Deike Hinrichs

Slopentied


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verstört zur Kenntnis, dass noch weitere männliche Augenpaare seiner Tochter folgten.

      Auf das Publikum am Sonntagvormittag abgestimmt tönten vorwiegend familienfreundliche Titel aus den 80er Jahren aus den Lautsprechern. Moritz kannte alle Songs und hätte ausnahmslos mitsingen können, zumindest den Refrain, was er jedoch mit Rücksicht auf seine Tochter lieber unterließ.

      Nach kurzer Zeit erlangte Moritz die vertraute Sicherheit auf den schmalen Kufen wieder und drehte zufrieden seine Runden. Ein wohliges, sorgloses Gefühl durchströmte ihn. Die Sonne schien warm und ließ das Eis glitzern. Die noch mit Raureif überzogenen Bäume am Rande der Eisbahn strahlten wie frostiges Silber. Ab und an traf er mit Valentina aufeinander; Hand in Hand liefen sie dann nebeneinander weiter, immer achtsam darauf bedacht, sich gegenseitig nicht mit den Kufen in die Quere zu kommen — durch die unterschiedlich langen Beine kein leichtes Unterfangen. Ohne die Hände loszulassen, hoben sie schmunzelnd die Arme, um Kinder auf Gleitern, die auf dem Eis im Weg standen, zu umfahren. Fasziniert beobachte Moritz einen kleinen, dick verpackten Jungen, der unglaublich geschickt und flink wie ein Wiesel, durch die sich kurzzeitig bietenden Lücken kurvte. Exakt so hätte Moritz sich einen Sohn gewünscht. Er schätzte den aufgeweckten Jungen nicht älter als vier oder fünf, während er trotz oder vielleicht gerade wegen der Trennung bedauerte, mit Anita kein zweites Kind gezeugt zu haben.

      Die Luft roch kalt und klar und schmeckte auf Höhe des Imbissstandes nach Currywurst mit Pommes und Glühwein. Beinahe tänzerisch glitt Moritz zu Eyes without a Face von Billy Idol über die Fläche, als ein akustischer Missklang die Harmonie abrupt zerstörte. Es dauerte einige Sekunden bis Moritz realisierte, dass sein Mobiltelefon in der Hose die störenden Geräusche fabrizierte. Verärgert schalt er sich selbst einen Trottel, weil er erstens das Handy überhaupt dabei und zweitens nicht ausgestellt hatte. Er schaute aufs Display und nahm widerstrebend den Anruf von Stopske entgegen.

      Ohne Einleitung kam Stopske zum Anliegen der sonntäglichen Störung: „Sorry, aber ich bin in der Redaktion und suche das Material von der nächsten Folge. Wo liegen die Bänder? Muss da reingucken, bevor du in Schnitt gehst. Auf deinem Schreibtisch konnte ich nichts entdecken.“

      Möglichst präzise schilderte Moritz, an welcher Stelle im Großraumbüro die gesuchten Kassetten lagen. Zudem fühlte sich Moritz bemüßigt, sich halb bei Stopske zu entschuldigen: „Ich musste alles noch mal neu sichten für den Schnitt. Liegt daher noch am Player. Ist aber bereits beschriftet.“

      Statt Danke zu sagen, brubbelte Stopske ihm beleidigt ins Ohr, bevor er auflegte: „Wäre gut, wenn ihr die Bänder nicht ständig durch die Gegend schleppt. Hab’ auch was Besseres zu tun, als durch die ganze Bude zu rennen.“

      Verstimmt schaltete Moritz das Handy aus. Vielmehr als der unangemessene Ton verunsicherte ihn die Tatsache, dass Stopske sich vor dem Schnitt in den Arbeitsprozess einklinken wollte. Normalerweise trat IM Gemächtträger erst zur Abnahme der fertig geschnittenen Beiträge auf den Plan. Das, was Stopske auf den Bändern sehen würde, entsprach sicher nicht seinen ausdrücklich formulierten Vorstellungen vom Zickenkrieg. Grübelnd setzte Moritz seine Bahnen fort. Im Gegensatz zu dem großzügigen Rund, welches seine Kufen beschrieben, wurden die Kreise seiner Gedanken immer enger.

      Kapitel 6

      Die Best Beauty Wahl für Mecklenburg-Vorpommern stand am Freitagabend auf dem Redaktionsplan. Vielversprechender Austragungsort der Veranstaltung: die Großraumdiskothek Galaxy in Warnemünde. Warnemünde wäre im Sommer großartig gewesen; jetzt, im kalten, von eisigen Ostwinden heimgesuchten Februar, konnte sich Moritz verlockendere Ausflugsziele vorstellen — zumal das Budget des Senders für das Drehteam keine Hotelübernachtung vorsah. Der Katzensprung nach Hause konnte ihnen ohne Frage zugemutet werden, darauf hatten sich Lehndorff und Stopske verständigt, um das Budget nicht unnötig zu strapazieren. Dass sie damit die Nerven des Teams über Gebühr strapazieren, war zu vernachlässigen.

      Für Warnemünde hatte Stopske Moritz, Petra und Lukas, einen weiteren Praktikanten bei United Media, eingeteilt. Seit auch in den Medien gespart werden musste, existierten beim Privatfernsehen sogenannte Ein-Mann-Teams, die, nach einer Kurzeinweisung und mit leichter Digitalkamera im Gepäck, die inhaltliche als auch technische Aufnahme zu schultern hatten. Die lange zurückliegende Ausbildung als Fotograf half Moritz bei dieser Aufgabe; ohne jedoch seine Abneigung gegen diese drastische Vermischung zweier völlig unterschiedlicher Berufsgruppen zu schmälern.

      Bereits am frühen Nachmittag machten sich die drei auf den Weg von Berlin nach Warnemünde. Moritz hockte denkbar schlecht gelaunt in einem dicken Norweger-Pullover hinter dem Steuer des Passats, den mindestens 12-stündigen Arbeitstag wie einen steinigen Berg vor sich. Das eigentliche Material für die Folge würden sie in den Stunden vor und nach der Wahl sammeln. Der offizielle Teil des Schaulaufens warf eher Füllmaterial für schöne Bilder zwischen den oft sehr hässlichen und damit ergiebigen Szenen hinter der Bühne ab.

      Während der Fahrt plapperte Petra ununterbrochen, obwohl ihr niemand zuhörte. Bislang hatte sie weder Lukas noch Moritz direkt angesprochen, sodass Ignorieren leicht fiel. „Moritz, was ist jetzt mit Judith und Melanie? Soll ich da was fallen lassen in Richtung Ex-Freund, der was Schlüpfriges über eine von den beiden in Umlauf gebracht hat?“

      Moritz Interesse, die beiden Mädchen gegeneinander aufzuwiegeln, ging gegen null. „Überlass’ das bitte mir. Wir warten ab und entscheiden situationsabhängig, in Ordnung?“ Schon aus reiner Überzeugung kam diese Art der redaktionellen Aufbereitung nicht infrage.

      Praktikant 2 schlief auf der Rückbank und bekam von dem Austausch nichts mit. Petra verstummte und Moritz konnte sein Gehör wieder ausschließlich dem mindestens für eine Fahrt nach Schweden ausreichenden Vorrat an CDs widmen. Wenn es gar nicht anders ging, beschloss Moritz mit offenen Karten zu spielen und Judith und Melanie ins Vertrauen zu ziehen: Tatsachen auf den Tisch und die Absichten des Senders offenbaren.

      Nach kurzer Funkstille meldete sich Petra zurück. „Darf ich diesmal beim Schnitt dabei sein?“

      Nachdem sie die Frage ein zweites Mal wiederholte, quetschte Moritz eine ausweichende Antwort heraus: „Mal sehen.“

      „Ich fände es superspannend, diesen Prozess zu verfolgen … “

      Geräuschvoll kämpfte die altersschwache Lüftung des Passats gegen das Beschlagen der Scheiben. Moritz drehte den Lüftungsregler weiter auf und erhöhte die Lautstärke des Radios dementsprechend. Michael Jacksons Rock with you vom Album Of the Wall ließ Petra innehalten, um mitzusummen. Verwundert schickte Moritz einen Seitenblick auf den Beifahrersitz. Dann fiel es ihm wieder ein: Seit der King of Pop tot war, kannten selbst die 12-jährigen plötzlich seine frühen Songs.

      Am würfelartigen Gebäudekomplex der Disko, etwas abseits der Warnemünder Strandpromenade, warb ein Banner mit der Aufschrift Best Beauty Wahl Meckpommheute im Galaxy um die Gunst der Jugend im Einzugsgebiet. Auf dem riesenhaften Parkplatz standen verstreut einige wenige Fahrzeuge, die komplett eingeschneit unter einer knuffig-weißen Haube steckten. Moritz parkte seinen Wagen so dicht wie möglich am Hintereingang des Galaxy. Als er den Zündschlüssel abzog, kam ihnen der Betreiber des Tanzpalastes händereibend, mit einem zufriedenen Grinsen zwischen den Ohren, entgegen. Die beiden Praktikanten hatten sich schon aus dem Auto geschält und standen nun frierend daneben. Aus der Fahrertür entstiegen und von kalten Windstößen begrüßt, hängte sich Moritz rasch den Dufflecoat über die Schultern. Eilig versuchte er, wenigstens die obersten beiden ovalen Hornknöpfe des Mantels durch die Schlitze zu schieben.

      „Moin, Moin. Ich bin der Herr Reizling, wir haben telefoniert. Der Laden wird gerammelt voll. War ein guter Deal, Jungs, das spür ich!“

      Wie der Mann das kurz vor 18 Uhr bereits spüren konnte, blieb Moritz ein Rätsel. „Freut mich, Herr Reizling. Moritz Montag.“

      Während alle, die die letzten Stunden im warmen Auto verbracht hatten, vor Kälte schlotterten, stand Reizling unbeeindruckt von den Minusgraden lediglich in Stoffhose und T-Shirt vor ihnen.

      Petra konnte es