Holger Kraatz

Maier im Kaukasus


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offshore vor der Küste, da kommen die Armenier nicht ran. Auch ein mögliches Erdbeben in dieser Region würde nur die Leitung beschädigen, das Öl selber liegt nicht in einem tektonischen Graben.

      Stahl schaltet sich ebenfalls ein, um Kleingarten zu beruhigen.

      - Beide Worst-Cases kombiniert, der Mega-Worst-Case also, besitzen lediglich eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 0,25%, ein Vierhundertstel. Das kann man ausschließen.

      Maiers Chef sagt das mit einer Ruhe und Sicherheit, die man nur mit viel Üben oder jahrelangem Krisenmanagement erlangen kann - Kleingarten ist inzwischen auf 110 runter.

      - A zwoate und dritte Ölpipeline durch an Kaukasus is' klar - um die 3 Millionen Barrel zum Mittelmeer zum pumpen. Oba - wia kriegma des turkmenische Öl überhaupt nüber übers Kaspische Meer? Mit Tankern? Und wie werd des Erdgas transportiert? Da brauchts doch erst a Leitung, bei der Menge sogar zwoa Leitungen durchs Meer, oda? Und bau'n die a mia?

      Der Wirtschaftsminister antwortet darauf und zeigt aufs Slide.

      - Stahls Mannschaft hat in der 20-Jahres Kalkulation gleich die langfristige Lösung mit Pipelines am Meeresgrund vorgesehen. Kurzfristig gingen auch Öltanker. Fürs Erdgas jedoch ist eine Pipeline der einzig wirtschaftliche Weg, denn erst ein Erdgasterminal mit Kompressoren bauen und sich enorm teure Flüssigerdgastanker anschaffen, das kommt sehr sehr teuer.

      Die für uns längeren Pipelines durchs Kaspische Meer bis hinüber nach Baku sind zwar von Nachteil, aber Chinesen, Russen und Iraner hätten auch nicht von heute auf morgen ihre Leitungen fertig. Die Strecken in Asien, die ziehen sich, und die Infrastruktur der Wüstengebiete ist nicht optimal erschlossen. Auch wenn ein Korridor nach China seit Dezember existiert und in Betrieb ist, das Aufstocken dieser Trasse mit neuen Leitungen würde bestenfalls in 2 Jahren abgeschlossen sein. Und die Russen wären nach Turkmenistan kaum schneller, genau wie die Iraner, die ihren Korridor zum Golf von Oman komplett neu erschliessen müssen.

      In diesem Zetraum kriegen wir das auch hin, incl. Unterwasserleitung durchs Kaspische Meer, das durchschnittlich nur weniger als 200 Meter tief ist. Die weiterführende Trasse durch den Kaukasus ist ja bereits erschlossen und infrastrukturell gut erreichbar. Vier neue Rohre daneben einzugraben ist keine große Herausforderung und ginge parallel zum Unterwasserprojekt.

      Kleingarten atmet tief ein und aus, und alle sehen ihn an. Er hält sein zusammengerolltes Magazin in der Rechten und schlägt damit in seine linke Hand. Klack. Klack. Klack. Zeitlupenklack.

      Dann greift er um und nimmt es in die Linke, wischt mit seiner freigewordenen Rechten die sich abzeichnenden Schweißperlen aus seiner Stirn. Er ist beeindruckt der hohen Kaufsumme wegen, hat Respekt vor den Risiken und spürbare Angst vor dem Mega-Worst-Case.

      Gleichzeitig will er kein Spielverderber sein, sondern sich selbst davon überzeugen, dass die Sache gut ist, in die er seine Kraft investieren soll. Maier glaubt inzwischen, es sei nicht nur sein Ego, sein Ruf, um den es hier geht. Er traut ihm auch viel Realismus und Nachhaltigkeit zu, ja, er zeigt mit seinen bohrenden Fragen eine Menge Verantwortung und will mit seiner Persönlichkeit das Projekt guten Gewissens mittragen und notfalls auch verteidigen können.

      Kleingarten hat schon irgendwie Recht, so ganz ohne ist das alles nicht.

      Warum verteidigt ihn Maier jetzt plötzlich?

      Keine Ahnung.

      Wie ein Trainer seine Mannschaft vor einem Angstgegner die Angst nehmen will, redet Stahl auf Kleingarten ein. Neue Argumente hat er keine mehr.

      - Herr Kleingarten, ich habe großen Respekt vor Ihren Bedenken. Sie beweisen Ihr Interesse an einer zukunftsfähigen Strategie. Überschlafen Sie unsere Besprechung heute und entscheiden Sie morgen, ob Sie in diesem Ausschuss aktiv beteiligt sein wollen, oder nicht.

      Mit 'aktiv' meine ich, mit allem, was dazugehört, also regelmäßigen Jour Fixen, von Höhen und Tiefen, und dass Ihr Name mit diesem Projekt verbunden sein wird. Alternativ können Sie uns auch zuarbeiten, Sie wären dann aus dem Schussfeld. Um Letzteres bitte ich Sie in jedem Fall, wir brauchen die Informationen aus Ihren Verband.

      Kleingarten nickt erleichtert, bedankt sich für das entgegengebrachte Vertrauen und grunzt schon wieder zuversichtlich. Stahl ist in der Umkleide noch nicht durch und redet weiter, beschwört diesmal die ganze Mannschaft.

      - Ich will noch einmal verdeutlichen, dass unser Hauptgewinn Turkmenistan unsere größte Unbekannte ist, und unberechenbar zugleich. Trotzdem - wir müssen es versuchen! 20 Jahre sind schnell rum, wir brauchen eine Perspektive nach Aserbaidschan, damit wir nach dem Versiegen der Ölfelder weiter an lebenswichtige Ressourcen kommen, sogar an Erdgas. Ich bin der festen Überzeugung, dass Aschgabat daran interessiert sein wird, sich unser Angebot anzuhören. Den Transit über Russland, unserem Hauptgegner, hat sich Moskau bisher bei bestehenden Pipelines vergolden lassen. Den Chefs von TurkmenGaschi ist das schon lange ein Dorn im Auge.

      Stahl holt tief Luft, die Kabinenluft ist schwer geworden. Er will spürbar die Besprechung zu Ende bringen.

      - Hier die nächsten Schritte: Die außerordentliche Sitzung des ÖKK findet aus gegebenem Anlass schon diesen Donnerstag in Baku statt. Klar ist, dass wir versuchen müssen, vorher möglichst mit allen Parteien des Konsortiums in Kontakt zu treten, uns bei ihnen vorzustellen und schon einmal vorzufühlen, was sie über uns denken. Vor allem wird es darauf ankommen, dass die Amerikaner Wort halten und uns wirklich unterstützen werden.

      Ein Spaziergang wird es kaum werden, doch wir haben einen ersten wichtigen Trumpf in der Hand: Unsere Regierung, zusammen mit einem oberfränkischem Maschinenbauer, waren die ersten, die nach dem georgisch-russischen Krieg vor rund zwei Jahren ein Joint-Venture mit einem großen georgischen Staatskonzern geschlossen haben - eine sehr gute Referenz also.

      Der nickt schon wieder, als wär' er dabei gewesen.

      Kleingarten wird Maier langsam unheimlich - der hatte tatsächlich seine Hände im Spiel und weiß noch um die Details.

      - Richtig, Herr Stahl. Viele Größ'n Georgiens war'n dabei und des Zusammenspui hod sehr gut hi'ghaut.

      - Ja, daran können wir sie erinnern, wenn sie auf die Idee kommen, von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen.

      - Ja, das könnten sie sich nur einmal leisten, ergänzt der Doktor. Und weiter-

      - Das würden sich die anderen aber nicht bieten lassen, nicht von einem Staat, der nach dem Abenteuer mit Russland praktisch pleite ist. Deren Seriosität als zuverlässiges Transitland wäre erstmal dahin.

      Stahl kommentiert diesen Einwurf nicht und setzt sein Schlusswort fort.

      - Unser zweiter Trumpf ist die Option Turkmenistan. Beim Bau der vier neuen Pipelines durch Georgien kann die Ahorn AG nicht auf georgische Arbeitskräfte verzichten. Und auch die Türken, die nach Dr. Schönlebens Vorschlag die Leitungen anschließend warten, würden auf die Georgier zurückgreifen. Das bedeutet, es wird nachhaltige Arbeitsplätze für Georgien geben. Unter Umständen werden die Georgier uns gar bei den Türken und Aserbaidschanern unterstützen und ein Wort für uns einlegen - das werden wir gleich morgen herausfinden.

      Er blickt hinüber zu einem irritierten Maier.

      - Ach, Herr Maier, wir fliegen morgen Vormittag nach Tiflis. Für ein Treffen mit Georgiens Wirtschaftsminister. Danke, Herr Doppler, für Ihre Unterstützung in dieser Runde. Ich werde Sie morgen noch kontaktieren, um Ihren Eindruck vom kaukasischen Amtskollegen einzuholen, Sie kennen ihn ja bereits.

      Doppler signalisiert ein 'Selbstverständlich, rufen Sie mich einfach an'.

      - Morgen werden wir auch auf unsere amerikanische Kontaktperson treffen.

      Maier sieht seinen Chef etwas länger an als üblich. Er weiß, dass er ihm das etwas früher hätte sagen können. Er muss sich jetzt aus dem Stand heraus auf eine extreme Woche einstellen, vielleicht sogar zwei, drei und alles absagen, alles. Und beim Gedanken an die viele Fliegerei...