Elke Bulenda

Fatales Erwachen Epubli EPUB


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einen Kuss!«

      Sie saugten sich aneinander fest, wobei sich Marla auf ihre Zehenspitzen stellte, obwohl sich Ragnor schon zu ihr herunter beugte. Nachdem sie sich mit einem hörbaren "Plopp" voneinander trennten, wurde er noch von Marlas Haar-Tentakeln umarmt.

      »Bis bald, meine Schöne.« Ragnor winkte seiner Liebsten noch ein paar Mal, wäre beinahe mit einem Baum kollidiert und gestand sich ein, dass er Abschiede hasste.

      »Welcher Idiot stellt einen Baum mitten auf den Weg?«, brummelte er ungehalten.

      Marla, oder eher ihr Haar winkte - mit einem gebügelten, weißen Taschentuch.

      *

      Nachdem Ragnor auf das Festland übergesetzt war, bemerkte er recht schnell, dass im Reich etwas im Argen lag. Überall brannten Strohpuppen, die dem Lord nicht unähnlich sahen. Als die Aufrührer die Anwesenheit Ragnors wahrnahmen, scharrten sie verlegen mit den Füßen und taten so, als würden sie sich die Hände an einem ganz normalen Lagerfeuer wärmen. Die Truppen des Lords waren nirgends zu sehen. Der Hüne fragte sich, wo all die Soldaten geblieben waren.

      Was er nicht wusste war, dass sie ihre Rüstungen abgelegt hatten und die Aufständischen munter beim Zündeln und Aufrühren unterstützten. In der Hauptstadt war der Teufel los, nicht etwa weil Ragnor wieder da war, sondern eher, weil er eine ganze Weile durch Abwesenheit geglänzt hatte. Geschäfte wurden geplündert, das Bauernvolk lief durch die Straßen (samt Vieh versteht sich) und tat seinem Unmut Luft, indem sie lautstark den Tod Seiner Lordschaft forderten.

      Wo Ragnor ging, teilte sich die Menschenmenge, wie das Rote Meer vor Moses, hinter ihm schloss es sich, nicht ohne sich nass gemacht zu haben.

      »Geht nach Hause! Sonst lasse ich euch alle niedermachen!«, brüllte der Nordmann.

      Die Menge murrte, überlegte und wurde sich einig, dass es sich nicht unbedingt lohnte, niedergemacht zu werden.

      Doch der Eindruck sollte trügen. Sie hatten einen starken Verbündeten. Die Legion der Nacht war schon von jeher, der Hauptfeind der Ritter des Lichtes gewesen. Lord Seraphim legte großen Wert darauf, dass sein Reich vampirfrei wurde. Allerdings stank es ihm gewaltig, dass Ragnor die Statistik versaute, indem Ragnor leider ein Vampir war. Aber das musste Seine Lordschaft wohl oder übel über sich ergehen lassen. Ragnor war der ungeliebte Schwiegersohn und würde es bis in alle Ewigkeiten bleiben. Es war in der Tat ungewöhnlich, dass ein Vampir für den Orden des Lichtes arbeitete. Der ganze Name dieser heiligen Institution lautete: Heiliger Ritterorden des Erzengels Michael. Im Wappen war das flammende Schwert des Lichtbringers zu sehen. Dieser Ritterorden unterstand im Normalfall den Königen, die allesamt Michael hießen. Bis zuletzt. Nun war Lord Seraphim der direkte Stellvertreter des Lichtbringer und Erzengels.

      Die Torwachen in der Michaeler-Festung des Lichts, nahmen schleunigst Haltung an, als Ragnor die Burg betrat. Er knurrte sie im Vorbeigehen an.

      »Nehmt ordentlich Haltung an, ihr Blecheimer, sonst muss euch der Schmied aus den Rüstungen schneiden.«

      Niemals danach stand jemals wieder jemand so stramm, wie die beiden Burschen. Ragnor wurde sich bewusst, dass es selbst hier, in der Festung des Lichts, vor sich hin gärte. Feindliche Blicke war er gewöhnt, ihm war es völlig egal, dass die Ritter des Michael, ihn für einen Verräter hielten. Schließlich war er nicht ganz freiwillig in die Dienste des Lichtordens getreten. Doch es lag etwas in der Luft, das verriet ihm sein Instinkt. Mit langen Sätzen durchschritt er den Burghof und wurde wenig später bei Seiner Lordschaft vorstellig.

      Der sonst so unnachgiebige Lord machte sogar den Eindruck, als würde er sich bedingt über die Ankunft seines Schwiegersohns freuen. Jedenfalls nannte er ihn heute nicht - " Einen völlig bescheuerten Blutsauger."

      Knapp verbeugte sich Ragnor vor seinem Dienstherren. Diese Masche hatte er sich unter der Ausrede angewöhnt, dass seine Größe ein gewisses Knieproblem mit sich brachte. Er hasste es, vor dem Lord zu knien. Er kniete nur vor Marla, sonst vor niemandem. Der Lord machte eine fahrige Bewegung mit der Hand.

      »Wurde aber auch Zeit dass du kommst! Es heißt doch immer die Toten reisen schnell! Was hast du so lange getrieben? Warst du auf See und hast wieder unsere Schiffe geplündert, du und deine komischen Gesellen?«

      Ragnor fand seine Gesellen nicht komisch, auch hat er nie bemerkt, dass eines seiner Opfer jemals über ihn, oder die anderen Nordmänner, gelacht hätte. Vielleicht hatten sie aber auch keine Zeit dazu gehabt.

      »Nein, ich habe unterwegs noch einen Bären vergewaltigt! Das braucht seine Zeit! Eine ganz schön haarige Angelegenheit!«

      Der Lord fand Ragnors Humor alles andere als erfrischend. Er verzog angewidert das Gesicht und versetzte den Turm, der auf dem Schachbrett stand, auf eine andere Position. Lord Seraphim spielte begeistert Schach, allerdings nur gegen sich selbst, weil er ein schlechter Verlierer war. So gewann er jeder Partie.

      »Hast du gesehen was da draußen los ist? Dahinter steckt die Legion der Dunkelheit! Sie haben mein Volk aufgewiegelt, diese dreckige Blutsauger-Bande! Du weißt wie sie ticken! Du gehörst ja auch zu ihnen!«

      Ja, jetzt ist es soweit! Verfolgungswahn tanzt Ringelreigen.

      Der Nordmann behielt seine Gedanken für sich, dachte an die Steuerlast, die Kriege und die Krankheiten. Das hatte nicht das Geringste mit der dunklen Legion zu tun. Nur, dass die Legion der Dunkelheit ihr Land zurückhaben wollten, welches schon ihre Ahnen und Urahnen besiedelt hatten. Auch die Bevölkerung war der Meinung, dass es besser wäre, einen halben Liter Blutzoll an die Vampire zu leisten, als sich von den Rittern des Lichtes völlig ausbluten zu lassen.

      Die Stimmen wurden lauter, der Mob brach sich Bahn durch die Festung und die übrigen Soldaten schlossen sich den Entrechteten an. Die aufgebrachten Handlungen des Volkes wurde durch die geplünderten Alkoholika zusätzlich angefacht. Sie hatten sich genug Mut angetrunken, sodass es ihnen völlig egal war, ob sie etwas erreichten oder nicht. Zumindest hatten sie sich einen ordentlichen Schluck genehmigt und der Kater kam erst morgen, falls sie das Morgen noch erleben sollten. Auch den Soldaten war ein guter Weinbrand wichtiger als die Schläge, die sie von ihrem Dienstherren zu erwarten hatten.

      Wie ein wilder Derwisch sprang Lord Seraphim von seinem Prunk-Sessel auf und stürmte zum Fenster.

      »Ragnor! Tu etwas! Die Soldaten fallen uns in den Rücken!«

      Ein Blick aus dem Fenster und der Hüne wusste Bescheid.

      »Sire, ich fürchte, dass sich die Menge jetzt auch nicht mehr zur Vernunft bringen lässt. Folgt mir, Herr. Ich kenne einen geheimen Gang, er führt bis zum Hafen. Dort können wir Euch ausschiffen und in Sicherheit bringen.«

      Er pflückte eine Fackel aus ihrer Halterung und geleitete den Lord in die Verliese. Dort zog er an einem Ring, ein scharrendes Geräusch erklang und gab eine Öffnung preis.

      »Dort entlang!«

      Wie ein verängstigtes Kind hielt sich der Lord an Ragnors Umhang fest und ließ sich von dem Hünen durch die dunklen Gänge führen. Der Vampir wirkte wie immer zielstrebig, gelassen und verschlossen. Doch unter seiner sorgfältig arrangierten Fassade brodelte es bereits. Ragnor blieb stehen und fluchte leise. Er nestelte an einem Ring herum, der den Durchgang des nächsten Tunnels freigeben sollte. Der Lord fragte genervt: »Was ist los? Schwächelst du etwa?...«

      Ragnor drehte sich um und seine grünen Augen reflektierten das Fackellicht, wie die Iris einer Katze. Er wirkte bedrohlich, denn er hatte einen Plan. Er würde dem Spuk ein Ende setzen, hier und jetzt. Marla würde den Platz von Seraphim einnehmen und ihre Sache hoffentlich besser machen.

      »Der Weg ist zu Ende.« Er zog sein Schwert. »Für dich ist er hier zu Ende. Bedanke dich nicht, Seraphim. Das mache ich doch gerne für dich, noch viel lieber für deine Tochter!«

      Ragnor stieß dem Lord das Schwert bis zum Heft in die Brust. Auch ließ er sich das Vergnügen nicht entgehen, kräftig daran zu drehen. All die Jahre des Hasses, der Demütigungen, des Ringens und der Querelen mit dem verhassten Lord und seinem verdammten Orden, kamen ihn ihm hoch. Die Augen des Lord blickten ihn verblüfft an, bis das Licht darin