Niels Wedemeyer

Walfreiheit


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ein weiterer Erdstoß. Schon bald nahmen die Urlauber wieder ihre diversen Aktivitäten auf, als wenn nichts geschehen wäre. Auch Rieke setzte ihren Weg fort. Sie hatte sich nach ihrer Rückkehr ins Hotel ein Zimmer im Hauptgebäude genommen. Doch anstatt die derzeitigen Umstände klaglos zu akzeptieren und dem Alptraum des letzten Abends durch einen ausgiebigen Schlaf ein Ende zu setzen, hatte sie sich auf den Weg zurück zum Cottage gemacht. Sie hatte gehofft, noch auf Klaas zu treffen, doch zu ihrer Enttäuschung brannte Innen kein Licht mehr. So hatte sie leise aufgeschlossen und war hineingeschlichen. Klaas hatte ausgestreckt im Bett gelegen und bereits tief atmend geschlafen. Lange hatte sie vor dem Bett gestanden, fasziniert die ruhigen Bewegungen seines riesigen Körpers betrachtet und schlussendlich eine Entscheidung gefällt. Sie würde ihre Liebe nicht kampflos aufgeben. Sie würde sich nicht schon wieder zum Spielball ihres Schicksals machen lassen. Ob Bestimmung oder nicht. Sie würde für diese Beziehung kämpfen, bis zum Schluss. Dennoch hatte sie sich jetzt nicht einfach neben ihn legen können, nach dem, was passiert war. Und so hatte sie sich schließlich auf die kleine Holzveranda vor dem Cottage gesetzt und im schwachen Schein der Wegbeleuchtung einen langen Brief an Klaas geschrieben. Hierin hatte sie ihm ihre unbedingte Liebe gestanden und sich bei ihm für ihr Fehlverhalten von ganzem Herzen entschuldigt. „Bitte, gib mir, gib uns noch eine Chance. Du findest mich auf Zimmer 323 im Hauptgebäude. Ich brauche Dich so sehr. R.“ lauteten die letzten Worte, die sie mit zittriger Hand geschrieben hatte. Sie hatte den Brief sorgsam zusammen gefaltet und unter seiner Armbanduhr auf dem Nachttisch platziert. Dann hatte sie zufrieden mit ihrer Entscheidung das Cottage leise verlassen und war zum Strand hinunter gegangen, der inzwischen menschenleer war. Sie erinnerte sich, anschließend noch stundenlang durch die lauwarmen Wellen gewandert zu sein, die in dieser Nacht außergewöhnlich schwach an den Strand geschlagen waren. Irgendwann hatte sie sich in den fremden Liegestuhl gelegt, um sich ein wenig auszuruhen und war dort erst am Morgen wieder aufgewacht. Nach einem ausgiebigen Frühstück in dem gepflegten Restaurant eines ihr fremden Hotels, hatte sie sich auf den Weg gemacht, um nach Klaas zu suchen. Sie legte sich die Worte genau zurecht, die sie Klaas gleich sagen wollte. Sie war sich sicher, dass er es verstehen würde. Schließlich war er ebenso nachgiebig wie impulsiv. Amüsiert dachte sie an den skurrilen Vortrag von Thomaso über die Gedanken, die anklopfen, und daran, dass man seine Gedanken ergründen muss, um ins Reine zu kommen. Vielleicht hatte der verrückte Mann am Ende doch recht.

      Rieke schlenderte an einem der größten Resorts an der Bang Tao Beach vorbei, an dem sich an diesem heißen Sonntagmorgen bereits viele westliche Touristen tummelten. Es war spürbar die Hauptsaison von Phuket. Im Gegensatz zum Südteil der Bucht war die Vegetation hier aufgelockerter und wurde durch große Nadelbäume und Pinien bestimmt. Immer wieder sah man ausgedehnte Golfanlagen mit großen Teichen umgeben von mehrstöckigen Hotelkomplexen. Doch was Rieke an diesem Abschnitt der Bucht besonders verwunderte, war der ungewöhnlich starke Einfluss der Gezeiten. Das türkisfarbene Wasser hatte sich fast Hundert Meter weit vom Strand zurückgezogen und ein unansehnliches graubraunes Watt hinterlassen. Zusammen mit Dutzenden Schaulustigen betrat Rieke die freigelegten Flächen, um sich das seltsame Phänomen näher zu besehen. Eltern winken aufgeregt ihre Kinder heran und zeigen ihnen die weit zurückgezogene Wasserlinie. Zwischen kleinen Felsen und kleinen Korallengärten wanden sich bunte Fische im Schlamm und japsten um ihr Leben. Die Urlauber aber lachten nur und freuten sich über das ungewöhnliche Schauspiel, dass ihnen diese exotische Welt an diesem Morgen bot. Auch Rieke bestaunte diese sonderbare Eskapade des Ozeans. Doch plötzlich hörte sie das aufgeregte Rufen eines Mädchens. Als sie sich umdrehte, erschauderte sie. Vor ihr lief die kleine Beeke aufgelöst im Watt herum und rief etwas auf Englisch. Rieke rieb sich die Augen. Das konnte nicht sein, dachte sie. Aber es waren die gleichen engelsgleichen blonden Locken, das gleiche lieblich geschnittene Gesicht, dieselbe kindlich schlanke Figur einer späteren Schönheit.

      „Das Zurückziehen des Wassers ist ein untrügliches Zeichen für einen nahenden Tsunami“, rief das Mädchen laut mit sich überschlagender Stimme. Rieke aber schaute sie ungläubig an und erkannte nur die ihr so vertraute altkluge Art des Mädchens. Die meisten anderen Urlauber, die in dem vom Meer freigegebenen Bereich standen, waren inzwischen ebenfalls auf das Mädchen aufmerksam geworden und kamen näher heran.

      „So hört doch“, erklärte sie aufgebracht, „in einer Sendung auf Discovery Channel haben sie von Tsunamis berichtet. Es passt alles zusammen. Der Erdstoß, das Zurückweichen des Meeresspiegels. Wir müssen hier sofort verschwinden. Versteht ihr?“ Sie blickte sich verzweifelt zu ihren Eltern um, die ihr mit besorgten Gesichtern zunickten.

      „So folgt uns doch!“ schrie sie ein letztes Mal und begann anschließend mit ihren Eltern zum Strand zurückzurennen. Herrschte zuerst noch eine gewisse Belustigung über das ängstliche Verhalten des Mädchens, war dies jetzt einer gespannten Ruhe gewichen. Während Rieke noch über die verblüffende Ähnlichkeit des Mädchens nachdachte, begannen die ersten ebenfalls zurückzurennen, dann folgten weitere. Schließlich wurde auch Rieke von dieser seltsamen Angst erfasst, die das Mädchen soeben gesät hatte, und rannte los. Obwohl keine akute Gefahr zu erkennen war, lief Rieke so schnell sie konnte. In ihrer aufsteigenden Todesangst folgte sie den anderen hinter dem Strand durch den großen Hotelgarten, in dessen Mitte sich ein imposanter Hügel erhob. Hier hatten sich bereits einige Hundert Menschen eingefunden, die plötzlich anfingen zu schreien und erregt auf den Horizont hinter Rieke zeigten. Zuerst wollte sie sich umblicken, um die offensichtliche Gefahr hinter sich genauer abzuschätzen, doch sie entschied sich anders und lief weiter. Die schwachen untrainierten Muskeln ihrer Beine schienen bei dem mühsamen Anstieg zu versagen. Doch mit letzter Kraft schloss sie zu den Menschen auf dem Hügel auf und warf sich keuchend in das trockene Gras. Beim ersten Blick zurück offenbarte sich ihr eine Apokalypse. Es war, als würde das Meer einfach überlaufen. Gewaltige Wassermassen ergossen sich ins Land. Die Welle war schnell und gewaltig. Strandmöbel, Autos, ja selbst Häuser wurden scheinbar mühelos davon gespült. Einige Verzweifelte versuchten auf allen Vieren den Hügel empor zu klettern, doch sie wurden von dem braunen Trüb der heranrauschenden Flut davon gespült. Sie zappelten hilflos im Wasser wie Fliegen in einem Rinnsal. Entsetzte Schreie erhoben sich aus der Gruppe der Geretteten. Rieke schaute den Strand entlang. Überall bot sich das gleiche Bild. Das Meer fiel wie eine riesige Kriegsmacht über diese beschauliche Bucht her. Bis weit in das von Palmen- und Papayaplantagen geprägte Hinterland drangen die Wassermassen und rissen auf ihrem Weg ohne Gnade alles nieder. Nichts schien ihrer unermesslichen Gewalt gewachsen zu sein. Plötzlich dachte sie an Klaas und ihr Magen zog sich augenblicklich zusammen. War er auch in Sicherheit? Oder schlief er noch friedlich im Cottage, als die Fluten kamen. Sofort verwünschte sie sich, weil sie sich in der Nacht nicht neben ihn gelegt hatte. Lieber wäre sie jetzt mit ihm gestorben, als ohne ihn weiterleben zu müssen. Völlig aufgelöst begann sie überstürzt den Hügel herunterzugehen, hinunter zu den noch brodelnden Wassern, doch etwas hielt sie am Arm fest. Als sie sich umdrehte, erkannte sie die kleine Doppelgängerin ihrer Zwillingsschwester, die sie mit ernstem Gesicht ansah und kaum wahrnehmbar mit dem Kopf schüttelte.

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