr sind die schon im Osten.

      Vokabeln zum Frühstück, Mist.

      Maier versucht, ruhig zu bleiben und nachher wenigstens die allernötigsten Wörter noch zu verinnerlichen, doch er ist genervt, dass er gestern so schnell weg war und jetzt alles nachholen muss, auch noch auf dem Weg zum Flughafen. Sein Programm nicht durchziehen zu können, fordert ihn, kostet ihn Kraft. Er fühlt sich dann schlecht, weil er es nicht geschafft hat - nicht geschafft, was sein Ego ihm vorgegeben hat. Und es kostet ihn Kraft, ein neues Programm aufzustellen, um über die Hintertür sein Tagesziel doch noch zu erreichen.

      Sein Ego treibt ihn pausenlos an, will ihn zur Maschine machen, zur vollkommenen - immer effizient und bevorzugt zwei Dinge gleichzeitig erledigen können. Aber was bringt all sein Zeitsparen, sein Glaube an Effizienz, wenn er dabei dauernd unter Strom ist? Und vor allem nicht genießen kann?

      Eine Strategie raus aus diesem Dilemma ist, die Sache mir in die Schuhe zu schieben, wo sogar was dran ist. Oder er gibt die Schuld weiter, an die höhere Gewalt zum Beispiel, die nämlich ist gerade noch akzeptabel. Und das macht er diesmal auch, gibt die Schuld der höheren Pendelei, die ihn so müde gemacht hat, und heimatlos. Im Moment hat er wieder kein Zuhause, das ist schon anstrengend. Vor acht Wochen noch, bei seinem Umzug zurück nach München, hatte er beinahe Luftsprünge gemacht, so wild war er wieder auf seine Heimatstadt, keine 10 Pferde hätten ihn mehr nach Brüssel bringen können.

      Nach 5 Jahren im Exil hatte er sich wirklich sehr auf München gefreut, wieder daheim, Familie, Freunde, Biergärten, und vor allem auf seinen neuen Arbeitsplatz. Immerhin, für fast eine Woche, war er stolzer Besitzer eines Schreibtisches samt Stuhl in der Staatskanzlei. In der Staatskanzlei! Auch noch auf der richtigen Seite - mit Blick auf den schönen Hofgarten, eingerahmt von wunderschönen Torbögen und als Blickfang die erhabene ockergelbe Theatinerkirche mit ihren dunklen Türmen und der Kuppel. Doch dann kam es ganz dick. Was wie ein Märchen mit Happy End begann, endete mit einem einzigen Anruf - Stahl. Der hatte ihn angefordert und da kannst Du nicht nein sagen, sonst wirst Du nie wieder gefragt. Klar, die Nachricht hat ihn wie ein Donnerschlag getroffen, doch er fühlte sich auch geschmeichelt. Aber schon wieder umziehen? Und schon wieder ins Regen-Brüssel? Da kam er doch gerade her!Am selben Tag noch, keine halbe Stunde später, noch weit vor Dienstschluss so gegen drei, stand bereits der Neue da, stellte sich kurz vor, lächelnd, und fragte ihn, ob er schon einmal seine Sachen dalassen könne. Voller Verbitterung sah er auf das, was der Neue dagelassen hatte, ein fremdes Handtuch auf seinem Platz! Er wollte sich festkleben am Stuhl.

      Bis 17 Uhr 35 konnte er die Stellung halten, dann kam er herein und sie wünschten sich gegenseitig viel Glück, was natürlich nur gespielt war, sogar von beiden. Maier weiß bis heute nicht, was der dort genau macht.

      Is' mir auch egal, was der dort macht. Soll er sich doch drehen, bis ihm schlecht wird.

      Er hatte sich selber oft in diesem Stuhl gedreht, natürlich nur, wenn gerade keiner geschaut hatte. Residenz klassich, Theatinerkirche ockergelb, Hofgarten grün, Himmel hellblau mit kleinen weissen Quellwölkchen. Bocciaspieler rechts außen. Dann das ganze wieder zurück - Bocciaspieler rechts außen, kleine weiße Quellwölkchen, ... schlimm.

      Maier schloss die Tür mit Wehmut und ging kopfschüttelnd den Gang hinunter, wie ein Tropf, der macht, was er immer macht, und sich selber leid tut. Auf dem Weg zur U-Bahn machte er wie immer Halt im Tambosi, doch diesmal mussten 2 doppelte Frust-Averna gekippt werden. Er ließ gleich Eis und Zitrone weg, denn genießen wollte er sie nicht, nur weg damit. Auf Bier hatte er auch keine Lust - die Vorstellung, schon wieder Tegernseer im Rucksack nach Brüssel zu schleppen, erinnerten ihn zu sehr an den nahenden Abschied von der Bayernmetropole.

      Seit vier Wochen nun pendelt er also, kommt dann in Brüssel in diesem Hotel unter am anderen Ende der Stadt, bis die Verwaltung wieder eine Wohnung für ihn gefunden hat. Die er vorher hatte, war natürlich weg, da ist nichts mehr zu machen gewesen - sie war perfekt gelegen.

      In München ist die Lage für ihn nicht heimeliger, sein Noch-Vermieter spricht nur noch das Nötigste mit ihm, es ist der dritte Mieterwechsel in 7 Monaten, wieder 20 Leute einladen, wieder das Geschleime und die Unsicherheit. So kann's gehen! Er dachte sich, einen Beamten, Staatskanzlei, ohne Haustier, da hat er einen Hauptgewinn gemacht. So was.

      Der Flieger geht um 7 Uhr 55. Es wird mit der Lufthansa gen Osten gehen. In Gedanken passiert er das georgische Parlamentsgebäude und sieht die europäische Fahne wehen, die neben der Georgiens als Symbol der Westorientierung, seinem nördlichen Nachbarn zum Trotz, dort aufgehängt wurde. Maier ist auf dem Weg zum Schalter und er hat es geschafft, sich selbst nach unten zu ziehen, mit seinen Gedanken über Georgien. Sein Gang wirkt träge, sein Eindruck traurig, sein Gemüt besorgt.

      Dass das Ding seit der Unabhängigkeit '91, trotz Bürgerkrieg, Revolution, Wirtschaftsembargo und Krieg mit Russland nicht auseinandergebrochen ist...

      ... muss an den starken Familienbanden liegen, an der sehr homogenen Bevölkerung und nicht zuletzt daran, dass es immer genügend zu Essen gibt im immer noch landwirtschaftlich geprägten Land. Devisen bringen die Touristen und die anderthalb Millionen Auslandsgeorgier, die Geld heimschicken, meist von Russland aus. Diese Carepakete kann man nicht als Auslandsinvestition betrachten, doch es hilft über die unvorstellbar hohe Arbeitslosigkeit von bis zu 40% hinweg, und es geht irgendwie weiter in dieser Gesellschaft, die zur Anarchie neigen soll, beziehungsweise Regeln nicht als Lebensinhalt sieht. Doch irgendwo in diesem Verbund gibt es einen Common Sense, es nicht zu übertreiben und eine gewisse Obrigkeit zu akzeptieren, denn keine Anarchie ohne Ordnung. Es macht ja schließlich keinen Spaß mehr, wenn alle machen, was sie wollen.

      Da ist ja mein Chef.

      Stahl steht vor dem Schalter der Business-Class. Maier geht auf ihn zu, stellt sich direkt hinter ihm auf, doch der bemerkt ihn nicht. Maier will warten, bis er sich umdreht, doch er macht nicht die geringsten Anstalten und steht einfach da, den Blick streng nach vorne gerichtet, mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt. Seine rechte Hand zeigt seinen Ehering.

      Wie lange er schon verheiratet ist? 30, vielleicht 40 Jahre? Weiß ich gar nicht.

      - Wie lange sind Sie eigentlich schon verheiratet, Herr Stahl?

      Stahl zuckt zusammen und reißt sein Handgepäck nach oben.

      - Mein Gott, Walter. Müssen Sie sich so anschleichen, Maier?

      Puh! Maier, nicht Herr Maier.

      Hat er ihn wieder mal auf dem falschen Fuß erwischt, schnell will er sich entschuldigen.

      - Entschuldigen Sie den Hinterhalt, Herr Stahl. Sie müssen gerade gekommen sein, ich hatte vorhin hier auf sie gewartet.

      - Ja, mein Taxi hat mich versetzt. Doch wir haben noch Zeit, Herr Maier.

      Jetzt ist wieder so eine Situation, die er gar nicht mag. Small Talk mit seinem Chef. Der einzige Ausweg ist oft, einfach über die Arbeit zu reden, darauf hat er aber keine Lust. Nur - auf Schweigen auch nicht.

      - Meinen Sie, Dr. Schönleben und der Verbandspräsident steigen zusammen in München zu, in unsere Maschine?

      Stahl schüttelt den Kopf.

      - Woher soll ich das wissen?

      Na super. Warum versuch ich's eigentlich?

      Maier muss sich über sich selber ärgern, warum er wieder den Unterhalter spielen musste, und sich verantwortlich fühlen, wenn nichts gesagt wird. Dann aber kommt ihm, selber diese schlechte Stimmung produziert zu haben: Stahl könnte ganz einfach noch griesgrämig über seine Aktion von vorhin sein.

      Die nächsten 20 Minuten schweigen beide, und steigen