Andreas Nass

Erwachen


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– der Gemahl der Nymphenkönigin.«

      »Warum hat er den Gegenstand nicht mitgenommen, als er die Feenwälder verließ?«

      »Man sagt, er habe ihn fortgeworfen. Ein Grund wird nicht genannt. Aber dem Instrument werden große visionäre Fähigkeiten nachgesagt. Es soll in Verbindung mit der Nacht stehen.«

      »Ich habe sie zu Fuße einer Statue des Tashna’kam gefunden.«

      »Und wer hat sie abgelegt?«

      »Der Erschaffer«, schlussfolgerte ich überzeugt.

      »Dann sind die Geschichten doch nicht ganz wahr.«

      »War Tashna’kam denn der Erschaffer?«

      »Ja.«

      »So wie es für mich aussieht wollte Tashna’kam, dass ich die Flöte finde.«

      »Das mag sein. Diese Beweggründe kann ich selbstverständlich nicht abschätzen.«

      »Kannst du mir beibringen, die Flöte zu spielen? Ich meine, so zu spielen, dass ich die ihr innewohnenden Fähigkeiten freisetze?«

      »Nein. Die Fähigkeiten vermag ich nur freizusetzen, wenn ich die Flöte selbst spiele. Zauberhafte Musik ist die Kunst der Barden. Deine Fähigkeiten sind da eher mittelmäßig.« Nicht nur seine Worte waren für mich beleidigend, auch wie er sie sprach. Hochnäsiger Schnösel, dachte ich bei mir, verkniff mir aber eine Bemerkung. Die Neugier über die Querflöte war größer als mein Zorn.

      »Auch ohne Bardenkunst kann doch ein Träger Visionen haben, oder nicht?«

      »Das ist durchaus möglich. Dafür müsste der Träger, also du, sie ab und an spielen. Aber du erzeugst eher durch Zufall eine Vision. Seit diesen Tagen in den Feenwäldern ist auch viel Zeit ins Land gegangen. Viele Jahrtausende sind vergangen und im Abyss ist vieles im Wandel. Die ehemalige Herrin ist nicht mehr, aber das weißt du sicherlich. Welches Ränkespiel dahintersteckt, vermag ich nicht zu bewerten.«

      »Jedenfalls muss es einen wichtigen Grund für das Verlassen der Nymphenkönigin gegeben haben.«

      »Er wurde von der Dona’Donai verführt.«

      »Aber sie ist nicht mehr. Warum kehrte er nicht zurück?«

      »Ich weiß nicht«, er zuckte mit den Schultern und schürzte seine Lippen. »Ich war zu jener Zeit sehr jung«, ich horchte auf, denn damit bekannte sich Schattenlaute zu seinem wahren Alter, das demzufolge Jahrtausende umfasste. Ich gab ihm keinen Hinweis auf meine Erkenntnis und hörte ihm aufmerksam zu. »Die Welt ist bereit für einen Wandel. Er hat bereits begonnen, doch die Ereignisse befinden sich im Fluss und ihr Ziel bleibt sicher noch für Jahre ungewiss.«

      »Genau der richtige Anlass für Visionen. Ich schlage vor, du spielst die Flöte.«

      »Die Flöte? Nein, ich werde meine Laute für dich spielen«, sagte Schattenlaute und löste sein Instrument vom Rücken. Dann stimmte er ein Lied an.

       Tosend stürmt der Donnerhall

       blutgetränkt strahlt das Abendrot

       die Trommel schlägt mit lautem Knall

       des Feuers Rauch entströmt dem Schlot.

       Kehlen grölen laute Lieder

       Im Rausch die Leiber eng umschlungen

       Lusthauch schallt von Wänden wider

       das sündig Fleisch tief eingedrungen.

       Im Dunkeln ruft der Fürst zur Balz

       leckt seiner Liebsten ab das Salz.

       Das Fackellicht verzerrt die Schatten

       wirft Fratzen auf verschwitzte Haut

       wird Licht durch Dunkelheit verraten

       ertönt orgastisch heißer Laut.

       Siehe, die Dunkelheit tritt ins Licht

       zeigt sich stolz und königlich

       fühle, die Macht wie sie zerbricht

       durch letzten tödlichen Stich.

       Im Dunkeln ruft der Fürst zur Balz

       leckt seiner Liebsten ab das Salz.

       Schatten dringt in fleischig Leib

       begattet so sein göttlich Weib

       löst das Band von ihrem Hals

       leckt seiner Liebsten ab das Salz.

       Im Dunkeln ruft der Fürst zur Balz

       leckt seiner Liebsten ab das Salz.

      Als ich – von der Melodie gefangen – wieder aufblickte, war ich allein. Nachdenklich drehte ich die Flöte in meinen Händen. Ich musste ihr Geheimnis entlocken. Ich musste sie so spielen, wie Schattenlaute es vermochte. Und der unbekannte Flötist.

      Ich holte mir das Bild vor Augen, wie mein Gast dem Instrument einen einzelnen Ton entlockte. Geradezu zärtlich führte ich das Mundstück an meine Lippen. Meine Finger legten sich sanft über Öffnungen, ließen einige unberührt, und ich sammelte meinen Atem. Die Luft entwich meinen Lungen, verließ meine Kehle und strömte durch den schlanken Klangkörper.

      Ein Ton, klar und ohne Fehl.

      Weitere Töne folgten, bildeten eine Melodie. Ich spielte mich in den Zauber hinein. Kleine Ranken lösten sich, noch zart und zerbrechlich, aber willens, aus dem Holz hinauszuwachsen.

      Die Freude über den Erfolg brach meine Konzentration und die Schattengebilde verschwanden augenblicklich. Erschrocken setzte ich das Spiel fort, doch die Reinheit war dahin. Keine noch so kleine Ranke zeigte sich. Meine Kehle war trocken, mein Atem rau. Ich gönnte mir eine Pause und trank den Wein aus.

      Auf den Gängen hörte ich schwere Schritte. Zwei Wächter des Palastes traten ein und postierten sich beiderseits der Türe. Sie setzten ihre Breitschwerter mit der Spitze auf den Boden und nahmen Haltung an.

      »Was soll dieser Tumult? Was geht hier vor?«, verlangte ich schroff.

      »Die Wachen wurden verstärkt, Eure königliche Hoheit«, berichtete ein Wächter. »Ich habe keine weitere Weisung erhalten und möchte keine falsche Aussage treffen.«

      »Muss ich mich auf einen Angriff vorbereiten?«

      »Wir sind zu Eurem Schutz abgeordnet, Prinzessin Crish.«

      Ich zweifelte nicht an der Kampfkraft der Wächter, wusste mich jedoch selbst gut zu verteidigen. Wenn Luzius, und nur von ihm konnten die Weisungen stammen, zusätzlichen Schutz für nötig befand, musste etwas Bedenkliches vorgefallen sein. Mit telepathischer Kraft sandte ich ihm meine besorgte Frage: ›Was ist passiert?‹

      ›Ein Mord hat sich ereignet, Crish. In meinem Anwesen und an jemanden, den du kennst – die Sternendeuterin.‹

      ›Die Sterndeuterin?‹, wiederholte ich überrascht. ›Wann hat sich der Mord zugetragen?‹

      ›Den genauen Zeitpunkt kenne ich nicht. Noch nicht. Aber als ich aufgewacht bin, lag sie tot neben mir.‹

      ›Gab es Anzeichen von Gewaltanwendung?‹

      ›Sie ist erstochen worden. Offenbar während ich schlief. Aber etwas anderes beunruhigt mich: Ihre Seele gehört mir, aber sie ist nicht da.‹

      ›Dann tippe ich auf die Benutzung eines Seelenräubers. Ein Seelengefäß, eingebunden in die Mordwaffe?‹

      ›Ja, vermutlich. Auf