Andreas Nass

Erwachen


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danke dir, Saphira.«

      »Bitte.« Die Hohepriesterin sah mich nachdenklich an. »Woher hast du die Flöte überhaupt?«

      »Ich habe sie heute Morgen gefunden.«

      »Und wo?«

      »In Luzius Garten.«

      »Hast du denn Luzius nicht gefragt?«

      »Er war noch nicht so früh wach«, behauptete ich. »Eine Melodie hat mich geweckt, die sich so anhörte, als würde sie von der Flöte stammen. Die Melodie endete, als ich die Flöte sah.«

      »Sie wollte offenbar, dass du sie findest, Crish. Hat sonst noch jemand die Melodie gehört?«

      »Soweit ich sehen konnte, hat ansonsten niemand darauf reagiert.«

      »Damit ist der Fund genauso ungewöhnlich wie die Beschaffenheit der Flöte selbst. Wenn du mehr über sie herausfinden willst, solltest du nicht jeden dahergelaufenen Barden fragen. Du solltest dich an den Meister der Zunft wenden. Das würde ich tun.« Sie nahm das Samtkissen auf und präsentierte mir die Querflöte. »Machtvolle Gegenstände wechseln oft den Besitzer. Du solltest vorsichtig sein, denn ich vermute, dass der Fund nicht zufällig geschah. Du darfst niemandem trauen. Und auch was die Flöte dir sagt, solltest du nur mit Vorbehalt genießen.«

      »Barden reden viel – ist es denn klug, wenn ich sie aufsuche?« Ich nahm die Querflöte an mich.

      »Fürwahr, Barden sind Meister der Zunge«, Saphira zwinkerte mir zu, »und das nicht nur im Erzählen. Besonders der Meister der Zunft selbst rühmt sich seiner Kunstfertigkeit. Aber ich kenne sonst keinen anderen, den du fragen könntest. Ich werde selbstverständlich mit niemanden über deinen Fund sprechen. Wie denn auch? Ich ersticke beinahe in Arbeit …«

      »Dann will ich dich nicht weiter stören.«

      Ich trat an Saphira heran, griff mit der freien Hand an ihren Hinterkopf und zog sie in einen leidenschaftlichen Abschiedskuss. Das Samtkissen plumpste auf den Boden. Nach einem Dutzend Zungenschlägen löste ich mich von ihr. Einige Strähnen hatten sich aus dem strengen Haarknoten gelöst und ihre Unterlippe zitterte. Zu meiner eigenen Verwunderung drängte mich eine innere Kraft hinaus aus dem Labor und zurück zum Anwesen meines Bruders.

      Von dort schickte ich dem Meister der Bardenzunft einen Boten, der meine Audienz ankündigte.

      In dem wieder hergerichteten Wohnzimmer nahm ich das Frühstück ein. Meine beiden Sklavinnen bedienten mich. Sie reichten mir Trauben und gossen frisch gepresste Säfte in Kristallgläser.

      Nachdem ich gestärkt war wechselte ich in das Frisierzimmer. Ich wählte für den Besuch beim Zunftmeister ein ausgesprochen kurvenbetontes, seitlich geschlitztes Kleid aus roter Seide, durchwirkt mit Ornamenten aus Silberfäden. Dazu passten die farblich abgestimmten magischen Handschuhe und ein Paar hochhackiger Schuhe aus rot gebeiztem Leder. Der Schmuck musste dezent sein, daher beschränkte ich mich auf ein Paar Ohrringe aus einer Reihe dunkler, kristallener Tropfen.

      Selbstverständlich brauchte ich auch eine neue Frisur.

      Der Bote kehrte zurück, verneigte sich und berichtete: »Königliche Hoheit, Zunftmeister Tymolo wird Euch erwarten.«

      Ich entließ den Boten mit einer knappen Handbewegung und wartete, bis die beiden jungen Frauen meine Haare zu einem offenen Zopf hochgesteckt und mit langen Nadeln aus Elfenknochen befestigt hatten. Einzelne Strähnen fielen lockig über meine Schläfen hinab.

      Zufrieden erhob ich mich, glättete einzelne Kleiderfalten und betrachtete mich im Standspiegel. Der kurze Psalm zur Anrufung abgründiger Kräfte ging mir leicht von den Lippen und umgab mein Äußeres mit einer mystischen, anziehenden Aura. Ich nahm noch einen kunstvollen, hauchdünnen Papierfächer auf, der mir als Zierde diente, und machte mich auf den Weg zur Bardenzunft.

      Auf den Straßen herrschte bereits ein geschäftiges Treiben. Ich genoss das Bad in der Menge und ließ mich bewundern. Die Einwohner achteten und grüßten mich. Ich verzichtete bewusst auf eine Garde – der Übergriff auf einen Angehörigen des Königshauses käme einem Selbstmord gleich. Niemand gab einem Dämon auch noch einen Grund für Folter.

      Gleichwohl kam in mir der Wunsch nach einer eigenen Sänfte auf, mit vier knackigen Trägern, die mir nicht nur für die Rundgänge zur Verfügung standen. Beizeiten, dachte ich, würde ich mich mit Luzius darüber unterhalten.

      Dann hatte ich die Zunft erreicht und bewunderte die unverkennbare, prunkvoll gestaltete Fassade. Die aufwändigen Verzierungen aus Marmor wurden von Statuen durchbrochen, deren Oberkörper aus dem Stein heraus ragten. Die Geschöpfe hielten unterschiedliche Musikinstrumente in den Händen. Um das Gebäude zogen sich lange Notenreihen und Bänder mit Texten oder Melodien. Selbst ich als Laie der Bildhauerkunst erkannte die handwerkliche Vollendung in den Ziselierungen.

      In der nicht minder prächtigen Vorhalle lächelte mich ein junger, gutaussehender Mann an, der mich formvollendet höflich begrüßte.

      »Könnt Ihr mich zu Zunftmeister Tymolo führen?«, bat ich und musste nicht in den Gedanken meines Gegenübers forschen, wohin dieser mich gerne geführt hätte. Der Jüngling war eine wahrhaftige Versuchung.

      »Ich muss Eure Bitte leider ablehnen, aber ich werde jemanden rufen, der Euch führt.« Mit seinem Stab klopfte der Concierge auf den Boden, was einen glockengleichen Ton erzeugte. Ein anderer Mann in der Zunfttracht kam mir entgegen und verbeugte sich.

      »Guten Morgen Prinzessin. Ich bringe Euch zum Zunftmeister. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet.«

      »Gern.«

      Wir gingen in das Innere des Gebäudes und ich passierte zahlreiche Räumlichkeiten, in denen Musik geübt wurde. Irgendwo rief ein aufgebrachter Lehrer: »Dilettanten und Stümper!« Über den lebhaften Trubel hinweg unterhielt ich mich mit meinem Führer, sein Name war Fearghus, der mir die Örtlichkeiten erklärte.

      Edle Teppiche bedeckten den Boden und dämpften unsere Schritte. Der Weg führte hinauf in die obersten Geschosse. Auf dem letzten Abschnitt der Treppe kam mir ein Mann entgegen, den ich auf den zweiten Blick wiedererkennen würde. Bis auf sein Gesicht umhüllte schwarzes Leder seinen Körper. Rote Nähte und silberne Knöpfe sowie ein modischer Schnitt bezeugten seinen exquisiten Geschmack. Mir fiel die über seinen Rücken hängende schwarze Laute mit blutroten Saiten auf. Er nickte mir freundlich zu und ich lächelte zurück, dann hatten wir einander defiliert.

      »Der Zunftmeister hatte einen Gast?«, befragte ich meinen Führer.

      »Ja, das war Schattenlaute. Den kennt hier jeder.«

      Meine eigene Vermutung wurde bestätigt. Hatte ich bislang nur von ihm gehört, konnte ich den Erzählungen nun auch ein Bild zuordnen.

      »Ich hatte noch nicht persönlich das Vergnügen.«

      »Schattenlaute ist der mächtigste und begabteste Barde, den es auf der Welt gibt, Eure königliche Hoheit.« Fearghus sprach mit Bewunderung und geleitete mich in eine Diele. »Wir sind da.«

      Zwei formvollendete Statuen, ein stehender Harfenspieler und ein sitzender Trommler, umsäumten eine dunkle Holztür mit dem Symbol der Zunft: eine Laute gekreuzt mit einer Flöte und umrahmt von einem Tamburin. Der Holzschnitzer hatte eine Melodie in den Rand des Tamburins geritzt.

      Neben dem Zugang verlief eine gespannte Saite. Mein Begleiter zupfte sie und erzeugte einen durchdringenden Ton. Kurz darauf hörte ich das Echo aus dem Raum vor uns.

      »Ihr dürft eintreten, Prinzessin.«

      »Habt dank, Fearghus.« Er verneigte sich und ich durchschritt das sich langsam öffnende Portal.

      Großzügige Fenster fluteten das Empfangszimmer mit dem goldenen Licht der Morgensonne und boten, oberhalb der Stadt gelegen, einen guten Blick auf die Umgebung.

      Auf dem glatten Marmorboden lagen Teppiche aus. Fresken mit Darstellungen von Tanz und Gesang erstreckten sich über Wände und Decken. Eine kleine Auswahl an Musikinstrumenten stand oder hing im Raum verteilt.

      Der