Jens H. Milovan

Zeit der Klarheit


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oder?«

      »Ja, sicher. Es passt gut, dass ich Sie hier treffe«, wechselte ich schnell das Thema.

      »Wie ist denn der Stand der offenen Punkte aus unserem Gespräch letzter Woche?«

      »Ja, einige sind bereits erledigt und bei einer Position brauche ich noch etwas Input«, meinte er.

      »Perfekt, dann lassen Sie uns heute Nachmittag die Themen in meinem Büro besprechen. Bis 15 Uhr dann«, sagte ich, ging den Gang weiter zu meinem Wirkungsbereich und schloss die Tür.

      Noch voll in Gedanken setzte ich mich vor den Bildschirm und versuchte an meiner Präsentation weiterzuarbeiten. So richtig wollte dies jedoch nicht gelingen. Ich war froh, dass Herr Schmid-Edermann anklopfte und die aktualisierte Version mitbrachte, die eigentlich nur noch den letzten Schliff benötigte.

      »Sehr gut, Herr Schmid-Edermann, das sieht jetzt wirklich positiv aus. Alle Aspekte, die wir diskutiert hatten, sind inkludiert. Die wichtigsten Ziele und die Alternativ-Szenarien mit Chancen-Risiken-Analyse sind deutlich dargestellt. Das Kostenthema ist mit den Wirtschaftlichkeitsberechnungen ebenfalls zur Genüge beleuchtet, sodass Sie nun den Weber-Auftrag weiterbearbeiten könnten.«

      »Okay, bis wann brauchen Sie den?«

      »Der Endtermin ist in 5 Wochen.«

      »Gut, also bis morgen«, Herr Schmid-Edermann stand auf und ging zur Tür.

      »Mmh, kennen Sie eigentlich die Frau von vorhin, wie hieß sie noch gleich?«, fragte ich ihn beiläufig und versuchte so gleichgültig wie möglich zu wirken.

      »Meinen Sie Tatjana Thiel?«

      »Ja, ich glaube schon…«

      »Ja, meine Frau und Tatjana sind im gleichen Yoga-Kurs. Manchmal gehen die beiden danach noch etwas Trinken oder wir gehen alle zusammen essen. Wieso, kennen Sie Tatjana, soll ich ihr etwas ausrichten?«

      Er genoss die Situation und kostete sie voll aus.

      »Nein, nein, vielen Dank. Machen Sie auch Yoga?«, fragte ich ihn, um dem peinlichen Zustand einigermaßen unbeschadet zu entkommen.

      »Ich habe es einmal probiert. Ich bin aber nicht dabeigeblieben.«

      Bevor er noch irgendetwas hinzufügen konnte, verabschiedete ich ihn.

      »Bis morgen dann, einen schönen Abend.«

      »Danke, ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Abend.«

      Samstagmittag nach dem Einkaufen nahm ich das Meditationsbuch zur Hand und blätterte darin. Ich überflog gerade das Inhaltsverzeichnis, als das Telefon klingelte, oder genauer gesagt das Intro von ›Wayward Child‹ von Kansas ertönte.

      »Hallo Pascal, schön dich zu hören, wie geht es dir?«

      »Mir geht es gut und bei dir alles im Lot«, antwortete er schnell.

      »Ja, danke. Noch ein bisschen müde, aber sonst alles senkrecht«, war meine ehrliche Antwort.

      »Hey, das passt ja perfekt. Ich bin gerade in der Stadt. Wie sieht’s aus, hast du Lust auf einen Kaffee?«, fragte er.

      »Ja klar. Klasse Idee. Lass uns im Kahwa treffen, da kann man gut draußen sitzen«, antwortete ich.

      Pascal bestätigte mit einem kurzen ›okay‹ und legte auf.

      Im Kahwa angekommen, sah ich ihn schon entspannt mit einer Kaffeetasse in der Hand am Tisch sitzen. Pascal kannte ich bereits aus der Grundschule. Jetzt war er zwar über ein Meter fünfundachtzig, seine Braunhaarfrisur und sein Gesicht sahen jedoch immer noch so aus wie damals.

      »Hallo Pascal. Du siehst richtig erholt aus«, begrüßte ich ihn.

      »Ja danke. Ich war auch die letzten vier Wochen in Neuseeland.«

      »Hey cool. Warst du auf beiden Teilen oder nur auf einer Insel.«

      »Auf beiden. Aber nach einem kurzen Abstecher auf der Nordinsel mit Wellington und Auckland, habe ich die meiste Zeit auf der Südinsel verbracht. Da ist alles viel ursprünglicher und entspannter. Von Christchurch aus bin ich einmal um die Insel herumgefahren.«

      »Cool. Das habe ich damals auch gemacht. Erzähl, was hast du alles gesehen?«, forderte ich ihn interessiert auf.

      »Ich bin gleich einen Tag nach meiner Ankunft in Christchurch weiter in Richtung Hammer Springs gefahren. Dort bekommst du natürlich sämtliche Thrill seeking Aktivitäten geboten. Aber mit Bungee-Jumping oder Rafting hatte ich irgendwie nichts am Hut. Ich habe für mich das Wandern entdeckt. Und in Neuseeland kannst du das voll auskosten. Ein paar Tage später bin ich dann nach Punakiki, Punakaki, oder so. Auch hier wieder. Wandern im Nationalpark. Die Pancake Rocks sahen wirklich witzig aus. Bei Gelegenheit muss ich dir `mal ein paar Bilder zeigen. Aber auch die Führungen durch die Höhlen dort waren echt spannend. Ja, dann sicherlich unbedingtes Pflichtprogramm der Franz Josef Gletscher und der Milford Sound. War zwar ziemlich viel los, dort. Es hat sich aber absolut gelohnt. Dann war ich in ein paar kleineren Orten und bin an der Küste entlang in Richtung Nordinsel gefahren. Von Picton aus bin ich dann nach Wellington übergesetzt. Puh, was ein Schock. Die ganze Zeit absolute Ruhe und Gemütlichkeit und dann plötzlich absolute Hektik in der Stadt. So kam es mir zumindest vor. Deshalb bin ich sofort weiter nach Rotorua. Die Geysirlandschaft dort war sensationell. Wenn man `mal von dem Schwefelgestank absieht, einfach beeindruckend. Bevor ich jetzt großartig weitererzähle, lass uns das `mal mit meinen paar Tausend Fotos fortsetzen.« Pascal leerte fast sein ganzes Glas Wasser in einem Zug.

      »Klar, warum nicht. Ich fand das Land bei meiner Reise ebenfalls genial«, bemerkte ich.

      »Ja, und bei Dir. Wie läuft es denn?«, fragte Pascal, während er an seinem Kaffee nippte.

      »Seit ein paar Monaten habe ich den Überblick über die offiziellen und inoffiziellen Wege, die Netzwerke und was geht und was nicht geht in diesem Unternehmen. Der Job macht jetzt richtig Spaß. Meine Kollegen sind okay und mein Team ist echt klasse. Aber das Ganze nimmt halt enorm viel Zeit in Anspruch. Abends bin ich dann oft so platt, dass ich mich immer öfters vor dem Fernseher ertappe.«

      »Oh, ja das kenne ich. So ging es mir auch noch vor Kurzem. Ich habe vor ungefähr einem halben Jahr meine Arbeitszeit reduziert. Jetzt habe ich zwar ein bisschen weniger Geld aber so alle zwei Wochen ein Tag frei. Meistens freitags. Das ist genial. Alle paar Wochen drei Tage Wochenende. Zumindest theoretisch. Denn wenn viel los ist, komme ich nicht dazu die Stunden abzubauen. Aber auch wenn es nur ab und zu klappt, hat das meine Lebensqualität auf jeden Fall gesteigert.«

      »Das hört sich gut an. Das ist sicherlich ein Weg, den Stress zu reduzieren und mehr Zeit für sich selbst zu haben. Und dein Chef hat das so ohne Weiteres akzeptiert«, fragte ich ihn.

      »Hey, das war ein halbes Jahr Kampf. Erst `mal für mich selbst, bis ich mich endlich zu diesem Schritt durchgerungen habe. Und mein Chef, das Arbeitstier, war alles andere als begeistert. Der hat gar nicht verstanden, was ich eigentlich will. Irgendwie zieht er tierisch viel Energie aus seinem Job. Er ist morgens vor allen anderen im Büro und geht als Letzter. Wenn ich im Flieger sitze und penne, arbeitet er bereits Präsentationen oder Protokolle aus. Jetzt erklär `mal so jemanden, dass du weniger Stunden arbeiten möchtest. Na ja, nach zwei, drei Monaten hat es dann doch geklappt und ich bin so froh.«

      Mit einem Klatschen auf seine Schenkel unterstrich Pascal seine Freude über die neue Lebensqualität. Ein mutiger, jedoch konsequenter Schritt, leider noch nichts für mich, dachte ich. Pascal unterbrach meine Gedankengänge.

      »Was macht das Liebesleben?«

      »Oh, ganz schlechtes Thema. Das macht leider gar nichts«, erwiderte ich schnell, da ich diesen Aspekt meines Lebens nicht weiter vertiefen wollte. Und schon gar nicht mit Pascal. Er pflegte zwar auch immer langfristige Beziehungen, aber keinen Monat, nachdem Schluss war, brachte er die nächste Freundin an.

      »Ja, wie. Das gibt’s doch nicht! Wie lange bist du schon solo. Ein Jahr, oder?«, legte er den Finger in die Wunde.

      »Ja,