Andreas A.F. Tröbs

Wie der kleine Muck erwachsen wurde


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Er ahnte, hier bald noch mehr zu sehen, legte eine kleine Rast ein und hoffte auf die Dinge, die da kommen würden. Und wirklich: Kaum, dass er regungslos verharrte, tauchten zwei Springmäuse auf, die, sich lustig neckend, eine Düne hinab kugelten. Das sah so lustig aus und klang so putzig, dass er das Schauspiel mit angehaltenem Atem aufgeregt verfolgte: Zuweilen schossen kleine Sandfontänen auf, die sich mit einem aufgeregten Piepsen vermischten, sodass er sich nur mühsam ein Lachen verkneifen und die nötige Ruhe halten konnte. Kurz vor seinen Füßen richteten sich die beiden kleinen Kobolde auf, setzten sich auf ihre kleinen Hinterläufchen, putzten ihre schnurrbärtigen Schnuten und verschwanden spurlos im Sand. Mukhtar lachte nun endlich lauthals ob diesen Vergnügens und setzte seinen Weg fort.

      Allmählich setzte ein Wind ein, der immer heftiger wurde und ihm, sehr zu seinem Verdruss, das Gehen arg erschwerte. Der Wind blies ihm Sand in die Augen, sodass er nach langer Zeit des Kämpfens entrüstet stehen blieb, um seinem Ärger über diesen sinnlosen Kampf Luft zu machen: „Sag mal, Wind! Meinst du nicht, dass du dich schämen müsstest, mir ständig ins Gesicht zu blasen? Und als wenn das nicht schon genügen würde, wirfst du auch noch mit Sand nach mir, lässt mein Gesicht brennen wie Feuer und streust ihn mir in die Augen! Sag mal, findest du das in Ordnung? Statt deinem einzigen Wanderer weit und breit die Ehre zu geben, ihm etwas Marscherleichterung zu schenken, fährst du ihm voll entgegen, hemmst ihn und beraubst ihn seiner wenigen Kräfte, von denen er eigentlich alle zum Laufen braucht. Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Zum Kämpfen ist mir meine Kraft jetzt im Augenblick einfach zu schade! Auch steht mir nicht der Sinn danach. Und außerdem, ich finde das ausgesprochen unfair und ungerecht von dir, Wind! Wahrscheinlich hat dir das noch keiner gesagt, aber du hast voll ein Rad ab!“ Der Wind nahm, so als hätte er Mukhtars Zorn verstanden, plötzlich zu und trieb ihm den feinen Sand noch heftiger ins Gesicht. „Gut, Wind, ich gebe es ja zu, dass meine Position dir gegenüber nicht die beste ist. Aber was ist, wenn ich dich bitten würde? Deine Stärke ist ja nun in Ordnung! Ich bewundere auch deine Kraft, die schier unerschöpflich scheint. Auch deine Art, wie du mit dem Sand spielst, ist beachtlich, nicht von der Hand zu weisen und ich kenne nichts, was mit deiner Art, grazile Sandbauten zu errichten, vergleichbar wäre, aber wenn ich dich darum bitten dürfte, mir nur noch eine kleine Kostprobe deines großen Drehvermögens zu zeigen, so würdest du den unermesslichen Reigen deines großen Könnens vollenden und mich zum glücklichsten Menschen der gesamten Wüste machen!“

      Kaum hatte Mukhtar die letzten Worte ausgesprochen, drehte sich der Wind und blies Mukhtar, im wahrsten Sinne des Wortes, vor sich her. „Warum nicht gleich so!“, freute sich Mukhtar und ergab sich dem Spiel des starken Gesellen. Und schon nach kurzer Zeit tauchte die fremdartige Skyline von Maon, der Sultanstadt, vor den Augen Mukhtars auf. Voller Kraft versuchte er nunmehr, seinen Lauf zu verlangsamen, um ihn schließlich vollends zu bremsen: „Wahrlich, das muss die Stadt des Sultans sein, von der mir der weise Ibrahim einst erzählte“, murmelte der bucklige Wandergeselle. „Mal sehen, ob ich dort mein Glück machen kann! An mir soll es nicht liegen, da ich nun weiß, wie man jene fremde Menschen, die möglicherweise als Freunde taugen, erkennt. Oh, die Stadt scheint zum Greifen nah. Gleich will ich mit der kräftigen Hilfe meines fauchenden Freundes ihre Stadttore erreichen! Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie lange es ohne meinen großen Pustefix gedauert hätte, diesen tollen Aussichtspunkt hier zu erreichen. Aber die Strapazen waren groß, oh, wie meine Füße schmerzen! Aber was soll’s! Mein Vater, der alte Schuhflicker, sagte immer: ‚Müßiggang ist aller Laster Anfang!’ Noch bevor die Sonne den Saum des Horizontes küsst, will ich eines der Stadttore erreicht haben!“

      Maon – Die Stadt des Sultans

       Bild 148057 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

      Ein Bettler in der Fremde

      Endlich erreichte Mukhtar Maon – die sagenumwobene Sultanstadt. Der Wind hatte ihn gleich nach seiner Ankunft verlassen, um in die Wüste zurückzukehren. Mukhtar stand nun vor einem der zahlreichen Stadttore und klopfte sich den Staub aus den Kleidern.„He da!“, rief einer der geharnischten Torwächter, noch ehe Mukhtar ein Wort sagen konnte. „Bleib ja draußen! Bettlerpack haben wir genug hier, die haben keinen Zutritt!“ Mukhtar schaute den unfreundlichen Wächter freundlich an und erwiderte: „Also zum ersten: Ich heiße nicht „Heda“, sondern Mukhtar. Zum zweiten bin ich kein Bettler, sondern der ehrbare Sohn eines noch ehrbareren Schuhflickers, Gott sei seiner armen Seele gnädig! Und zum dritten: Habe ich hier in der Stadt des großmächtigen Sultans eine Verabredung mit dem Glück, sozusagen einen wichtigen Termin für mein künftiges Leben! Also sei so gut und lass mich jetzt hier rein, denn“, er schaute den Soldaten sehr streng an und hob den Zeigefinger, „auch du mit deiner gesicherten Beamtenlaufbahn solltest das Glück und die Glückstermine anderer niemals herausfordern oder versuchen, sie zu verhindern!“ Der Soldat war baff. Solch eine Ansprache hatte er von so einem Dahergelaufenen nicht erwartet, und so ließ er Mukhtar, unfähig zur Widerrede, das Stadttor passieren.

      Maon empfing Mukhtar mit der alles überstrahlenden Schönheit des verschwenderischen und pompösen Sultanspalastes. Er war innerhalb der Stadtmauern nochmals von dicken und hohen Mauern umgeben und schien das gesamte Stadtbild von allen Seiten her zu bestimmen. Gleich außerhalb dieser Palastmauern, in dessen Festen sich schlanke Minarette, dickleibige Türme und besonders ein großer Rundbau befanden, schlossen sich die kleinen weißen Bauten der wohlhabenden Stadtbevölkerung wie ein weitausladender Ring um den Palast. Große Straßen durchzogen die Bauten und gingen wie Strahlen vom Palast aus. Die Grenze zu den wohlhabenden Bürgern bildete ein tiefer Graben, der wie ein Feuerschutzgraben kreisförmig einen Steinwurf entfernt die letzten Häuser der schönen Altstadt von den buckligen Katen der armen Stadtbevölkerung trennte. Weiter hinten, unweit des Sultanspalastes, entdeckten Mukhtars Augen die Silhouette eines seltsamen, hohen, in der Sonne gleißenden Gebäudes, dem ein großer weiter Platz vorgelagert war. Dorthin versuchte er seine Schritte zu lenken. Doch dieses Stadtviertel schien nicht so einfach erreichbar zu sein. Er irrte durch die Straßen und Gassen des ärmlichen Viertels, sah schreckliche Armut, hörte babylonisches Sprachgewirr und roch den Gestank der Gosse, der zu allem Überfluss auch noch mit unvermeidlichem Ungeziefer wie Fliegen und Moskitos einherging.

      Er blieb verwirrt stehen und erkannte, wie wirklich groß der abgrundtiefe Gegensatz zwischen dem goldenen Palast und den stinkenden Hütten war, nicht nur wegen des tiefen Grabens, der eigentlich leicht zu überwinden war. Doch das schien ihm noch nicht genug, und er forschte weiter, durchstreifte alle Ecken und Winkel und kam zu der ernüchternden Erkenntnis: „Bei allen Heiligen und beim Scheitan! Wie kann man nur in dieser Armut überleben, wenn man täglich diesen Reichtum, den man nie erreichen kann, vor Augen haben muss? Das ist ja so, als ob man verdurstend vor einem großen und kristallklaren See liegt und darf nicht daraus trinken!“ Er stockte: „Ach, was sollen diese absurden Gedanken? Ich habe Hunger und sonst nichts!“

      Ein schwaches Miauen riss ihn aus den Gedanken. Er blickte zu Boden und sah ein kleines, bunt getigertes Kätzchen, das schnurrend um seine Beine strich. Das Kätzchen schien ganz jung, war völlig abgemagert und machte einen struppigen und erbarmungswürdigen Eindruck. Mukhtars Mund entrang sich ein: „Oh, eine kleine Miezekatze!“ Er beugte sich herab, nahm sie auf den Arm, streichelte und liebkoste sie und flüsterte: „Na, du kleines Kätzchen, hast du auch so großen Hunger wie ich?“ Die Katze miaute kläglich, so als ob sie ihn wirklich verstanden hätte und presste sich wie zum Zeichen, dass ihr neuer Beschützer Recht hatte, schutzbedürftig gegen seine Hand. Dabei zitterten ihre schlohweißen und langen Barthaare und ihre antennenartigen Tasthaare über den grünen Augen und signalisierten Angst und Ergebenheit zugleich. Dann begann sie, ihre scharfen Krallen auszufahren und mit ihren kleinen, aber spitzen Zähnen verspielt an Mukhtars Finger zu knabbern. Mukhtar lachte verstehend und rief mit gespielter Besorgnis: „Mich kannst du aber nicht fressen! Ich bin ungenießbar! Schau, Miezchen! Leider habe ich weder etwas zu fressen noch etwas zu saufen für dich! Das einzige, was ich dir schenken kann, ist ein Name! Der ist zwar auch nichts zum Fressen, aber immerhin!“ Er machte eine kurze Pause und erklärte: „Ich werde dich Amina nennen! Was hältst du davon?“ Die Katze