Eike Ruckenbrod

Franzi und die Ponys - Band V


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das unter der Sandoberfläche lebt, oder wie die Taschenmaus. Die gräbt sich so tief ein, bis der Sand kühler wird. Und wenn die das können, kann ich es schon lange. Mit zittrigen Fingern fing sie an, eine Mulde auszugraben. Als diese ihrer Körpergröße entsprach, legte sie sich hinein und schaufelte den Sand über sich. Irgendwann lugten nur noch ihr Gesicht und die Arme heraus. Das Gesicht deckte sie mit ihrer Bluse zu. Auf deren Ränder häufte sie Sand, damit sie nicht wegflog. Dann grub sie ihre Arme in den Sand und schlief vollkommen ermattet ein.

      Als der Glutball endlich untergegangen und es empfindlich kühl geworden war, erwachte das Mädchen aus seinem Dämmerschlaf. Franzi nahm die Bluse vom Gesicht und blickte sich angestrengt um. Aber sie konnte absolut nichts erkennen. Angst breitete sich augenblicklich wieder in ihrem schwachen Körper aus. Zitternd angelte sie nach der Bluse und zog sie an. Sie blickte zum Himmel. Über ihr glitzerte die helle, sternenübersäte Pracht des Wüstenhimmels. Sie wagte sich nicht zu bewegen, aus Angst auf einen Skorpion oder eine Schlange zu treten. Lauschend hockte sie in der Dunkelheit. Absolute Stille umgab sie. Ihr Herz raste vor Angst.

       Mein Gott, was mach ich jetzt nur? Ich kann doch nicht die ganze Nacht wie eine Statue dasitzen und Löcher in die Dunkelheit starren. Wo ist nur mein treues Pony geblieben?

      Nach einer Weile fasste sie ihren ganzen Mut zusammen, krabbelte aus der Mulde und robbte wieder die Düne hinauf. Sie schluckte hart. Dick und träge ruhte ihre Zunge im trockenen Mund. Langsam, da der lockere Sand ihre Knie tief einsinken ließ, kam sie der Spitze näher. Endlich hatte sie diese erreicht und schaute hoffnungsvoll nach unten. Aber was hatte sie dort eigentlich erwartet? Ein Feuer, ein Lebenszeichen, das Pony oder ein herrenloses Kamel, das nur darauf wartete, von ihr geritten zu werden? Davon ganz abgesehen, dass sie noch nie auf einem Kamel gesessen war. Aber ihre brennenden Augen erblickten nichts als undurchdringliche Finsternis. Von einem Augenblick zum andern überkam sie heftiger Schwindel. Ihr Körper krümmte sich zusammen und rollte erschlafft die Düne wieder hinunter.

      Zwei Dinge nahm Franzi wahr, als sie nach Stunden zu sich kam: Sie war nicht allein und etwas Feuchtes tropfte auf ihre Lippen. Erschrocken setzte sie sich auf. Es war schon so hell, dass sie ihre Umgebung wahrnehmen konnte. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, denn ein Kamel stand direkt neben ihr. Aus dessen Korb tropfte kostbares Wasser direkt auf ihre Lippen. Genüsslich leckte sie mit der Zunge darüber.

      „Oh mein Gott, es ist himmlisch. Wasser, wie gut.“ Dankbar schloss sie die Augen, öffnete den Mund und ließ das Wasser hinein tropfen. Mit der Flüssigkeit kehrte auch Leben in ihren Körper zurück und das Gehirn fing an zu arbeiten:

       Wieso steht ein Kamel direkt neben mir? Und warum tropft Wasser genau in meinen Mund? Da stimmt doch was nicht!

      Franzi riss die Augen auf und blickte sich aufmerksam um: Sie befand sich in einem Hügeltal. Rings herum ein rotgelbes Sandmeer, so weit das Auge reichte. Meterhoch getürmt zu endlos erscheinenden Dünen. Plötzlich veränderte sich das Bild, denn ein Ponykopf erschien hinter einem der Hügel. Das Mädchen erstarrte, das war doch Svartur! Franzi stand ungläubig auf und wankte auf das Tier zu. Aber sie hatte ihre Kraft überschätzt und fiel auf die Knie. Sand wirbelte auf. Ein kurzes schmerzhaftes Zucken lief über ihr Gesicht. Sie bettete ihren dröhnenden Kopf in den Händen und wartete, bis sich die Sterne vor den Augen verflüchtigt hatten. Dann blickte sie wieder in die Richtung, aus der das Reittier kam. Der Rappe galoppierte auf seine Besitzerin zu. Aber er war nicht allein, stellte das Mädchen entsetzt fest, denn auf seinem Rücken saß eine in weiße Gewänder gehüllte Person. Franzi stand umständlich auf, drehte sich um und versuchte zu fliehen. Ein paar Schritte torkelte sie voran, und fiel dann kopfüber hin. Feiner Sand drang augenblicklich tief in Nasenlöcher und Mund ein. Sie ignorierte es und blieb regungslos liegen.

      Er hat mir Wasser gegeben, vielleicht will er mich gar nicht töten, versuchte sie sich gerade zu beruhigen, da ihr Herz zu zerspringen drohte, so wild pochte es, als sie eine sympathische männliche Stimme vernahm:

      „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin Jamil, ein Beduine. Ich tue dir nichts.“ Franzi hob den Kopf, setzte sich langsam auf und wandte das Gesicht dem Sprecher zu. Der Sand, der an ihren Wangen heftet, rieselte auf ihre Kleidung. Die Stimme kam ihr unheimlich bekannt vor.

      „Und wer bist du?“, fragte der Reiter. Während Franzi nachdachte, rieb sie mit dem Arm den restlichen Sand vom Gesicht.

       Warum verstehe ich seine Sprache überhaupt? Na ja, egal. Was kann es schaden, wenn ich ihm meinen Namen nenne? Er scheint friedlich zu sein, sonst hätte er mir nicht zu trinken gegeben. Aber „Franzi“ passt nicht in diese Gegend, ich nenne mich einfach „Zahra“, wie das Mädchen aus der arabischen Geschichte, die ich letztens gelesen habe.

      „Zahra“, antwortete sie so selbstverständlich, als würde sie sich jeden Tag einen neuen Namen geben. „Und vielen Dank für das Wasser, das hat mir das Leben gerettet.“ Dankbar blickte sie in schwarzbraune Augen, umrahmt von langen Wimpern. Das Weiß stach hell in seinem dunklen Gesicht hervor. Er schien noch jung zu sein. Sie wünschte sich, er würde die Tücher ablegen, damit sie sein ganzes Gesicht sehen konnte und nicht nur einen Streifen. Ihre innere Stimme ermahnte sie:

      „Hast du jetzt keine anderen Probleme, als dir zu wünschen, dass er sein Tuch abnimmt? Vor ein paar Minuten wärst du fast verdurstet ...“

      „Der Name passt zu dir“, meinte Jamil, wandte sich ab und machte sich an dem Kamel zu schaffen. Franzi wunderte sich noch mehr: Auch er schien sie ohne Probleme zu verstehen. Er schnallte den Korb ab und stellte ihn neben die Weiße. Das Trampeltier hatte einen Ring durch das Maul, an dem ein Seil befestigt war. Dieses war in den Sand gepflockt. Jamil kramte im Korb. Kurz darauf hielt er einen Krug und Fladenbrot in den Händen.

      „Lass uns etwas essen!“ Franzi starrte auf den Krug und schluckte hart. Jamil füllte ein wenig Wasser in eine handtellergroße Holzschale, brach ein Stück Brot ab und hielt ihr beides hin. Sie griff gierig zu. Als sie die Schale an ihre aufgesprungenen Lippen setzte, warnte der Fremde:

      „Trink langsam!“ Sie nickte gehorsam und nippte an dem kostbaren Nass, obwohl sie es am liebsten mit einem herzhaften Schluck in sich gekippt hätte. Mit kleinen Bissen knabberte sie am Brot und beobachtete den Fremden dabei. Er schien zu zart für einen erwachsenen Mann und diese Stimme, die erschien ihr auch recht jung. Krampfhaft überlegte sie, woher sie diese kannte.

      „Was ist gestern geschehen?“, fragte sie, nachdem sich ihr Retter niedergelassen hatte. „Die Karawane ist überfallen worden.“

      „Ja, das habe ich gesehen. Warst du bei ihnen?“

      „Nicht direkt.“

      „Nicht direkt? So direkt wie ich?“, bohrte sie weiter.

      „Ja, eher so wie du“, antwortete er und blickte in ihr hübsches Gesicht. Franzi war es unangenehm. Sie senkte den Blick. „Hast du mich beobachtet?“

      Er nickte. Franzi wunderte sich über diesen Jungen. Er schien nicht gerade redefreudig zu sein. Sie biss von ihrem Brot ab und nahm kurz darauf einen kleinen Schluck Wasser. Langsam kehrte ihre Kraft zurück.

      „Ist das dein Kamel?“, bekundete sie mit vollem Mund ihr Interesse.

      „Ja, das ist Lahthan“, antwortete er stolz. Seine Augen verengten sich. Franzi vermutete, dass er lächelte. Sie deutete auf ihr Pony.

      „Und das ist Sv ... Merlin“, korrigierte sie sich schnell. „Mein Merlin. Danke, dass du ihn eingefangen hast. Ich war schon todunglücklich.“

      „Was bedeutet sein Name?“

      „Merlin war ein großer Zauberer“, erklärte sie.

      Der Junge nickte. „Lahthan bedeutet durstig.“ Franzi lächelte.

      „Kann dein Pony zaubern?“, fragte er. Franzi hatte das Gefühl, dass er sie nicht ernst nahm. Sie konnte sich schon denken, dass Svartur gegen einen rassigen Araber keine Chance hatte.

      „Tja, er ist kein Araber, aber eine treue Seele. Er passt immer auf mich auf.“ Liebevoll blickte sie zu dem struppigen Isländer.