Deike Hinrichs

Slopentied


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      Der fackelte nicht lange, nahm die Hand und zog Petra an sich heran, um ihr das in Aussicht gestellte Begrüßungsküsschen auf die Wange zu schmatzen. „Kannst übrigens Stephen zu mir sagen. Können wir nachher mit einem Sektchen begießen.“

      Praktikant Lukas und Moritz schauten sich an und beschlossen in stillem Übereinkommen, Petra nicht auszubremsen. Stattdessen luden sie die Kamera, den Lichtkoffer, die Tonangel und die vollgestopften Tüten mit Werbepräsenten des Senders aus dem Kofferraum und trugen das Material ins Galaxy.

      Zeit für Moritz, über den Verlauf des weiteren Abends zu spekulieren: Wenn es gut lief, lenkte Mister Galaxy, wie Moritz den Betreiber der Diskothek kurzerhand taufte, Petra in ihrem Eifer ab, Zwietracht zwischen Melanie und Judith zu säen.

      Im hellen Neonlicht, und ohne vergnügungssüchtige Gäste, wirkte der Saal der Diskothek recht trostlos; eine Handvoll Angestellter räumte noch Tische beiseite, leerte die Papierkörbe und dekorierte die Räumlichkeiten mit Glittergirlanden und anderem Firlefanz. An der langen Bar hockten drei einsame Menschen wie gemietete Pappfiguren, die ihnen als lokale Prominenz vorgestellt wurden. Den Namen des Radiomoderators hatte Moritz schon gehört.

      „Gib doch mal drei Sekt für die Leute vom Fernsehen rüber“, forderte Reizling den Barkeeper auf, „dann kann ich mit der jungen Dame auch aufs du anstoßen.“ Es folgte ein Augenzwinkern in Richtung Petra.

      Moritz überlegte kurz, ob er sich schon zu so früher Stunde als Spielverderber zu erkennen geben wollte, beantwortete dies für sich mit einem Ja und korrigierte die Sekt-Bestellung in eine Flasche Pepsi für sich. Moritz liebte den feinen Zimtgeschmack, den er bislang bei keiner anderen Colasorte gefunden hatte.

      Optimistisch dreinblickend stieß jeder mit jedem an. Stephen Reizling und Petra gaben sich Küsschen, diesmal auf beide Wangen. Lukas und Moritz guckten mit großen Augen amüsiert zu. Na, bitte — die plumpen Avancen von Mister Galaxy fruchteten, frohlockte Moritz noch einmal und fand den Hoffnungsschimmer, der ihn beim Reintragen ihrer Ausrüstung ereilt hatte, bestätigt. So kam die kecke Petra nicht auf andere dumme Gedanken und schadete höchstens sich selbst.

      Nach einem Rundgang durch die Diskothek, Reizling hatte keine Mühe gescheut und eine Art Podest aufgetrieben, auf dem in etlichen Stunden eine Best Beauty für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern stehen würde, wagte sich Moritz, das Begrüßungszeremoniell zu unterbrechen: „Hm, sehr schön, wirklich alles wunderbar vorbereitet. Wir bräuchten bloß noch ein, zwei Stunden mit den Kandidatinnen, bevor der Rummel losgeht. Sind schon alle vollständig in der Garderobe versammelt?“

      Das brachte Stephen Reizling kurzzeitig aus dem Konzept, aber er fing sich rasch: „Was immer ihr Wunsch ist, Meister. Ich führe euch sofort hin. Auf dem Weg zeige ich dann gleich den Hintereingang raus zum Hof, falls einer später raus an die Luft muss, zum Kotzen oder so.“

      Petra klopfte zweimal kurz mit den Fingerknöcheln an die Tür der Umkleide und vergewisserte sich mit einem Blick, ob die Heranwachsenden angezogen waren: „Hi, Beautys! Wir wollen euch ein wenig über die Schulter schauen.“

      Sie waren es, wenn auch notdürftig, aber das brachte der Anlass schließlich mit sich. Moritz trat nach Petra in den Raum, der normalerweise eine Art Materiallager beherbergte, und nun als Garderobe herhalten musste. Papierhandtücher und Toilettenpapierrollen türmten sich eilig zusammengeschoben in den Ecken des Raumes neben Stapeln von Kopierpapier. Leere Kartons verschiedenster Ausmaße drängten sich an halb gefüllte Getränkekisten. In Moritz’ Windschatten folgte Praktikant Lukas so dicht, dass Moritz jeden Moment einen Tritt in den Hacken erwartete und sich ängstlich umschaute. Was er sah, erheiterte ihn und vertrieb schlagartig die unberechtigte Sorge. Wie bei einem der Teletubbies ragte die Tonangel mit dem Mikro an der Spitze weit über Lukas Kopf hinaus, während der Praktikant auf der Stelle trat, um Moritz nicht in die Fersen zu treten.

      Die Stimmung in der Umkleide pendelte zwischen aufgekratzt und hysterisch, und es roch, als wären bei Douglas sämtliche Flakons ausgelaufen. Moritz fürchtete um seinen Geruchssinn und das Aroma der bereitstehenden belegten Brötchen.

      An diesem Abend starteten acht mutige Mädchen im Galaxy. Kim, die bereits diverse Male erfolglos angetreten war, versuchte dieses Mal, mit knusprig gebräunter Haut und roten Hairextensions im schulterlangen hellbraunen Haar zu punkten, was sie Moritz ohne Aufforderung bereitwillig vor laufender Kamera verriet. Für ihre 18 Jahre setzte sie ihren Körper erstaunlich offensiv und gern in Szene. Aufs Neue entpuppte sich Kim als unkompliziert, etwas vorlaut mit typischer Berliner Schnauze, und dennoch voller warmherziger Energie. Während Kim ohne Punkt und Komma drauflos plapperte, tuschelten im Hintergrund Judith und Melanie, die vom Sender auserkorenen Erzrivalinnen, und hielten dabei Händchen. Moritz machte eine Nahaufnahme von den zwei ineinandergelegten Mädchenhänden. Dabei mischte sich in die Schadenfreude über die Vereitelung der redaktionellen Pläne die unangenehme Vorahnung auf Aussprachen, wenn Stopske das Material auf den Tisch bekam.

      Ein Zischen und Spritzen, und kurz darauf ein Aufschrei, rissen Moritz aus seinen Gedanken. Ein dünnes Mädchen mit dunklen Locken vergrub ihren Kopf heulend im Schoß. Sie saß gleich neben der Tür vor einem der provisorisch an die Wand gelehnten Spiegel. Die bloßen eckigen Schultern wurden von Weinkrämpfen geschüttelt. Bevor Moritz überhaupt wusste was los war, hockte Petra vor dem Häufchen Elend auf dem Boden und sprach sie teilnahmsvoll an. Der Blick und die energische Handbewegung, mit der Petra Moritz nebst Kamera heranwinkte, entlarvte sie als alles andere, als eine mitfühlende Betreuerin.

      Die Tragödie stellte ein Fleck auf dem gelben Abendkleid des Mädchens aus Rostock dar, den eine andere Teilnehmerin beim Öffnen einer Dose Redbull angeblich absichtlich platziert hatte. Die Rostockerin hörte nicht auf zu schluchzen, während sie sich unablässig über die großen, dunklen Augen wischte und die damit aufgetragene Wimperntusche restlos verschmierte. Gegen die entstandene Bescherung im Gesicht der Kandidatin wirkte der Redbull-Fleck harmlos. Wiederholt von Heulkrämpfen unterbrochen, kamen die Sätze stockend wie bei einem Stotterer aus ihrem Mund:

      „So … geh ich … hundertprozentig … nicht auf die Bühne. Ich sehe aus … wie eine verdammte Schlampe. Das sieht doch jeder. Das ist echt fies.“

      Die Lampe in der einen, die Tongabel in der anderen Hand, trat Praktikant Lukas von einem Bein aufs andere. Er versuchte sein Bestes, die Situation zu entspannen. „Aus der Entfernung, vom Publikum aus, sieht den Fleck doch kein Schwein.“

      Langsam hob das Mädchen ihren Kopf und der Tränenstrom versiegte: „Meinst du?“ Skeptisch betrachtete sie das Kleid.

      Petra versetzte Lukas einen Schubs und drängte ihn damit näher an die Rostockerin, sodass das Mikro jetzt direkt über dem Kopf des Mädchens hing, bereit, den leisesten Schluchzer einzufangen. Geistesgegenwärtig ergriff Petra die Gunst der Stunde, Öl ins Feuer zu gießen: „Tja, aber wie drehen ja in erster Linie fürs Fernsehen und nicht für die paar Leute hier in der Disse, schon vergessen?“

      Die Bemerkung verfehlte ihre Wirkung nicht. Wie ein Häufchen Elend sackte das Rehauge wieder in sich zusammen und die Tränen liefen erneut.

      Die anderen Kandidatinnen ließen sich von dem Zwischenfall nicht stören. Eine lackierte ihre Fingernägel, die nächste zog sich den Lidstrich nach, Kim zog vorsichtig hautfarbene Strumpfhosen an den langen Beinen hoch und Judith und Melanie gingen die simplen Schrittkombinationen laut vor sich hin sprechend noch einmal durch.

      „Haben wir doch schon was Feines im Kasten.“ Tatsächlich erwartete Petra noch ein Lob von Moritz. Selbstzufrieden über ihren Biss stand sie Beifall heischend vor ihm, sodass Moritz die Galle hochkam.

      Um den bitteren Geschmack nicht runterzuschlucken, musste er ausspeien: „Ja, Petra, du bist die größte Journalistin, die die Welt je gesehen hat. Man könnte glatt meinen, du hast den Pressekodex erfunden.“

      Einen immensen Aufwand betrieben alle Teilnehmerinnen beim Frisurenbau. Allein Porzellangesicht Judith, lediglich mit dunkelgrünem Slip und BH bekleidet, begnügte sich mit einer profanen Bürste, die sie durch den glatten Bob strich. „Ihr filmt doch aber nicht, oder?“ Mit einem skeptischen