Jannis Oberdieck

Die Banalen und die Bösen


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wird. Das sieht man auch regelmäßig in diesen Umfragen, wie viel Prozent der Bundesbürger unserer Regierung noch trauen: In einer funktionierenden Demokratie wäre diese Frage vollkommen irrelevant, wichtig wäre die nach dem Vertrauen zum Parlament und nicht zum ausführenden Organ. Genau deshalb gestaltet man diese Sache in Schulbüchern auch so kompliziert wie möglich: Sie soll besser nicht auffallen. Für mich persönlich bedeutet das einerseits, dass ich mir z.B. bei Gesetzesvorschlägen überhaupt keine Gedanken darüber machen muss, ob die Opposition im Bundestag zustimmen oder sich verweigern wird. Andererseits sollte ich natürlich bei der Präsentation immer wieder brav Formulierungen wie „vorbehaltlich der Zustimmung im Parlament“ einstreuen, um den guten Ton zu wahren. Wirklich achten muss ich nur darauf, dass nichts offensichtlich in direktem Gegensatz zur Verfassung steht, die seit 2002 durchaus Passagen zu Umwelt- und Tierschutz enthält. Aber das ist nicht sonderlich schwer: Soll etwa ein Naturschutzgebiet zum Windpark werden, reicht häufig ein Verweis auf vorzunehmende „artgerechte Umsiedlung“ – Die Richter in Karlsruhe werden dieses Schlupfloch dankbar nutzen. Manchmal, wenn ich mich wegen solcher Dinge besonders schlecht fühle, hilft mir ein Blick in Schulbücher: Genau so wird es gewollt, sage ich mir dann, das gehört zum System. Und schon wird meine Angst geringer, dass Leute auf der Straße mit dem Finger auf mich zeigen.

      Aber entschuldigen Sie bitte, ich habe mich offenbar im Reden über mein Steckenpferd vergaloppiert, hier in meinem Refugium neige ich halt dazu, mich im Sinnieren zu verlieren. Eigentlich, falls Sie jetzt noch wach sind, wollte ich etwas zu dieser Einladung fürs Wellness-Wochenende sagen, die mir die Backhus gab und die neben meinen Schulbüchern liegt, so nah wie themendifferent. Diese Einladung auf jeden Fall ist es, von der es mir in Rot entgegenspringt: exklusiv, Anmeldung erforderlich. Wie irritierend, dieses leise Prickeln an der Kopfhaut hinten schon beim bloßen Anblick, offenbar ein Musenkuss. Da bin ich derart weit aufgestiegen, und doch lässt es mir auch in dieser dünnen Luft kaum Ruhe: zum Zentrum des Labyrinths vorzudringen, endlich jemanden zu treffen, dem ich lauthals zurufen kann: Du bist schuld! Nicht bloß dieses ewige Klein-Klein, Selbstsucht, begrenzter Tellerrand, Ethik und Empathie ungegossen. Schließlich muss es Leute geben, die diese Zustände planen, absichtlich und wissentlich, so dass sie das grelle Etikett „böse“ zu tragen durchaus würdig wären. Ich weiß, es ist naiv, gen Spitze nimmt der Tunnelblick stets zu: Und doch wüten dort Vorstellungen gerechten Zorns in mir, die nach einem Ziel verlangen, fordert betrogenes Leben nach einem Opfer. Tatsächlich, wie zuvor im Krankenhaus geraten abermals Dinge in Bewegung, als ich aufstehe und blind entschlossen zum schnurlosen Telefon hinübergehe, jahrzehntelang aufgehäufte Sedimentablagerungen aus Gewöhnung, Routine und Sinnlosigkeit geraten ins Rutschen. Ist´s Lebendigkeit, ist´s Dummheit, wer kann das schon auseinanderhalten.

      Sicherheitshalber ohne weiteres Nachdenken tippe ich die zwölfstellige Nummer ein. Was mich erwartet: eine Musikschleife mit If I had a hammer vielleicht? Nein, tatsächlich bloß Hantiergeräusche. Nicht einmal ein Klingeln: Als würde sich jemand mit Hörer in der Hand heftig bewegen, mit Kleidung rascheln, ein Drehstuhl quietscht, antike Telefonschnur knackt. Irritiert fällt mir auf, dass es auch zuvor kein Freizeichen gab, Leitung irgendwie belegt. Dann wird das Herumhantieren von gedämpften Stimmen abgelöst: »Cʼmon, you must be joking!« - »No man, couldnʼt believe it myself! All these really, really rich people and they behave like mad men!« - Natürlich! Durch meinen vorübergehenden Aufstieg bin ich von der automatisierten Telefonüberwachung zur personalisierten gewechselt. Kurz räuspere ich mich daher, äußere sodann laut und vernehmlich: »Ich kann sie hören.«

      Betroffenes Schweigen für einen Moment - »Sorry«, sagt schließlich jemand und es klickt in der Verbindung, Freizeichen jetzt. Wie kurz und glatt dieses Wort doch von anglikanischer Zunge geht, zum dutzendfachen Gebrauch täglich prädestiniert. Müde seufze ich und drücke die Wiederwahltaste: Wahrscheinlich muss man sich freuen, wenn es nur die NSA ist und nicht auch noch der BND. Aber vielleicht sind die Kollegen dort auch schlicht stiller weil eingeschlafen.

      »Willkommen beim Buchungsservice der PrimAct AG – der Schnittstelle für Integration und Kommunikation. Wir bringen Politik und Wirtschaft zusammen«, säuselt eine professionelle Frauenstimme, offenbar eine Bandansage. »Möchten Sie an einem unserer Wellness-Wochenenden teilnehmen? Dann nennen Sie bitte Ihren persönlichen Gutscheincode. Sie finden ihn unten links auf Ihrer persönlichen Einladung.« Endlich begreife ich, dass ein vollautomatisierter Telefonservice natürlich die Hemmschwelle für Neukunden senkt: Niemand muss einem realen Menschen in möglichst wohlgesetzten Worten darlegen, dass er Interesse an Vergünstigungen hat, die bei niederen Beamten unter Bestechung fallen. Gibt einem auch wieder das beruhigende Gefühl, letztlich nur dasselbe zu tun wie alle.

      Sobald ich den Code vollständig vorgelesen habe, klickt die Weiterschaltung: »Nennen Sie nun den Termin, an dem Sie eines unserer Wellness-Wochenenden besuchen möchten. Beachten Sie dabei bitte, dass unser Serviceangebot samstags um 13.00 Uhr beginnt und sonntags um 14.30 endet. Leider können Sie zu unseren Veranstaltungen niemanden mitbringen, sie stehen ausschließlich verdienten Mitarbeitern des Parlaments und der Regierung offen. Im Interesse angeregter Gespräche werden je nach Zusammensetzung der Teilnehmergruppe jedoch Vertreter der Wirtschaft hinzugeladen. Bitte nennen Sie jetzt Ihren Wunschtermin.« Blicke mich noch einmal kurz in meiner Wüstenei um. Dann nenne ich das kommende Wochenende, Herz schweig stille.

      »Anhand Ihres personalisierten Gutscheincodes werden wir Ihnen morgen eine Bestätigung Ihrer Buchung zukommen lassen. Die Kosten Ihrer An- und Abreise werden natürlich von uns übernommen. Wir danken Ihnen für Ihr Interesse an unserem Angebot und wünschen Ihnen schon jetzt eine entspannende und erholsame Zeit: Sie haben es sich verdient.«

      Damit wird die Verbindung, wiederum vollautomatisch, getrennt und lässt mich heillos aufgewühlt zurück.

      4 - Die Vorteile einer gesunden Distanz zum Volke

      Laterne, Bank, Wartehäuschen, Bahnhofsuhr. Dann rollt eine Lärmschutzwand vorbei, links und rechts zickzackverstrebt kleine Bohrtürme aus Stahl mit zu den Stromkabeln über uns gereckten Armen, ein Spalier von Torbögen für sehr, sehr viel Landschaft dahinter. Langsam nimmt mein Zug zuerst Fahrt auf wie ein röchelnder Staubsauger, steigert sich allmählich dann zu sirrendem Flitzen, ehe er endlich schnell genug ist, um im Springen von Gleisstück zu Gleisstück genrespezifisches Rattern zu erzeugen. Baum an Baum vor weitem Himmel verwischen zu stroboskopierendem Geblitze. Weiter vorn klafft sonnig ein Spalt in grauer Wolkendecke, ehe ein Gemenge an Blättern, Zweigen, Blüten in immer schnellerer Serie, kurz durchbrochen von rotblättrigen Sonderlingen, stetig dichter ans Fenster drängt.

      Das Innere in freundlichen Pastelltönen, wohlklimatisiert und –temperiert im rosig angehauchten Halogen: direkt irreal dagegen, wenn mit jeder stetig schneller dahinhuschenden Meile alles an Bedrängnis und Enttäuschung unwirklicher wird. Zur Unterstützung lehne ich eine Schläfe an die kühle Scheibe, so dass Vibrationen mein übervolles Hirn befriedigend und mechanisch-leer durchrütteln: ratteratat, ratteratat, der satte Klang eines früheren und vielleicht übersichtlicheren Jahrhunderts. Unentwegt zieht durch pure Geschwindigkeit Landschaft vorbei Richtung Vergangenheit, reißt mit sich quälende Geister der vergangenen Woche. Staubsaugereffekt wie bei Ghostbusters, sehr wohltuend insgesamt.

      Schon spielerisch bevölkere ich das behaglich leere Abteil mit den wichtigsten Akteuren: Direkt gegenüber natürlich der Pohlmann mit seinem Wir-♡-Landschaften-Button von RW.On am grässlich unmodisch-altbackenen Jackett. Haudegen alter Schule halt, die sich noch voll und ganz auf Arbeit konzentrierte, während Ausstattungsfragen allmorgendlich der Ehefrau überantwortet wurden. Inzwischen vermutlich geschieden, könnte immerhin seine Verbitterung erklären, zunehmend von toxischen Grundstimmungen durchherrscht. Gefühlt auf jeden Fall ein heimlicher Säufer, der Wut durch Alkohol zunehmend verfestigt; starke Neigung zu cholerischen Gesichtsfarben. Massiv angreifend, wie er da am Mittwoch auf dem Meeting zur Erstellung eines Szenariorahmens für die Energiewende seine abwertenden Sprüche raushaut, bis kaum noch einer den Mund zu öffnen wagt. Hauptziel natürlich ich, der erstmal auf Kurs gebracht werden soll, doch immerhin hat er nicht gebrüllt. Eine jener verrohten Naturen, die Freundlichkeit stets als Schwäche auslegen.

      »Wie