Jannis Oberdieck

Die Banalen und die Bösen


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also dazu da. Souverän bis entspannt, mit deutlich eleganter geschnittenem Anzug, wie ich widerwillig anerkennen muss.

      Allem Anschein nach ist mein Gegenüber zum selben Schluss gekommen und lächelt mir nun aufbauend zu, vielleicht hat sein Whisky ebenfalls Anteil daran. »Darf ich Ihnen einen ganz exquisiten Tropfen empfehlen nach der langen Fahrt?«, beginnt er die Konversation in geübt-wohltuender Manierlichkeit. Er hat eine schöne Hand, ebenfalls gut gebräunt, von der sich weiße Behaarung flaumig abhebt, streckt sie bereits in Richtung eines Flaschenhalses, der deutlich eher in seine Reichweite ragt denn in meine. »Sie mögen es doch torfig?«

      Ich nicke unwissend und schiele aufs Etikett: Lagavulin Distillers Edition, ist das Single Malt oder Blend? Schön bernsteinfarben im Glas, Geruch nach ostfriesischem Tiefland im Regen. Beim ersten Schluck glaube ich jedoch, versehentlich in einen Torfkanal gebissen zu haben. Dann kommt langsam und weich die alkoholische Schärfe durch, exquisit! Getönte Scheiben lassen derweil die wirklich trostlose Betonfläche des Europaplatzes Mannheim draußen, sinnbildhaft bis ins Extrem, lediglich in gnädiger Erahnbarkeit vorbeiziehen. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Wolfgang Stritter, Rechtsanwalt, Mitglied des evangelischen Laienkirchenrats und seit neuestem MdB für die Christliche Partei.« Trotz sanfter, wohlüberlegter Stimme streckt er mir äußerst zupackend die Hand kräftig entgegen, ich ergreife sie schlaff mit der eigenen. Das Schütteln besorgt Herr Stritter und ich stelle erleichtert fest, dass nichts weh tut.

      »Müller, Martin Müller. Staatssekretär im Umweltministerium, sehr angenehm...« Es ist mir immer peinlich zu erzählen, womit ich mein Geld verdiene, normaler Weise kennt sich aber kaum jemand gut genug aus. »Staatssekretär? Mit welcher Parteizugehörigkeit?« In Stritters Frage liegt auf einmal Taxierendes. Eine Augenbraue ist im Alleingang hochziehbar wie bei Mr. Spock.

      »Ganz ohne. Ich wurde vor fünfzwanzig Jahren direkt von einer NGO angeworben«, und versuche, es möglichst beiläufig klingen zu lassen. Tatsächlich entspricht es nämlich nicht so ganz der Wahrheit: Damals war ich noch überaus aktiv in meiner Partei, verfasste sogar den Umweltteil ihres Wahlprogramms, Landtagswahl immerhin. Aber meine Chefin kam, sah und strich alles restlos aus zugunsten irgendeines Themas, das gerade frisch en vogue zu werden begann, Babywale vielleicht, letztlich war´s ein Rohrkrepierer. Eine Woche später dann regte sie sich bei mir auf, da die Parteiführung unser Wahlprogramm lieber doch einer Werbeagentur anzuvertrauen beschlossen hatte. Das war für mich der Punkt, an dem mein Vertrauen ins politische System endgültig seinen Geist aufgab. Seither werde ich mit etablierten Parteien nur ungern noch in Verbindung gebracht.

      Stritter immerhin zieht anerkennend wieder diese Braue hoch: »Vor fünfzwanzig Jahren? Dann sind Sie ja Vollprofi. Immer aufregend, jemanden zu treffen, der so viel Einblick hat.«

      Aufregend? Wie unbeleckt kann man sein? Sonst ja eher der Kampfschrei parlamentarisierter Lämmer. Sortiere daher rasch: Seit kurzem Mitglied des Bundestags für die Christliche Partei, muss heißen: seit fünf Wochen, seit unser Bundestag fast so groß geworden ist wie das Parlament der EU. Merke: Je größer ein Parlament, desto weniger kann es eine Regierung effektiv kontrollieren. Zudem sehr aktiv in der Kirche, also als Kandidat für den Teil der Partei aufgestellt, dem radikaler Ausverkauf an „die Wirtschaft“ missfällt. Ein Mann mit Wert­überzeugungen demnach, was fürs Herz. Außerdem fällt er als praktizierender Rechtsanwalt schon mal aus unserem Parlamentsdurchschnitt von unter einem Jahr Berufserfahrung außerhalb der Politik heraus. Wahrscheinlich ist er den üblichen Weg aller Unbequemen gegangen, weggelobt nach Berlin: Versprechen von politischer Mitgestaltung auf höchster Ebene, idealistische Zielvorstellungen als Bereicherung für den Hauptstadtbetrieb, dafür Entwurzelung vom sozialen Umfeld akzeptiert. Muss wohl erst noch erfahren, dass Fraktionszwang dort gilt und man sich ansonsten schnell auf der EdeKa-Liste (Ende der Karriere) wiederfindet. Wirkt jedoch bislang erstaunlich angstfrei, offenbar also noch nicht durchs Gehorsamkeitsprinzip auf Spur gebracht, Altersvorsorge zugleich gesichert. Was macht eine potentielle Tretmine wie er hier?

      Also sondiere ich bedächtig, um ihn zum Sprechen zu kriegen, im Zweifelsfall lieber Informationen einholen als geben: »Ich glaube, ich habe Ihren Namen schon einmal irgendwo gehört... liegt mir auf der Zunge. Sind Sie nicht in einem Ausschuss tätig?« - Das ist schließlich früher oder später jedes neue MdB: immer in der Hoffnung, zumindest durch Ausschussarbeit mitgestalten zu können, Grundlagenexpertisen für Fraktionszwang schaffen usw. Bis letztlich die nüchterne Erkenntnis einsetzt, dass diese verordneten Abstimmungen zumeist bloß einer Willkür von Fraktionsführungen oder laienhaften Festlegungen im Koalitionsvertrag entspringen und man Jahr für Jahr noch nicht einmal Rederecht im Bundestag zuerteilt bekommt, um gelegentlich abfallende Ergebnisse vorzustellen. Bis man merkt, letztlich auch hier nur Stimmvieh zu sein, Parteisoldat vielleicht. Aber Appelle an Ego und Verantwortungsbewusstsein entzünden jene meist, die kein Privatleben mehr haben, und tatsächlich springt Stritter sofort darauf an: »Na, das gehört doch dazu! Ich hab mir gesagt: Wenn schon, denn schon. Bin jetzt dem für Ernährung und Landwirtschaft beigetreten, nächste Woche tagen wir zum ersten Mal. Was ist mit Ihnen, was führt Sie hierher?«

      Verstört bemerke ich ein riesengroßes Loch in meinen Vorbereitungen. Was soll ich darauf antworten? Dass ich die PrimAct AG verdächtige, einen Anschlag auf meine Chefin unternommen und in Morsleben heimlich Genexperimente in freier Natur getätigt zu haben? Dass ich jetzt nach Beweisen suche, um diesem Unternehmen ans Bein zu pinkeln? Sollte doch eigentlich klar sein, dass man an solch einem Wochenende nur teilnimmt, um Karriere oder zumindest laufendes Einkommen voranzubringen, Frage deshalb äußerst ungehörig. Mit Stritter aber habe ich im Zweifelsfall tatsächlich einen vernünftigen Menschen vor mir.

      Rasch wähle ich deshalb einen Schnellschuss: »Frau Backhus musste ihre Amtsführung aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend niederlegen. Ich bin ihr Stellvertreter. Und da dachte ich mir... das könnte ich doch ruhig mal mitnehmen... für Entspannung und Erholung... und Spaß und so...« Selbst in meinen Ohren klingt es nach einer äußerst schwachen Ausrede, vielleicht also genau das Richtige.

      Auch Stritter bleibt reglos wie eine Sphinx. Ist das gar Verachtung in seinen Augen? Schnell greife ich erneut nach dem Whisky, immerhin sind wir jetzt schon auf der A6 Richtung Heilbronn.

      Langsam und bedächtig beginnt Stritter schließlich wieder zu sprechen. »Macht meines Vaters Haus nicht zum Kaufhaus.«

      Fassungslos starre ich ihn an: Bitte?

      »Johannes 2, 16, die Tempelreinigung. Jesus wirft die Händler, Geldwechsler und Kredithaie aus dem Tempel. Manche übersetzen: Markthalle, aber schon Luther modernisierte das zum Kaufhaus. Haben Sie die Bibel gelesen, Herr Müller?«

      Kalkuliere kurz und komme zu dem erschreckenden Ergebnis, dass uns vermutlich noch anderthalb Stunden gemeinsame Fahrt bevorstehen. »In Auszügen, Herr Stritter, leider nur in Auszügen.« Immerhin hält sich unser Wagen ganz links und fährt vielleicht souveräne 240, eventuell also doch nur eine Stunde. »Die Letzten werden die Ersten sein und so weiter, nicht wahr?«

      Stritter verschluckt sich fast an seinem Whisky. Dann mustert er mich seltsam abschätzend, ehe er zu intonieren beginnt: »Matthäus 19, 30. Ausführlicher noch Lukas 6, 20-26: Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert; denn ihr sollt satt werden. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint; denn ihr werdet lachen. Aber dagegen: Weh euch Reichen! Denn ihr habt euren Trost schon gehabt. Weh euch, die ihr jetzt satt seid! Denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht! Denn ihr werdet weinen und klagen. –Stellt überaus anschaulich klar, dass unsere Parteien sich sehr um das jenseitige Seelenheil ihrer Wähler verdient machen, finden Sie nicht?«

      In der unangenehmen Stille, die folgt, schnurrt nur der Motor dezent vorn beim Fahrer. Noch immer starrt Stritter mich unverwandt an, selbst bin ich verstrickt im Bemühen, unter zustimmendem Nicken beiläufig aus verschiedenen Fenstern zu schauen. Schließlich durchbricht der Rechtsanwalt selbst seine kunstvoll aufgebaute Wolke aus Missbilligung: »Wissen Sie, Herr Müller, ich gehöre zu jener Fraktion der Christlichen Partei, die die momentane Annäherung unserer Politik an die Räuberhöhle der Wirtschaft mit großer Sorge sieht. Unser Erlöser hat schließlich unmissverständlich gesagt: Hütet euch vor jeglicher Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch ein großes Vermögen