Jannis Oberdieck

Die Banalen und die Bösen


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Was hat dieser Mensch als Rechtsanwalt getan? Nur Hartz-IV-Empfänger verteidigt? Unser Robin Hood im Anzug aber fährt fort und in mir keimt der Verdacht, einer wohleinstudierten Predigt zu lauschen, die das MdB zu lange nicht mehr halten konnte: »Jene Ordnung mitzugestalten, die unser aller Zusammenleben regelt, sollte Privileg und Lohn genug sein. Stattdessen müssen wir jedoch mit wachsender Besorgnis feststellen, dass die Gebote christlicher Nächstenliebe von unseren gewählten Repräsentanten zunehmend mit Füßen getreten werden. Und dabei wird der Menschensohn doch dereinst beim Weltgericht sprechen: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Matthäus 25, 45.«

      Daraufhin nickt Stritter noch eindringlich, während er den eigenen Worten nachlauscht, blickt mich wieder auffordernd an. Diese Limousine gleicht immer mehr einem Druckkochtopf in der Hölle: Was genau will er bloß von mir? Dann beugt sich der Rechtsanwalt unerwartet vertraulich zu mir und verstärkt damit seine ohnehin nicht zu unterschätzende Präsenz: »Was aber vielleicht mehr in Ihrem Ressort liegt, Herr Müller (blickt mich jetzt an, als wäre er der Engel mit Flammenschwert): Siehe die Felder, wie sie wachsen und fruchtbar sind, und die fruchttragenden Bäume und die Kräuter! Was willst du noch mehr als das, was dir die ehrliche Arbeit deiner Hände gibt? Wehe den Starken, die ihre Stärke missbrauchen! Wehe dem Schlauen, der die Geschöpfe Gottes verwundet! - Wir aber begreifen die uns zu Schutz und Wacht anvertraute Schöpfung Gottes nur noch als „Kapital“, dass man an den Meistbietenden verhökert! Wahrlich: Das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig, Lukas 12, 10.«

      Da ist schon mal die Abfahrt Hockenheim. »Sehr schön, Herr Stritter, und auch sehr treffend, ja. Mir war gar nicht bekannt, dass die Bibel sich explizit zum Naturschutz geäußert hat. Ich kannte nur dieses Gehet-hin-und-macht-euch-die-Erde-untertan?« Registriere verärgert, dass ich den Kopf unwillkürlich eingezogen und insgesamt mich ein wenig weggeduckt habe. Erfolgreich macht sich jetzt jedoch bei Stritter Verblüffung breit. Fällt ihm wieder ein, dass man nicht den ersten Stein und so weiter? Findet langsam, scheint´s, wieder zurück zu seiner menschlichen Hülle und ein Mundwinkel verzieht sich sogar zu halbem Lächeln, während er, brav wieder auf seinen Platz beschränkt, Whisky nachschenkt. »Ist aus dem Evangelium Jesu, leider apokryph. Auch noch einen Schluck?«

      Waffenstillstand offenbar, halte jedoch schnell die Hand über mein Glas. In Heilbronn werde ich einen klaren Kopf brauchen.

      Über die Trümmer dieser rauchenden Apokalypse hinweg ergreife ich behutsam das Wort: »Ich weiß genau, wovon Sie sprechen, Herr Stritter, glauben Sie mir. Im Verlauf meiner Dienstjahre habe ich genug Dinge erlebt, die man wohl zu Recht als... äußerst unchristlich bezeichnen könnte. Deshalb verstehe ich auch nicht, weshalb Sie an dieser Veranstaltung teilnehmen. Ihnen müsste doch klar sein, dass Sie sich damit direkt in die... Räuberhöhle? begeben. Sozusagen zum Pakt mit dem Antichristen?« Vielleicht nicht die geschickteste Wortwahl, aber dies ist auch eindeutig nicht mein Terrain. Stritter immerhin sieht versöhnter aus. Kurz blickt das MdB hinaus in die davonrollende Landschaft, dann seufzt es schwer: »Wissen Sie, Herr Müller, letztlich geht es darum, dass die EU sich mit TTIP III verpflichten wird, alle gentechnisch manipulierten Pflanzen aus den USA automatisch ebenfalls zuzulassen. Unser Ausschuss soll dazu Stellung nehmen. Als Angehöriger des Umweltministeriums kennen Sie vermutlich die Problematik?«

      Angesichts dieser plötzlich sehr verständlichen Rede und des leichten Lächelns, das immer noch in Stritters Mundwinkel hängt, beschleicht mich ein leiser Verdacht. Hat dieser Rechtsanwalt auf Abwegen mir absichtlich in einer Lage ohne Fluchtmöglichkeit Bibelzitate an den Kopf gedonnert? Ist das seine Art, sich langweilige Fahrtzeit zu vertreiben? Offenbar kann Stritter es gut genießen, wenn sein Gegenüber in eigenen Säften kocht. Na, herzlichen Dank!

      Auf jeden Fall weiß ich, dass das synthetische Gen der Maissorte 1507, die bereits zugelassen ist, sich innerhalb von nur drei Jahren durch Einkreuzung mittels Bienen und anderer Fremdbestäuber in 46% der heimischen Nutzpflanzen ausgebreitet hat. Zu den Folgen gibt es zahlreiche Studien, die sowohl das eine als auch das Gegenteil belegen. »Sie meinen, abgesehen davon, dass der Mensch damit in Gottes Schöpfung eingreift?«, frage ich vorsichtshalber. Diesmal lacht Stritter herzhaft: »Ja, abgesehen davon.« Habe also richtig gelegen mit meinem Verdacht, Christ mit Humor.

      Dann setzt der Rechtsanwalt mir äußerst sachlich auseinander, dass das Hauptproblem in der Wechselwirkung mehrerer sich unkontrolliert ausbreitender Gene bestehe: Mutationsmöglichkeiten unüberschaubar groß, erste Langzeitstudien der Amerikanischen Akademie für Umweltmedizin zeigen angeblich deutlichen Anstieg an Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten, Missbildungen, Krebs, Allergien und Atemwegserkrankungen, in Tierversuchen eindeutig auf bestimmte Kombinationen neuer Gene rückführbar. Die Grenzen zwischen gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln und biologischen Kriegswaffen seien somit durchlässig geworden, wie Stritter sich zusammenfassend ausdrückt.

      Jetzt schenke ich mir doch nach. Mein Mitreisender ist klug und engagiert, da lässt sich nichts sagen, offenbar lediglich ein wenig verspielt, etwa wie Katzen mit ihren Mäusen. Außerdem sind wir gerade schon an Sinsheim vorbei, durch die getönte Scheibe erhasche ich noch einen Blick auf das Automuseum: 50.000 m², 365 Tage im Jahr geöffnet, mit Spielplatz zur Entsorgung von gelangweiltem Nachwuchs, während die Ehefrau dankbar in der Kinderwagen-Ausstellung verschwindet. Nun aber ist es allmählich an der Zeit für Stritter, Karten auf den Tisch zu legen: »Herr Stritter, ich verstehe langsam immer weniger, warum ausgerechnet Sie sich von der PrimAct einladen lassen.«

      Das Mitglied des Bundestags und des evangelischen Laienkirchenrats lächelt versonnen. »Haben Sie denn nie Sunzi gelesen? Kenne deinen Feind. Sechstes Jahrhundert vor Christus.« Und mit diesem unchristlichen Zitat prostet er mir zu. In mir hingegen gärt es. Ist das wirklich... doch, im Grunde ist es Stritter zuzutrauen, dass er aus reiner Streitlust nach Heilbronn reist. Ein bisschen Krawall stiften. Für mich wäre es dann vermutlich besser, am Ziel Distanz zu halten. Aber mit etwas Glück bricht dieser Rechtsanwalt dabei auch die ein oder andere interessante Diskussion vom Zaun.

      Allmählich harre ich der kommenden Dinge in Spannung.

      6 - Visionen blühender Landschaften

      Bereits zwanzig Kilometer vor Heilbronn biegt unser Wagen ab, rechts Industriepark, links Felder. Durch blöd-getönte Scheiben sieht es aus wie Sommerweizen, mit Mohn dazwischen bestimmt wunderschön. Dunklere Felder wahrscheinlich von der immer allgegenwärtiger werdenden Futterpflanze Mais erobert, muss man nicht sehen. Immer mehr ragt an nutzenmaximierter Agrarlandschaft zu beiden Seiten auf, eine weitgehend unbewegliche Masse steht lauernd Spalier, während wir über stetig kleiner werdende einspurige Straßen tiefer in das Herz dieses Futterlands brettern. Der letzte Feldweg schließlich biegt unvermittelt ab zu einer vier Meter hohen Ziegelmauer mit NATO-Draht: Roman hält vor schmiedeeisernem Tor und zieht seine Karte durch ein Lesegerät, schwer gleiten beide Flügel auseinander.

      Nun zeigt unser Monitor nicht mehr makelloses Azur, fahrerseits umgeschaltet auf Frontkamera. Blass-gelbe Klinkersteine winden sich dort einen gepflegten Park hinauf mit deutlich überzogenem Gestaltungswillen: Miniaturhecken fassen rahmenartig Grasquadrate ein, in deren Mitte rund geschnittene Heckenpflanzen wie grün überwachsene Findlinge thronen, Omphaliten in Serie. Eindeutig das Boskett eines Neobarockgartens, dessen Parterre ansteigend schon vor uns protzt: ornamentale Rasenflächen in trendigem Mandalamuster, einfarbig schreiende Broderie-Blumenrabatten dazwischen versetzt, vorwiegend in Klatschrot. Bunter Kies ahmt Stickmuster nach, fürs Vertikale ragen in Formschnitt gebrachte Buchsbäume als figurine Türmchen oder Stapelware empor. Nur für Wasserspiele hat´s wohl nicht gelangt: Ludwig XIV. wäre bestimmt nicht amüsiert. Wurde Mannheim selbst, olle Quadratstadt, nicht ursprünglich als äußerster Ausläufer eines solchen Parks konzipiert?

      Natürlich läuft diese gesamte Park- und Prahlanlage zu auf unser alles überragende Ziel, follow the yellow brick road, bestehend aus zweistöckig kubistisch-wertvollem Haupthaus voller Giebel, dreieckiger Dächer und Balkone nebst zweier einstöckiger Flügel im stumpfen Winkel als Knie. Wände in blassem Rosa, Dachziegel in verspieltem Blau: entfesselt dräuende Architektur als Spinne in ihrem Netz angeberischer Verschwendung.