Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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      Was er sich aber nicht anmerken lassen will.

      Wenigstens der Notfallkoffer.

      Ja, der Notfallkoffer für Blitzreisen, mit allem drin, das ist schon so ein Ding. Den wollte er schon immer mal ausprobieren, vor allem die Ersatzunterwäsche. Das kommt ihm ganz entgegen, er braucht eh neue - und er glaubt, sie nach dem Einsatz nicht wieder zurückgeben zu müssen, wie damals beim Bund.

      - Nehmen Sie mich auch mit?

      Dr. Schönleben ist aufgeladen mit guter Stimmung, man sieht es ihm an. Und mit diesem einen Satz, der so demütig daherkommt und auch so vorgetragen wird, trifft er bei Stahl einen Nerv, der ihn dazu bringt, für einen kurzen Moment seine Gefühle nicht zu verstecken, sondern sie herauszublasen. Maier beobachtet ein seltenes Lächeln.

      - Selbstverständlich, Herr Doktor! Sehr gerne sogar.

      Kleingarten sieht verblüfft zum Doktor hinüber und muss intervenieren.

      - Ich dachte, Sie hamm morgen ihre Vorstandssitzung!

      - Die erledige ich gleich in aller Früh. Kommen Sie doch mit, Herr Kleingarten. Aber Stopp! Sie brauchen ja noch Bedenkzeit. Wir schaffen das auch ohne Sie.

      Es folgt eine Stille, die Stahl und den Wirtschaftsminister das Schlimmste befürchten lässt. Der Angegriffene greift zu seinem Spiegel.

      - Sie Sauhund, Sie! Kleingarten lacht laut.

      - Jetzt muaß i mid! Alloa scho, weil sonst neamands auf Sie aufbasst, Herr Dokta. Sie werd'n mi da drunten bracha.

      Er dreht sich zu Stahl und macht es offiziell.

      - Herr Stahl, ich will Sie hiermit bitten, mich auch mitzunehmen.

      - Selbstverständlich, Herr Kleingarten. Willkommen an Bord. Ich freue mich sehr, dass Sie ab jetzt aktiv dabei sind! Wir fliegen morgen über München nach Tiflis, steigen Sie doch gleich in die 10 Uhr Maschine zu, am besten mit ersten Informationen aus Ihrem Verband.

      Und der Doktor-

      - Und Sie, Herr Wirtschaftsminister? Nutzen Sie doch morgen die Gelegenheit, Ihren georgischen Amtskollegen wiederzusehen.

      - Nein, nein, Herr Doktor, ich bleibe hier. Ich verlasse mich da ganz auf Sie alle und halte hier, oder besser, in München, so lange die Stellung. Sie wissen, wenn ich mit meiner kleinen Partei zu lange weg bin ...

      Ich bin zufrieden, dass wir uns hier zusammengerauft haben.

      Er geht beschwingt zum Telefon.

      - Herr Stahl, wie ist die Nummer vom Empfang?

      - Erst Null, kurz warten, dann die Eins.

      - Hier spricht der bayrische Wirtschaftsminister, bitte eine Flasche Champagner und 5 Gläser ............... ja, in den Konferenzraum oben, danke.

      Der Beamer surrt sich wieder als Hintergrundgeräusch in den Vordergrund. Die Projektion zeigt das Abschlussslide mit Löwe und bayrischer Flagge, klein und unschuldig im Vergleich zu den Landmassen am Kartenständer. Unsere bayrischen Helden betrachten sie noch einmal, die unbekannten Weiten, und es liegt Aufbruchstimmung im Saal, aber auch etwas Unsicherheit, ein mulmiges Kribbeln.

      Schwer kann sich Maier vorstellen, schon morgen früh im Flieger in den Kaukasus zu sitzen, an den äußersten Rand Europas.

      Der Herr vom Empfang tritt herein und will gerade die Flasche aufmachen, da springt der Doktor aus seinem Stuhl.

      - Das übernehme ich! Und Stahl-

      - Sagen Sie, Herr Maierhofer, Sie sind doch vom Fuhrpark. Waren Sie etwa eben am Empfang? Wo ist denn der Herr Hunzer?

      - Da Hunza? Der is' kurz hoam, kimmt oba glei wieda. I bin derweil füa eam eigsprunga.

      Maierhofer merkt sofort, dass Stahl nicht sonderlich angetan ist von der Tauschaktion. Er ist froh, dass der Doktor das Einschenken übernommen hat, kann sich somit schnell verabschieden und hat bereits den Griff der Flügeltüre in der Hand, als Stahl Anstalten macht, der Stellvertreterpraxis am Empfang näher auf den Grund zu gehen. Doch die Szene läuft in einer Geschwindigkeit ab, dass Stahl nichts weiter bleibt, als ihm nachzusehen und machtlos das Einrasten des Bolzens zu akzeptieren, was den Doktor und Maier sehr amüsiert.

      - Danke, Herr Doktor. Also, meine Herren, auf ein gutes Gelingen. Zum Wohl!

      Stahl gibt jedem die Hand und wird wieder ernst-

      - Ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, dass Sie unser Gespräch geheim halten, bis wir die Karten beim ÖKK auf den Tisch gelegt haben. Wir brauchen das Überraschungsmoment, damit uns keiner geplant querschiessen kann.

      Der Doktor und Kleingarten murmeln so vor sich hin, dass es doch selbstverständlich sei mit der Geheimhaltung. Ersterer ist immer noch amüsiert über Maierhofer und wählt die Null, dann die Eins.

      - Herr Maierhofer, hier nochmal oben. Sie waren aber schnell. Bitte rufen Sie ein Taxi zum Flughafen, danke.

      Er legt auf, strahlt und kann sich nicht zurückhalten.

      - Er selbst kann uns ja nicht fahren, wegen Hunzer.

      - Vielen Dank, Herr Doktor, dass Sie mich daran erinnern.

      - Ach, Herr Stahl, nehmen Sie's leicht, meine Leute sind auch erfinderisch, lacht der Doktor, und Herr Maier, Sie erlauben doch, dass ich die Karten mitnehme - ich brauche Ihr Kunstwerk für die Vorstandssitzung morgen.

      Maier nickt stolz.

      - Natürlich werde ich meine Vorstandskollegen auf Geheimhaltung bis Donnerstag drängen.

      Stahl nimmt es wortlos zur Kenntnis und die Runde löst sich auf. Maier verlässt als Erster das Gebäude, er muss noch ein Wörterbuch mit den wichtigsten russischen Industrievokabeln besorgen. Nach einem halben Gewaltmarsch im Zickzack durch die Innenstadt nähert er sich erfolgreich dem Hotel, sieht Land für heute und geht den ganzen Tag nochmal durch.

      Brutal.

      Beim Einchecken überfällt ihn eine große Müdigkeit, alles verlangsamt sich jetzt, nachdem er den ganzen Tag auf Hochtouren gelaufen ist. Seine Trägheit entscheidet sich für den Lift in den Ersten, wo er lustlos seine 107 durchzieht und sich, ohne die Schuhe auszuziehen, vorwärts aufs Bett fallen lässt.

      14

      Der Wecker klingelt, das Blatt zeigt 5 Uhr 55. Maier springt sofort auf, er muss. Sonst fängt er das Überlegen an und wartet wieder bis zuletzt, wodurch er dann Sklave seines eigenen Last Minute Dramas wird.

      Mit gedämpftem Klack schießen die beiden Nippel nach oben, worauf er den Deckel des Blitzkoffers der bayrischen Botschaft anhebt. Er hätte nie geglaubt, ihn schon so früh brauchen zu müssen. Bei seiner Einstellung vor vier Wochen fand die biometrische Vermessung statt, von einem Maßschneider, also nix Auge mal Pi oder 'Werd scho pass'n' - deshalb will er auch davon ausgehen, dass Hemd, Hose und Anzug perfekt sitzen. Trotz Vorfreude ist er ein bisschen nervös, es gibt ja nur diesen einen Versuch. Heute früh noch losziehen und kürzen lassen oder austauschen, dafür bleibt keine Zeit mehr, da bliebe nur Tiflis.

      Jawoll, sitzt. Sogar tailliert.

      Nach einem Dreher im Spiegel streckt er seine Arme aus.

      Perfekt!

      Auch die Ärmel passen, das weiße Hemd ragt genau in der richtigen Länge aus dem Jacket heraus. Zum Schluss kommt's nochmal drauf an, der oberste Knopf. Doch auch hier hat er sich umsonst Sorgen gemacht, er läuft beim Zumachen nicht rot an und hat spielerisch einen guten Finger Luft. Sonst ist auch alles drin - 4 Krawatten, von denen jeweils zwei zu den beiden Anzügen passen, zum Schwarzen und Dunkelgrünen, also oben passt alles. Maier hält die Krawatten im Spiegel vor sein schwarzes Jacket. Die Hellblaue mit kleinen feinen weißen Punkten spricht ihn an, da klassisch und nicht zu aufdringlich. Beim Knotenbinden