Tobias hatte immer abgewiegelt, so als glaube er noch nicht daran, plötzlich von einem Gutverdiener zum Multimillionär geworden zu sein. „Ich glaub das erst, wenn die Kohle auf meinem Konto ist,“ sagte er dann zu seiner Frau. Manchmal hielt er sogar einen besonders raffinierten Betrug im Stile der Nigeria-Connection für möglich, aber er wurde nie zu irgendeiner Überweisung aufgefordert.
Da sich der Transfer solange hinzog, waren viele Pläne gemacht und wieder verworfen worden. Nur auf eines verständigte sich das Ehepaar: Sie brauchten ein Konto im Ausland, nicht nur aus steuerlichen Gründen (so gesetzestreu beide auch waren, aber sie wollten die Erbschaftssteuer dann doch irgendwie vermeiden; zumal die Erbschaft auch im Ausland angefallen war, hielten sie das für legitim). Aber eingerichtet hatten sie noch kein Auslandskonto, und als die freudige Nachricht des Nachlassverwalters kam, war es noch immer nicht eingerichtet. Da der Kalender von Tobias voll war mit Geschäftsterminen – so musste er unbedingt zur Messe „Ambiente“ nach Frankfurt reisen, um eine Neuheit aus seiner Firma zu präsentieren (und: Reichtum hin oder her, hier ging es um Ehre) – kamen beide nach kurzer Beratung überein, dass Helene allein nach Liechtenstein fahren würde, um dort für beide ein Konto einzurichten.
Nun, das war von Tobias ein großer Vertrauensbeweis seiner Frau gegenüber, aber ich will hier auch nicht verschweigen, dass dieser Verabredung ein heftiger Ehekrach voranging. Getreu seinem Motto, der Klügere gibt nach, willigte Tobias ein, seine Frau – mit allen erdenklichen Vollmachten ausgestattet –, allein auf die Reise nach Vaduz zu schicken.
Da auch Liechtensteiner Banken inzwischen bequemes Online-Banking ermöglichen, konnten beide bereits eine Woche später am heimischen PC vereint bewundern, wie der Betrag ihrem neuen Konto gutgeschrieben wurde. Natürlich wurde mit Champagner angestoßen und Tobias meinte feierlich zu seiner Gattin: „Jetzt gilt’s. Nun müssen wir klug mit dem Geld umgehen. Auf jeden Fall werde ich weiter in der Firma arbeiten, aber jetzt kann ich das alles viel gelassener angehen. Wenn die Erbengemeinschaft mich abberuft – obwohl ich dazu kein Anzeichen sehe – dann kann ich mir auch selbst eine Firma kaufen oder aufbauen. Aber untätig Zuhause sitzen werde ich nicht.“
Helene hatte schon deutlich konkretere Pläne: „Ich finde, wir sollten uns ein größeres Haus gönnen. So ein freistehendes. Mich stört es schon, wenn die Nachbarn uns auf der Terrasse beobachten. Dann könnte ich mich auch mal oben ohne sonnen.“ Das Argument überraschte Tobias, der seine Frau als eher etwas gehemmt kannte. Als er vor Jahren einmal vorgeschlagen hatte, einen FKK-Strand zu besuchen – weit weg in Frankreich, wo sie niemand kannte – hatte sie empört abgelehnt.
Schnell fanden sich weitere Gründe für ein größeres Haus: Hier war kein Platz für eine Garage, so mussten beide Autos auf der Straße parken. Ihr Garten war zwar größer, als bei den meisten Häusern in der unmittelbaren Nachbarschaft, aber trotzdem nicht sehr groß. Außerdem fehlte ein Gästezimmer. Das war zum dritten Kinderzimmer gemacht worden.
Die neue Villa
Schnell konkretisierten sich die Pläne. Und bald hatte Helene drei Orte weiter einen Makler aufgetan, der ihnen ein entsprechendes Objekt suchen sollte. Sie hatte bewusst keinen ortsansässigen gewählt. Trotz aller Diskretion würde sonst bald der halbe Ort darüber tratschen.
Was auch immer Tobias sich vorgestellt hatte, einige Tage später rief seine Frau ganz aufgeregt an und meinte, sie hätte das richtige Haus gefunden. Er sollte sofort zu dieser Adresse kommen, die sie nannte, dort würde sie mit der Maklerin auf ihn warten. Tobias sagte kurzerhand ein Meeting in der Firma ab – die Firma war ja jetzt nicht mehr ganz so wichtig für ihn – und eilte zu dem Haus. Als er es zum ersten Mal sah, sagte er zu sich selbst: es ist größer als ich dachte, älter als ich dachte und hässlicher als ich dachte. Aber Helene war begeistert. Und von manchen Vorzügen konnte sie ihn auch überzeugen.
Das Haus verfügte über fünf Schlafzimmer, drei Bäder, Salon, Esszimmer, Arbeitszimmer, Kaminzimmer, eine große Küche, sowie zahlreiche Nebenräume. Darüber hinaus gab es eine kleine Einlieger-Wohnung, mit Miniküche, Bad und einem Wohn-und Schlafraum. Es gab eine große Dreifachgarage, in deren Dachgeschoß als Clou eine weitere kleine Wohnung eingerichtet war, die auf einer Seite über einen kleinen Gang, wie eine umschlossene Brücke, zum 1. Stock der Villa verbunden und auf der anderen Seite durch eine steile Wendeltreppe vom Garten aus erreichbar war. Diese Wohnung wurde als Gästeapartment bezeichnet.
Dieses alte Gesamtensemble, das durch zahlreiche Umbaumaßnahmen keinen einheitlichen Stil besaß, war jedoch, so versicherte die Maklerin wiederholt, von den Vorbesitzern auf dem neuesten Stand der Technik gehalten worden. Alles funktionierte tadellos: die elektrischen Rollläden, Gegensprechanlage mit Überwachungskameras und Monitor, sowohl vorne am Tor, als auch an der Haupteingangstür. Die Tore ließen sich elektrisch öffnen. Die Heizung war erst vor drei Jahren komplett erneuert worden, dazu hatte die Maklerin extra die entsprechende Rechnungskopie an ihr Exposee geheftet.
Trotzdem erschien Tobias die Villa etwas zu düster und altbacken. Helene hingegen pries alle Vorzüge, die sie grade erst von der Maklerin gehört hatte. Tobias meinte vorsichtig, ob es für ihre Zwecke nicht etwas zu groß sei. Drei Garagenplätze seinen nicht nötig und es würden auch zwei Zimmer weniger reichen. Für seine Frage an die Maklerin, was denn an Unterhaltskosten so zusammen komme, hatte seine Frau nur ein müdes Lächeln übrig: „Das ist doch völlig egal,“ meinte sie glatt. – Und hatte irgendwie recht damit.
Während Helene sich innerlich schon einrichtet, dachte Tobias daran, vielleicht die Kinder dazu gewinnen zu können, dieses Haus nicht überstürzt zu kaufen. Gegenüber den Kindern hatten sie zwar davon gesprochen, ein neues Haus zu suchen, aber das es gleich drei Nummern größer würde… Tobias meinte daher, man sollte die Kinder mitentscheiden lassen. Helene nahm das begeistert auf. „Ja, vielleicht verständigen sie die Kinder selbst, wer welches Zimmer nimmt. Dann müssen wir uns um diese Frage nicht mehr kümmern.“ Die Maklerin meinte, sie stünde jederzeit für einen weiteren Termin zur Verfügung. Sie betonte zwar, man sollte nicht zu lange warten mit einer solchen Entscheidung, sonst wäre die Enttäuschung groß, wenn ein anderer Interessent einem das Objekt wegschnappt, in Wahrheit wußte sie aber, wie wenig Interessenten es in dieser Preisklasse grade für dieses Haus gab. Sie wußte auch, Frau Schroffenstein war schon innerlich entschieden. Nun galt es mit Geschick ihren Mann zu überzeugen. Und dazu war weibliche Intuition nötig.
„Sehen Sie,“ hob sie an, „die Villa wirkt ein wenig grau und dunkel, weil sie länger leer gestanden hat. Die Besitzer wollten sie ja zunächst nicht verkaufen. Aber wenn sie mit ihren fröhlichen Kindern erst einmal hier eingezogen sind, dann ändert sich das ganz schnell. Die Bewohner sind ja die Seele eines jeden Hauses.“
Beim Rundgang durch die einzelnen Zimmer fiel vor allem auf, dass manche Zimmer komplett leer waren, teilweise schienen sie hell und frisch gestrichen, in anderen standen vereinzelte Möbel herum und das Kaminzimmer war sogar noch komplett möbliert. Das lag wohl auch an den Einbauschränken, die in zwei der Wände integriert waren, eine davon mit TapetenTür zu einer kleinen Bibliothek. Die schweren Eichensessel und der Eichentisch waren passenden dazu angefertigt. Das war sehr rustikal. „Besonders gemütlich sehen die Sessel aber nicht aus.“ bemerkte Tobias, „eher etwas museal.“ Auch Helene guckte nun etwas skeptisch und nahm Probesitz.
Die Maklerin lies sich von solchen kleinlichen Einwänden nicht irritieren: „Ja, das erlebe ich immer wieder: Männern mangelt es da manchmal an Fantasie. Wenn das Haus Ihnen gehört, können sie das alles rausschmeißen, inklusive Kamin. Heute sind Kachelöfen wieder modern. Ich könnte mir an der Stelle auch gut so einen modernen Kachelofen vorstellen, die gibt es auch mit Glasscheiben, so dass man auf den Blick auf das Feuer nicht verzichten muss. Und statt in Eiche könnte alles in Weiß sein, oder noch besser: in Beige, hochglanzlackiert, modern. - Nur so als Idee.“
Die Küche war groß und ziemlich perfekt eingerichtet. Nur eine Sitzecke fehlte, dann wäre sie auch als Wohnküche nutzbar. Helene war begeistert und auch Tobias konnte hier nichts dran aussetzen. Er verwies auf die fortgeschrittene Uhrzeit und so beendeten sie den Rundgang mit einem kurzen Blick in den eingewachsenen Garten und einer neuen Verabredung, an der die Kinder teilnehmen sollten.
Indes: