Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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Zucken in seinen beiden Handgelenken, dann erschien eine kleine, rechteckige und nahezu rein weiße Fläche vor seinen Augen und die Stimme verlangte:

       „Versuche es. Schreibe mit deinem Zeigefinger deinen Namen in die weiße Fläche.“

      Shandra hatte nie Schreiben gelernt, doch er wusste, was von ihm erwartet wurde und er konnte der Erwartung genügen. Ohne weiter nachdenken zu müssen, bewegte er seinen rechten Arm, seine Hand schwebte über der Fläche, sein Zeigefinger streckte sich und Shandra schrieb in schön geschwungenen Buchstaben auf die Fläche

       Shandra el Guerrero

      Wieder erklang die Stimme und erläuterte ihm sein eigenes Tun:

       „Die Welt der Sprache manifestiert sich auf mannigfaltige Art und Weise. Die wichtigsten Darstellungen der Sprache erfolgen durch das Aufzeichnen von Schriftzeichen und durch die Verwendung von Tönen. Lesen und Schreiben hast du bereits gelernt, auch das Hören und Sprechen stehen dir uneingeschränkt zur Verfügung. Du wirst nun noch mit der Sprache in Form von Gesang und Liedern vertraut gemacht, danach wirst du die Haube ablegen, die Welt der Sprachen verlassen und zur nächsten Welt reisen.

       Es war schön, Mensch, mit dir zu arbeiten.“

      Als auch dieser Lernprozess zu Ende war und das leise Kribbeln aufgehört hatte, fühlte sich die Haube plötzlich hart und kalt an und Shandra spürte das dringende Bedürfnis, sie so schnell als möglich abzunehmen. Auch der Stuhl verlor mit einem Mal alle seine bequemen Eigenschaften und forderte ihn förmlich zum Aufstehen auf.

      Damit war klar, dass die Stimme recht gehabt hatte und es in diesem Raum nichts mehr für ihn zu lernen gab.

      Shandra legte die Haube wieder sorgfältig auf den Tisch, genau an die Stelle, an der er sie gefunden hatte, stand auf und trat vor die verschlossene Tür des sonnengelben Raums und diese öffnete sich, er konnte hinaus treten in den Treppenschacht und dann in eine der anderen Türen eintreten.

      Shandra entschied sich dafür, die rote Tür zu öffnen und als er eintrat wurde er wiederum von einer Stimme empfangen. Sie war ebenfalls weiblich, doch sie sprach in einer anderen Tonlage als die erste Stimme.

       „Mensch ich begrüße dich in der Welt der Bilder.

       Bilder stellen das älteste Informationssystem der Menschen nach der Sprache und damit der Überlieferung dar. Schon unsere ältesten Urahnen, von denen wir nicht wissen, ob sie tatsächlich schon Menschen waren, haben der Nachwelt Bilder hinterlassen, wodurch diese in der Lage war, die Lebensweise der Ahnen kennen zu lernen. Bitte nimm jetzt Platz, setze die Haube auf und wir beginnen mit der Übertragung der Daten.“

      Der Stuhl war ein genaues Duplikat des Stuhls in der Welt der Sprache. Die Haube aber war anders. Größer, schwerer und sie reichte bis zu der Stelle seines Hinterkopfes, an welcher dieser in den Nacken überging. Die Seiten waren so tief nach unten gezogen, dass sich sowohl die Schläfen als auch die Ohren innerhalb der Haube befanden und es gab eine Art Visier, das sich von selbst herunter klappte und vor Shandras Augen legte, sobald die Haube sich seinem Schädel angepasst hatte. Shandra entspannt sich rasch wieder, obwohl es doch kurz unheimlich geworden war, als die Haube ihn sozusagen seiner Sicht beraubt hatte. Er kuschelte sich in die Wärme des Sessels und kaum hatte die Entspannung eingesetzt, begann es vor seinen Augen zu flimmern, das schon bekannte Kribbeln in den Schläfen begann und wurde dieses Mal viel stärker als bei den ersten Übertragungen. Zusätzlich spürte Shandra auch eine Reaktion im Nacken. Die Übertragung dauerte diesmal sehr lang und Shandra spürte, wie er ermüdete, wie der Schlaf nach ihm griff und dann war er nicht mehr in der Lage, sich gegen den Schlaf zu wehren, seine Augen vielen zu und er war weg.

      Als er wieder erwachte, besaß er nicht den Hauch einer Ahnung, wie lange er geschlafen hatte, aber er fühlte sich frisch und erholt und er war hungrig und vor allem sehr durstig. Kaum hatte er seine Sinne wieder ein wenig unter Kontrolle, hörte er die Stimme wieder.

       „Mensch, nun besitzt du viele Informationen über deine Vergangenheit, über die Wurzeln aus den du gekommen bist und über Dinge, die das Ausmachen, was aus den Menschen geworden ist. Die Datenbanken haben dir allerdings nur die Informationen zugespielt. Die Interpretation dieser Informationen ist deine Angelegenheit. Nun Mensch, musst du die Welt der Bilder verlassen. Lege die Haube ab, erhebe sich aus dem Stuhl und verlasse den Raum.

       Es war schön, mit dir zu arbeiten.“

      Wieder verschwand die Bequemlichkeit von Stuhl und Haube und wieder wurde Shandra auf diese Weise praktisch aus dem Raum komplimentiert. Er nahm es gelassen und stand dann vor der letzten der drei Türen. Er überlegte, ob er auch diese Tür nun sofort öffnen oder sich erst etwas zu essen und zu trinken besorgen sollte, als sich plötzlich in der Fläche der Wand an einer Stelle, an der es zuvor nicht die kleinste Spur einer Fuge gegeben hatte, eine Klappe öffnete. Auf der Klappe tauchte ein Tablett auf und auf diesem Tablett lagen einige Stücke Käse unterschiedlicher Art, blaue Trauben und zwei reife Birnen, sowie ein ganzes Fladenbrot. Neben dem Tablett stand eine gläserne Karaffe und ein ebenfalls gläserner Becher und in der Karaffe befand sich frisches, kühles Quellwasser.

      Shandra konnte also seinen Hunger und seinen Durst stillen und brauchte nicht zu einem anderen Zeitpunkt wieder zu kommen.

      Er war schon beinahe fertig mit Essen, als ihm plötzlich etwas bewusst wurde.

      Er hatte niemals zuvor in seinem Leben Käse und Weintrauben gesehen und der Begriff Tablett war in seinem Sprachschatz ebenso wenig enthalten gewesen, wie der Begriff Karaffe. Dennoch war ihm alles so vertraut, als hätte er diese Dinge sein Leben lang um sich gehabt.

      Das also hatte das Archiv bei ihm bewirkt!

      Shandra konnte es kaum mehr erwarten, bis sich die dritte – die rote – Tür öffnete und er erfuhr, auf welche Art des Wissens er hier stoßen würde.

      Diesmal sprach die Stimme eines Mannes zu ihm. Eine sonore Stimme, die nicht weniger angenehm klang, wie zuvor die beiden Frauenstimmen.

       „Ich begrüße dich Mensch, du hast die Welt der Naturwissenschaften betreten und wirst nun einen Teil des wahren Wissens erhalten.

       Ich lehre dich die Welt der Zahlen und der Begriffe sowie den Umgang mit ihnen. Ich führe dich ein in die Welt der Stoffe und ihrer Eigenschaften sowie in der die der Kräfte und ihrer Prinzipien. Um die Welt zu verstehen, sind die Kenntnisse, die ich dich lehre unerlässlich, deshalb lerne gut und bewahre, was ich dir gebe. Nun nimm deinen Platz ein und lass uns beginnen.“

      Weder der Stuhl noch die Haube in diesem Raum glichen denen, die er in den beiden Räumen zuvor gesehen hatte.

      Der Stuhl war wuchtiger und größer, die Seitenwände viel höher gezogen, so dass Shandra sich vorkam, als hätte er in einem Raum im Raum Platz genommen. Der Effekt allerdings war derselbe. Äußerste Bequemlichkeit war gegeben, doch ebenfalls neu waren die Gefühle von Wärme, Geborgenheit und Sicherheit die ihn umspannen.

      Auch die Haube übertraf die aus der Welt der Bilder, was Größe und Ausführung anbelangte. Das Nackenteil reichte hinunter bis zur Mitte von Shandras Rücken und die Seiten waren soweit herein gezogen, dass nur noch seine Nase, der Mund und die Kinnpartie unbedeckt blieben.

      Wieder glitt Shandra in die Phase der Entspannung, das Kribbeln setzte ein und einen Augenblick später war Shandra eingeschlafen.

      Als er diesmal die Augen öffnete und in die Welt zurückkehrte, war es das nagende Hungergefühl, das seinen Tiefschlaf gestört hatte. Sein Magen knurrte, als hätte er seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen und sein Mund war so trocken, dass er vermutlich nur zu krächzen fähig gewesen wäre, hätte jemand verlangt, dass er etwas sagte.

       „Wie lange war ich denn diesmal weg? Ich habe das Gefühl, ich könnte einen halben Ochsen weg putzen und einen See leer trinken!“

       „War das eine ernst gemeinte Frage?“

      Die sonore Stimme war noch dieselbe, wie vor