Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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im Haus brannte Licht. Es gab keinen Hinweis darauf, dass sich jemand im Haus aufhielt. Doch als Shandra durch den Patio und den Wohnbereich hindurch die Terrasse erreichte, die auf den Garten des Hauses hinausging, sah er dort eine dunkle, große Gestalt an der Brüstung lehnen.

       „Guten Abend Torwald. Warum stehst du so allein im Dunkeln?“

       „Weil ich mir Gedanken mache, wie ich diesen Unfug am Berggipfel beenden kann. Aber wer bist du? Du hörst dich an wie …“

       „Wie der, der ich ja auch bin. Ich bin Shandra, aber was soll die Frage?“

       „Shandra! Du bist es tatsächlich! Mann, Junge, was bin ich froh, dich zu sehen! Nun brauche ich nicht weiter nachzudenken, mein Problem ist gelöst!“

       „Oh Torwald, werter Freund, las mich nicht dumm sterben, erzähl mir von deinem Problem und seiner Lösung. Was hat es mit mir zu tun?“

       „Alles. Wirklich alles.

       Man hat dich vor sechs Tagen mit einer fremden Frau den Berg hinauf steigen und in den kleinen Tempel gehen sehen. Kurze Zeit später schoss über dem Tempel eine große Flamme in die Höhe und ging nicht mehr aus. Sie brennt seither ununterbrochen und immer mit gleicher Kraft und Größe, niemand kann verstehen, wie so etwas möglich ist.

       Kurz nachdem die Flamme zu brennen begann, kam die Frau in die Stadt zurück, stellte sich auf den Marktplatz und begann die Leute zusammen zu rufen. Als der größte Teil der Bevölkerung um sie versammelt war, hat sie uns erklärt, dass der größte Stratege und Held, den der Clan je besessen hatte in den Berg gegangen sei, um sich dort von den Strapazen der Schlacht zu erholen. Shandra el Guerrero würde so lange in dem Berg bleiben, bis die Grazalema wieder bedroht wurde, erst wenn der Clan und das Land in höchster Gefahr waren, konnte man wieder mit seiner Rückkehr und seiner Hilfe rechnen. Zum sichtbaren Zeichen seines Aufenthaltes im Berg hatte sich die Flamme über dem Tempel entzündet und sie würde nicht mehr erlöschen, so lange Shandra el Guerrero sich im Berg befand.

       Die Leute waren betroffen, denn Shandra el Guerrero war ein ziemlich beliebter und noch sehr junger Mann gewesen, weshalb sollte er den Clan so plötzlich verlassen?

       Die Frau – sie nannte sich selbst den Erzengel Tarith – erklärte uns, dass es den Menschen Shandra el Guerrero nie wirklich gegeben habe, dass er – du also – von Anbeginn an eine Legende verkörperte und dass wir, die wir zu dieser Zeit im Hochland lebten, das Glück gehabt hatten, die Entstehung einer Legende mit zu erleben.

       Als nächstes forderte sie uns auf, sämtliche Feuer in der Stadt zu löschen und in der Nacht vor dem Vollmond mit Fackeln zum Berg zu gehen, zu beten und dann die Feuer der Stadt genährt von der Flamme Shandras neu zum brennen zu bringen.

       So sollte es von nun an und für immer gehandhabt werden, denn nur unter diesen Bedingungen würde die Flamme leben und Shandra für die schlimme Not, die eines Tages kommen mochte, beriet sein.“

      Shandra schüttelte den Kopf und wusste eine Weile nicht, was er zu alle dem sagen sollte. Die Frau Tarith hatte ihn ohne Hemmungen benutzt und war bereit gewesen, sogar seinen Tod vorzuspiegeln, nur um ihn an den Karren ihrer eigenen Interessen spannen zu können.

      Shandra starrte nachdenklich vor sich hin. Er sah die Botschaft, er verstand sie und doch auch wieder um nicht.

       „Menschen brauchen ein geistiges Zentrum…. Immer. Wenn es dieses geistige Zentrum nicht gibt, muss es geschaffen werden, denn Menschen sind hilflose, ängstliche und hoffnungslose Wesen, wenn sie kein geistiges Zentrum haben.“

      Er sah wieder hoch, schaute Torwald in die Augen und meinte:

       „Dieses hinterhältige Weib! Ich hoffe, Väterchen Schlange wird seine Aufgabe wieder gut erledigen. Doch jetzt lass uns gehen und unsere Schwestern und Brüder wieder zu Verstand zu bringen.“

       „Was hast du vor?“

       „Ich werde es machen wie Tarith, ich werde mich auf den Marktplatz stellen und die Leute zusammen rufen. Ich werde ihnen erklären, dass ich nicht tot bin und dass diese Tarith eine schreckliche Lügnerin ist. Das wird sie wieder zur Vernunft bringen. Ich bin weder dafür geeignet noch bereit, eine Legende zu sein und gar noch angebetet zu werden.“

       „Du wirst dich aber damit abfinden müssen, dass es so ist. Die Frau hat genau diesem Ereignis vorgebeugt. Sie hat den Menschen erklärt, dass genau das passieren könnte, was du jetzt zu tun vorgeschlagen hast. Sie hat erklärt, dass dieses Ereignis, wenn es denn eintrat, auf ein Blendwerk des Teufels zurück zu führen sei und man die Person, die von sich behauptet Shandra el Guerrero zu sein, sofort steinigen müsse.

       Ich befürchte, die Menschen der Stadt sind so sehr manipuliert worden, dass sie den Märchen Tariths bedingungslos glauben. Ich befürchte, du bringst dich in ziemliche Gefahr, wenn du dein Vorhaben umsetzt.“

       „Und du Torwald? Weshalb glaubst du nicht an Tariths Märchen?“

       „Weil ich ein Mitglied des Rates der Ältesten Weisen bin. Weil ich gelernt habe, deine Gedankenstrukturen zu erkennen wie einen eindeutigen Beweis für deine Existenz. Und weil ich diese Gedankenstrukturen zwar sechs Tage und fünf Nächte lang nirgendwo spüren konnte, aber seit dem frühen Abend sind sie wieder da und dabei so stark wie nie zuvor. Deshalb.“

       „Dann sag mir, väterlicher Freund, was können wir gegen diesen Aberglauben tun?“

       „Für den Moment nichts. Tarith hat den Menschen El Zaharas etwas gegeben, an das sie glauben können. Ihnen diesen Glauben an dich wieder zu nehmen, dürfte schwierig werden.“

      Shandra starrte erneut nachdenklich vor sich hin. Er sah die Botschaft und jetzt verstand er sie doch noch.

       „Menschen brauchen ein geistiges Zentrum…. Immer. Wenn es dieses geistige Zentrum nicht gibt, muss es geschaffen werden, denn Menschen sind hilflose, ängstliche und hoffnungslose Wesen, wenn sie kein geistiges Zentrum haben.“

      Tarith hatte nichts anderes getan, als den Menschen in El Zahara ein geistiges Zentrum zu schaffen. Eine Legende, ein unerklärliches Zeichen und einen Tempel, mehr brauchte es dazu nicht. Das dumme war nur, dass er selbst, Shandra el Guerrero von ihr als Inbegriff dieses geistigen Zentrums auserkoren worden war.

      Shandra schrak aus seinen Gedanken auf, denn Torwald fuhr fort zu erklären.

       „Wir haben nur eine Chance. Wir müssen in einer gemeinsamen Aktion aller geistigen Kräfte den Schlaf der Menschen manipulieren und ihnen in ihren Träumen versuchen die Realität zu erklären. Gelingt das nicht, dann befürchte ich, du wirst dein weiteres Leben als Legende verbringen müssen.“

       „Verdammt, wie ist so etwas möglich? Litten die Menschen von El Zahara an einem unerkannten, verborgenen Mangel? Wie kann es sein, dass da ein Prediger auftaucht und im Handumdrehen aus zwei Clanfrauen Verräterinnen macht und damit nicht genug, kommt nur wenig später eine scheinbar junge und gut aussehende Frau – sie ist nicht einmal ein richtiger Mensch – daher und macht aus den Menschen einer ganzen Stadt eine Horde religiöser Eiferer! Sind die denn alle nicht mehr ganz klar in der Birne? Oder bin ich es, der das eine oder andere nicht begreift?“

      Jetzt war es Torwald, der nachdenklich vor sich hin starrte, ehe er den Kopf hob und ganz genau Tariths Worte benutzte.

       „Menschen brauchen ein geistiges Zentrum…. Immer. Wenn es dieses geistige Zentrum nicht gibt, muss es geschaffen werden, denn Menschen sind hilflose, ängstliche und hoffnungslose Wesen, wenn sie kein geistiges Zentrum haben.“

       „Ja, ich weiß. Jetzt da du es ebenfalls sagst, fange ich an es zu glauben. Doch ich habe nicht das geringste Interesse daran, Mittelpunkt des menschlichen Anlehnungsbedürfnisses zu werden. Dann muss ich