Jannis Oberdieck

Die Banalen und die Bösen


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AG hingegen findet sich erstaunlich wenig. Firmensitz in Mannheim. Vorzeigeprojekt ist die Einrichtung von Genlabors an Schulen in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Bildung und Forschung, junge Menschen behutsam an die neue Technologie heranführen und so weiter. Im Handelsblatt ein Bericht zur Situation der Gentechnik in Deutschland, der ein eher schwarzes bzw. rotes Bild zeichnet: Offenbar hat die PrimAct bereits nach einem Jahr die Hälfte ihrer Mitarbeiter entlassen müssen, Fotos von leerstehenden Labors und ein Interview mit einem Pressesprecher, der die tief verwurzelte Angst der Europäer vor gentechnischen Veränderungen beklagt. Ich liebe diese Internet-Recherchen: Wie schnell sich da beruhigend das Gefühl einstellt, Dinge unter Kontrolle zu haben.

      Trotzdem bekomme ich auf Gedeih und Verderb nicht heraus, womit dieses Unternehmen eigentlich Geld verdient. Die Aktien stehen erstaunlich gut, aber das hat nichts zu sagen: Wahrscheinlich werden sie in amerikanisch-üblicher Weise entweder von der Prim­Act selbst oder ihrem Mutterkonzern aufgekauft. Offenbar hält man sich mit US-Finanzspritzen und deutschen Steuergeldern (viereinhalb Millionen im letzten Jahr) nur knapp über Wasser.

      Trotzdem gehört Geschäftsführer Jost Scheuermann zum Offenen Marktplatz Europa – einem eigentlich höchst exklusiven Club von 50 Wirtschaftsführern transnationaler Konzerne, die zusammen über 60% der Wirtschaftsleistung der EU repräsentieren. Genau der Club, dessen Logo sich immer wieder auf dem Schriftsatz diverser EU-Gesetze findet. Ist die PrimAct also letztlich nur eine Strohfirma, mittels derer XSolutions in Europa Fuß fassen will? Eine Kontaktbörse zum Aufbau wichtiger Beziehungen, Hauptsache hochvernetzt?

      Als ich meinen Laptop schließen will, fällt mir noch ein kommerziell-gelb unterlegtes Suchergebnis auf: PrimAct Morsleben. Was zur Hölle macht die PrimAct in einer Einöde wie Morsleben? In eben jener Gegend, in der Professor Gnüster elf neue Arten entdeckt haben will? Dieser Link führt jedoch nur auf eine Kundenseite: Ein junges Team aus Logistikunternehmern, Müller– und Bäckermeistern bietet Rohstoffe für regionale Bäcker und Konditormeister an, besondere Produkte für Lebensmittel-Allergiker.

      Komme mir grob veralbert vor: Ein Global Player errichtet in einer beinahe menschenleeren Gegend Deutschlands einen Betrieb, der Brot für Allergiker verkauft? Mein bevorstehendes Wochenende wird zunehmend undurchsichtiger.

      5 - Ein idealistischer Weltverbesserer

      Der Bahnhof Mannheim gibt sich beim Einfahren unter nunmehr sengender Sonne zunächst als postapokalyptische Wüste aus Stahl und Schotter, der zubetonierten Innenstadt wohlwollend verdeckt durch eine Fassade im Stil übergroßer Siegestore. Flügel links und rechts erweitern das Ganze seit 2012 zu einem multifunktionalen Ort attraktiver Öffentlichkeit mit vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungsangeboten, was im Idealfall bedeutet, dass sich ein ausgedruckter An- und Abfahrtsplan vor lauter Geschäften nicht mehr finden lässt, jetzt im Handy-Zeitalter. Glücklicher Weise ist das heute nicht mein Problem, denn ich werde wie versprochen auf dem Bahnsteig erwartet.

      Beim Aussteigen schlägt mir bereits die lebensfeindliche Gluthitze verbauter Innenstadt entgegen. Ein wenig benommen durch plötzlichen Klimaschock taumele ich aus dem Trott abwärtsströmender Massen, bemüht, blendende Helligkeit blinzelnd zu kompensieren. Irgendwo hinter mir verklingt lakonisch ein »We thank you for troubling with the Deutsche Bahn«, als es vor mir plötzlich dunkler wird: ein Mann im Anzug von durchaus mehr als zwei Metern. Vor der Brust ein Schild, Sundrive Chauffeurs and Limousines Mannheim, in riesigem Arial darunter: Herr Müller. Unwillkürlich gleiten meine dem Schlagschatten dankbaren Augen am hageren Körper entlang: Tatsächlich, kein Hosenbein zu kurz. Beeindruckend, dass ein Limousinendienst solch Hünen nicht nur bequem in ein Auto, sondern auch in dessen Dienstkleidung bekommt. Das obere Ende hingegen ist im Gegenlicht nur schwer auszumachen.

      »Herr Müller vom Umweltministerium?« - freundlich, offen, ein wenig verschmitzt. Und überraschend jung, noch in den 20ern, vielleicht ein Nebenjob? Mit Roman Sander benamt, noch mit leicht osteuropäischem Akzent und kraftvollem Händedruck, der sich gleich zupackend meines Koffers annimmt. Schönes Reisewetter hätte ich mir ausgesucht, sagt er, wo mir jetzt in Bewegung erster Schweiß flutartig auszubrechen droht. Dann folge ich, während wir hinabsteigen in die Bahnhofshalle, Orpheus nichts dagegen. Wimmelndes Menschengemenge auf sonnendurchgleißtem Marmor zwischen Shoppingzeilen, die zu unerwartetem Halten und Abbiegen motivieren - überstrahlt vom bestimmt 14 Meter hohen Glasportal des Ausgangs, auf dem das Logo der Mannheimer Hockeymannschaft „Die Adler“ prangt, als wär´s das Siegel der Vereinigten Staaten. Jetzt erst rätsle ich, wie Roman Sander mich wohl erkannte: Eigentlich gibt es von mir außerhalb der Amtsakten nicht viel Fotomaterial.

      Draußen im pflastersteinernen Hochofen ist Romans Chrysler-Stretch­li­mou­si­ne silbern und so gut poliert, dass sich der trostlos-gut durchbackene Bahnhofsvorplatz mit Litfasssäulen als architektonischen Höhepunkten überbelichteten Flirrens in ihr spiegelt. Insgesamt jedoch angenehm schlicht, Bentley Grill wie ein leeres Wappen trotzig voran, alles jedoch albern in die Länge gezogen. Vermutlich größer als manche Büros im Ministerium, bis zum Kofferraum gute 15 Meter vielleicht. Tief getönte Scheiben versprechen wohltuend gekühlten Innenraum, im Vorbeigehen verdunkelt sich jedoch eine dieser Scheiben noch weitergehend: Schemenhaft winkt jemand mir zu. Ehe Roman, vom Kofferraum zurück, mir den Wagenschlag öffnet, prüfe ich daher eiligst den Sitz meiner Krawatte.

      Natürlich habe ich mich für dieses Wochenende herausgeputzt: bester dunkelblauer Anzug (nur in direktem Sonnenlicht von Schwarz unterscheidbar), Hose mit perfekter Bügelfalte dank neuem Bügeleisen mit Wasserdampf, glänzend schwarze Schuhe. Um die etwas unscharfe Grenze zwischen seriös und düster nicht zu überschreiten, dazu als kleiner Kontrapunkt eine schräggestreifte Krawatte in Gold-Weiß-Rot, kleiner Ausdruck leicht patriotischer Lebensfreude sozusagen. Entsprechend verstimmt bin ich, dass unser zweiter Fahrgast exakt dasselbe Outfit trägt.

      Dieser, einen kurzen Moment lang ebenfalls irritiert, winkt mich heran: »Kommen Sie, kommen Sie, die Bordbar ist hervorragend.« Das im ersten Schreckmoment bitter kalte Innere übertrifft kühnste Ausstattungsträume schwülstiger Science-Fiction-Filmer bei weitem: spacige Fantasia aus blau-lila beschienenem Schwarz-Weiß in Leder und Plastik, durchgängig weich-gequollene Schlangenlinien statt harter Kanten. Rechts in ganzer Länge ein Ledersofa, auf dem notfalls bis zu fünf Personen bequem nächtigen könnten, links das geschwungene Buffet aus glitzernden Kristallgläsern, Flaschenhälse ragen aus eingelassenen und noch immer randvoll mit Eis bestückten Kübeln, auf oberer Anrichte drängen sich einem Entchenschwarm gleich absurd viele Schalen mit kunstvoll gefalteten Servietten, deren Zweck mir unerfindlich ist. Orange-gelb spielen warme Lichter entlang des geriffelten Wagendachs, der Boden hingegen entschwindet in nachtblauem Samt, Sonnenuntergang verewigt quasi. Aus allgegenwärtigen Lautsprechern dringt dezent klassischer Walzer, Strauss vielleicht, und Monitore zeigen einen strahlend-klaren Himmel über uns, der während der Fahrt wohl, ja was? an uns vorbeiziehen wird? Berückendes Eingeständnis, dass links und rechts optisch die Umgebung nicht viel bietet, Mannheimer Spezialität vielleicht.

      Durch diese epiphanische Entrückung in echtes AMBIENTE schon leicht desorientiert, gibt mir die Sitzanordnung zusätzliche Rätsel auf: keinerlei gegenüberliegende Plätze? Lungert man hier zu mehreren ganz zwanglos auf der Couch herum, ohne sich mit mehr als direkten Nachbarn unterhalten zu können? Wie zuverlässig des Menschen Geist auch fremdeste Welten in stets dieselbe Hölle zu verwandeln weiß! Entscheide mich schließlich für eine seitliche Position, rechtes Bein angewinkelt auf dem Sofa gen Gesprächspartner, auch wenn dies einem mahnenden Abstandhalter gleicht. Sobald ich sitze, startet Roman den vorne leis und wunderbar rund laufenden Motor, über Kamera also offenbar auf dem Laufenden, sanft vibrierend schwenkt unsere Landschaft insgesamt gemächlich aus nach links.

      Mein Mitentrückter hingegen hat sich für die klassische Schulsitzposition entschieden, aufrecht-frontal gen Monitor, Knie aneinandergelegt und ohne Kontakt zur Sofalehne, was seinen beneidenswert geraden Rücken gut zur Geltung bringt. Findet offenbar hinreichend Halt an sich selbst, kann jedoch dadurch positionsbedingt den Kopf nur halb bis zu mir wenden. Ich schätze ihn auf Anfang 60, straff und durchtrainiert: kurze weiße Haare in hübschem Kontrast zur Sonnenbräune, randlose Brille, teure Uhr und funkelnde Goldzähne verkünden gehobenen Wohlstand. Hält ein Glas