Jannis Oberdieck

Die Banalen und die Bösen


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stoßen. Die Metzger winkt ab. »Aber Herr Müller, dafür gibt es doch Desinfektionsmittel und... Elektronenmikroskope?« Offenbar hat sie keinerlei Vorstellung von den praktischen Schwierigkeiten einer Mikroskopie.

      Also versuche ich es mit Grundlagenwissen: »Sehen Sie, Frau Metzger, in den letzten Jahren hat man auf Bundesebene sehr viel Geld dafür ausgegeben, Gefahren durch Bioterrorismus einzuschätzen und wirksame Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Eine fremde Atmosphäre müssen sie sich sicherheitshalber wie ein ganzes Arsenal von solchen Biowaffen vorstellen: Alles Mögliche an Bakterien, Viren, Pilzen oder Toxinen kann es dort geben. Unsere Standarddekontaminationsmittel wie zum Beispiel Peressigsäure können zwar ein breites Spektrum davon unschädlich machen, aber bei weitem nicht alles. Für den Rest braucht es spezifische Dekontaminationen, wofür allerdings zuallererst klar sein muss, womit genau wir zu rechnen haben. Das stellt sich leider häufig erst zu spät heraus. Denken Sie nur etwa an Milzbranderreger, die sich in Sporenform jahrzehntelang halten, um sich bei Kontakt mit Wirtskörpern zu vermehren! In dieser fremden Welt könnte es Dutzende von Erregern geben, die nach genau demselben Schema funktionieren. Am besten halten wir uns daher an den Befund des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, dass eine hundertprozentig vorbeugende Dekontamination nicht möglich ist«, stoße ich hervor, während aller Blicke durchaus schwer auf mir lasten. Uff, das war wohl wieder viel zu viel an Inhalt.

      Rundum kaut man noch an diesen klumpig-geballten Informationen. Die Metzger gleicht stirnrunzelnd offenbar innerlich mit den von ihr gesehenen Katastrophenfilmen ab, in denen Einsatzkräfte mit Schutzanzügen einfach in einem Plastikzelt abgeduscht werden: So schwer sieht das nicht aus. Stritter beobachtet Schuester, der Doktor Musmann beobachtet. Die Wilks grinst wegen irgendetwas rätselhaft, vielleicht dem Ouzo geschuldet. Krampfhorst rückt seine Hornbrille auf der schmalen Nase zurecht und schaut mich über die Ränder hinweg bedauernd an: »Das mag ja gut und richtig sein, Herr Müller. Aber ich fürchte, es entspricht nicht den Realitäten. Wenn wir so ein... Portal in eine andere Welt öffnen konnten, werden es die Chinesen in ein paar Jahren auch schaffen. Und die werden sich solche Gedanken nicht machen.« Ganz klar: ein Philantrop, gefangen im Körper eines Politikers. »Genau«, fällt Doktor Musmann bei, »wir müssen unseren technologischen Vorsprung sichern«, offenbar eine Reflexhandlung.

      Nun schaltet sich auch Schuester zu. Alle Augenpaare wandern überrascht hinüber: »Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu, Herr Müller. Was immer wir von dort hierherBRingen (das BR spricht er stets als Großbuchstaben), muss so penibel wie nur möglich untersucht werden. Auch wenn es Jahre dauert. Aber auf der anderen Seite gibt es gewisse Zwänge („Swenge“, sagt er). Wenn ich mir anschaue, was Sie alle bis jetzt an Ausrüstung beantragt haben, schätze ich die Kosten vorsichtig gesagt auf 200 Millionen („sweihunnert“, sagt er). Dieses Geld muss irgendwie wieder hereinkommen („h´rrain“, sagt er). Letztlich sind Sie also darauf angewiesen, von dort etwas mitzuBRingen, was sich baldmöglichst marktfähig verwerten lässt.«

      »Ja, aber die enormen Risiken...« setze ich kurz an, breche jedoch vernünftiger Weise ab, will ja nicht freveln wider Gott und Wirtschaft. Natürlich geben wir einerseits Millionen zur Bekämpfung von Bioterrorismus aus, verzichten andererseits aber auf basalste Sicherheitsmaßnahmen, sobald es um Gelder privater Unternehmen geht. Was natürlich daran liegen mag, dass derartige Bekämpfung mittlerweile fest in den Händen eben derselben Unternehmen ist. Schärfe mir noch einmal siedendheiß ein: Vergiss nicht, dass du hier bei XSolutions bist, Martin. Die sind nachvollziehbarer Weise nicht sonderlich erbaut, wenn man Kontaminationsrisiken problematisiert. Außerdem hast du Wochenende. Immerhin, Krampfhorst blickt mitfühlend: »Sie haben ja Recht, Herr Müller. Aber denken Sie doch an die Chinesen. Das sind nun mal die Realitäten.« Angesichts seines treuherzigen Blicks fällt es erstaunlich leicht, einfach zustimmend zu nicken.

      »Also (Frau Wilks schenkt sich erneut Ouzo nach): Wir brauchen Spezialisten, die vielleicht in der Lage sind, so etwas wie Festplatten zu erkennen und genau zu sagen, welche Teile des übrigen Systems fotografiert oder ausgebaut werden müssen. Wie steht es mit der Möglichkeit, dafür einen ferngesteuerten Roboter einzusetzen?«

      Widme mich nun vorsichtshalber erst einmal der Beschäftigung, mein Grillfleisch so klein wie möglich zu schneiden. Dieses ganze Gerede über Kontamination hat mich aufs Unangenehmste daran erinnert, weshalb ich hier bin: Bei erstbester Gelegenheit sollte ich Teile dieses Essens in ein Probentütchen packen. Nicht zu fassen, dass ich bislang an überhaupt nichts gedacht hab vor lauter Sonne und Hunger! Aber das Fleisch wurde ja auch nicht zugeteilt, jeder hat sich selbst bedient, so etwas wiegt in Sicherheit. Bislang wohl keine Larven, seltsamen Fäden oder schwarze Bröckchen gar, vermutlich im Abendessen besser zu kaschieren. Dann auch viel weniger Licht. Und: Die Viecher können sich eine ganze weinselige Nacht ungestört entwickeln, während etwaige Nebenwirkungen auf Alkohol geschoben werden. Dieses Wochenende hat schließlich gerade erst begonnen, Holzauge, sei bloß wachsam.

      8 – Ein unmoralisches Angebot

      Der Verdauung wegen schlägt Ingo vor, die Zeit bis zum Abendessen für ein wenig Bewegung in bereits leicht abgesunkener Temperatur zu nutzen. Nach einiger Unschlüssigkeit geselle ich mich zur Minigolf-Gruppe, dort gibt es viel Schatten. Zudem leitet mich auch die Hoffnung, dort unsportlich am wenigsten aufzufallen.

      Krampfhorst beim Spielen zuzuschauen, ist jedoch desillusionierend. Solange er alle Kraft in seine Schläge legen kann, ist er durchaus zielsicher. Sobald es hingegen um Feingefühl geht, gerät unser MdB ins Schwimmen wie eine Bleiente. Augenblicklich kämpft er mit einem erhöht liegenden Loch. Für diese neue Herausforderung stellt er sich seitlich hinter die Kugel, prüft seine Beinstellung durch abwechselnde Gewichtsverlagerung, federt dann mehrfach in den Knien, setzt schließlich den Schläger an und lässt ihn zur Einübung drahtig-sorgsam in gewählter Schlagrichtung hin- und herpendeln. Sobald alles derart gründlich vorbereitet ist, versteift er sich und schlägt zu. Erneut verfehlt der Ball sein Loch um einen guten halben Meter und nutzt den ansteigenden Boden als Sprungschanze, um eiligst von der Bahn zu fliehen. Einen Moment verharrt Krampfhorst aus unverständlichen Gründen irritiert, hat vielleicht als einziger einen anderen Ausgang erwartet, geht dann außen herum, sucht seinen Ball, platziert ihn nach diversen Peilungen penibel am äußersten Rand der markierten Abschlagsersatzstelle und beginnt sein Ritual erneut. Es ist klar, dass er auch die verbliebenen drei Schläge auf diese Weise zubringen wird. Ich hoffe, dass es an der Sonne liegt, der er dabei die ganze Zeit schutzlos ausgesetzt ist.

      Zur Ablenkung von diesem insgesamt eher ein wenig traurig stimmenden Spektakel habe ich mich in den angenehm zitronig riechenden Spätnachmittagsschatten einer Grünen Douglasie geflüchtet. Obwohl der Baum noch sehr jung sein muss, schätzungsweise aus dem großen Einwanderungsschub nach dem Zweiten Weltkrieg, ist das Borkenmuster seiner Schuppen bereits recht ausgeprägt: Leblos-dunklere Grate heben sich deutlich von hellem Kork ab, als hätte herabrinnendes Wasser Furchen gegraben, dazwischen feine Linien fleißiger Borkenkäfer und vereinzelte Tränen bernsteinigen Oregonbalsams. Etwa 35 Meter, würde ich schätzen, und auch hier hat man ringsum zwecks Wachstumsförderung eine Groupie-Gruppe Zweifarbiger Lacktrichterlinge stehengelassen, kleiner Willkommenschor für einen gutartigen Neophyten.

      Schuester, nach seinem schweißtreibenden Tennismatch inzwischen in Businesskleidung mit blauer Krawatte samt Jackett, schlendert gemächlich zu mir hinüber, natürliche Affinität amerikanischer Gewächse vielleicht. Dabei strahlt er mit jeder sporttriefenden Bewegung jene Zuversicht von Leuten aus, für die das Leben aus offenen Türen besteht, schwer mitanzusehen. Aus der Nähe wirkt er gar wie jemand, der seine Zahnpflege vollumfänglich zu bewältigen weiß. Eine Zeitlang folgt er meinen Blicken Richtung Douglasie, weiß letztlich aber wohl nicht viel damit anzufangen. Gerade will ich ihn fragen, wie er in den USA wohnt, ein schönes Vorstadthaus vielleicht mit Garten, was er denn darin anzupflanzen plant (fertig ist man ja nie), als er unvermittelt gänzlich andere Worte an mich zu richten beginnt: »Wissen Sie, Herr Müller, Ihre Vorsicht („Vorsiecht“, sagt er) und Ihr wohlüberlegtes Abwägen (Betonung auf langem Ä) vorhin haben mich sehr beeinDRuckt.« Bin ehrlich überrascht: Noch nie hat mir jemand derart positive Synonyme für Destruktivität angeboten, Schuester versteht sein Metier.

      Aus wirklich braunen Augen wirft