Gedanken an meine eigene Sterblichkeit vertreiben, und ich glaubte dies erreichen zu können, wenn ich meinen Schwanz tief in die Körper irgendwelcher Frauen treiben würde.
Ich wohnte jetzt bei Bridget; nachdem Flora mich wegen Pless angerufen hatte, wollte ich nicht mehr länger in dem Haus in der Turmstrasse bleiben. Ich sprach mir Adrian, dem Kerl, der durch die Wände hören konnte. Er suchte nach einer günstigen Wohnung, und ich sagte ihm, dass er meine gerne haben könnte. Ich traf ihn dann bei Max, um ihm die Schlüssel zu geben.
„Ich hole die Möbel und den anderen Mist, sobald ich eine neue Wohnung gefunden habe.“
„Möchtest du denn wirklich ausziehen?“, fragte er noch einmal. „Das ist doch ein fantastischer Platz. Du solltest dich nicht von Pless vertreiben lassen. Du hast doch mit seinem Tod nichts zu tun.“
„Ich weiß, aber die Zeit, in der ich da wohnte, ist nun vorbei. Ich sollte jetzt woanders hinziehen, etwas Neues beginnen, neue Leute und so. Ich werde jetzt auf die andere Donauseite ziehen.“
Adrian versprach mir, noch die Post zu sammeln, bis ich über eine neue Adresse verfügen würde. Dann ging er weg.
Eine Frau mit ihrer Tochter betrat das Lokal, sie setzten sich in meine Nähe. Es waren offensichtlich Touristen, sie waren wie solche gekleidet. Sie tuschelten heftig miteinander, wobei sie sich dauernd umsahen. Die Tochter sah aus wie ein typisches Hochschul-Mädchen. Die Mutter war ungefähr sechsunddreißig, trug Ohrenringe mit Perlen besetzt und ein Kleid. Sie vertieften sich in die Speisekarte, starrten dann auf den engen Rock der Bedienung und steckten anschließend geheimnisvoll die Köpfe zusammen und wisperten irgendetwas, das die Tochter zum Kichern veranlasste.
In der Nische hinter ihnen saßen drei feminin aussehende Homosexuelle und lachten über die beiden Touristinnen.
An der Bar hockten schließlich vier Angestellte einer Bank, die sich über die drei Homos belustigten. Nur die Bedienung hatte keinen Spaß, denn sie musste doppelt so viel arbeiten als sonst, da ihre Kollegin fehlte, die zu Hause gerade mit einem Handwerker fickte.
Mir war ebenfalls nicht zum Lachen zumute. Ich wollte ficken und Bridget war nicht da. Es war Herbst und wurde ziemlich kalt und eine Reihe von Leuten, die ich kannte, lagen mit Erkältungen im Bett.
Am nächsten Abend traf ich Nestor Hackledt mit seinem Flötenkasten unter dem Arm und einem resignierten Lächeln im Gesicht.
„Es stimmt, Carson hat mich sitzen lassen. Er spielt nicht mehr, sondern arbeitet in Zukunft für Lukas Oppenhaim. Er muss verrückt geworden sein.“
Bridget kam gegen Ende der Woche wieder zurück und wir gingen auf Immobiliensuche. Schließlich fanden wir eine hübsche Wohnung in Floridsdorf. Es waren fünf Zimmer, groß genug um jedem von uns noch eine eigene Privatsphäre zu garantieren.
An einem Sonntag zogen wir dann ein. Vorher fuhren wir mit einem gemieteten Lastwagen in die Turmstrasse. Adrian war nicht zu Hause. Wir holten uns alles an Möbeln, was wir gerade brauchten und hinterließen ihm eine Notiz, damit er nicht glauben musste, er sei etwa ausgeraubt worden.
Pleite, aber geil.
Weihnachten ging vorüber, ebenso der Januar und der Februar.
Meine Arbeitslosenunterstützung wurde eingestellt, und ich dealte mit Flora zusammen etwas Gras, um mit dem Geld bis Frühjahr über die Runden zu kommen.
Mit Gras zu handeln ist eine böse Angelegenheit. Handeln überhaupt ist schon zum Kotzen - aber Gras ist illegal, und man landet schnell im Knast. Trägt man mehr als ein Pfund Stoff mit sich herum, klingt jeder Schritt verdächtig, unheimlich, beängstigend. Man zieht sich von seinen Freunden zurück: ein Denunziant? ein Spitzel? - die meisten werden durch ihr unsicheres Verhalten erwischt.
Es ist zum Beispiel verrückt, in einem Auto Gras zu transportieren, es sei denn, man hat es so gut versteckt, dass man selbst eine Stunde benötigt, um es wiederzufinden. Noch unsinniger ist es, einem Bullen, egal aus welchen Gründen, den Zutritt in die Wohnung zu gestatten, solange er keinen Durchsuchungsbefehl oder eine Axt besitzt, mit der er die Tür zertrümmern kann. Befindet sich ein Bulle erst einmal im Zimmer, dann kann er schnüffeln, wo immer er will - oder er schiebt einem einfach ein paar Gramm von dem Zeug unter. Es bleibt dann nur noch der Versuch, den Richter zu überzeugen, dass es die Polizei war, die den Stoff im Küchenschrank versteckt hat. Der sicherste Weg: nicht dealen!
Im März rauchte ich sehr viel und brachte fast nichts zu Papier; dagegen erfuhr ich sehr viel über meine eigene Person, lernte dem Straßenlärm zuzuhören und der Musik.
Letzteres begann, nachdem ich Nestor Hackledt in der Cascade Bar des Vienna Marriott Hotel getroffen hatte. Nestor war ein älterer farbiger Musiker. Er spielte die Flöte und leitete ein Quartett, das in einem der zahlreichen Jazz-Clubs in der Stadt auftrat. Er war einer derjenigen gewesen, der mir über Lukas Oppenhaims heimtückische Verträge erzählt hatte.
Ich traf mich mit Nestor ein- oder zweimal in der Woche in einer Bar, wo wir zumeist tranken und die Serviermädchen in ihren knappen herausfordernden Uniformen beobachteten. Sie tänzelten zwischen den Tischen hin und her, in der Hand ein Tablett, und ihre Brüste, Ärsche, Mösen schienen das mystische Eigentum eines Phantoms zu sein.
Eines Abends saß ich wieder in der Bar und beobachtete von meinem Platz aus in der Nähe des Fensters, wie der Regen gegen die Scheiben trommelte. Die Woche eines verhangenen finsteren Himmels und der durchweichten Schuhe. Ich war schon etwas angetrunken und lauschte den Erzählungen Nestors, der in die Zeit des Beginns seiner Musikerlaufbahn zurückschweifte, in das Jahr 1982:
„Ich hatte keinen Cent – damals waren es noch Schilling -, war so richtig fertig und bezahlte nichts als Schulden. An öffentliche Auftritte war nicht zu denken, weil ich um mein Instrument fürchten musste.“
Nestors Gesicht war von zahlreichen Falten und Fältchen zerfurcht, vergleichbar mit einem zerknitterten Umhang. Sein Haar hatte sich mit zunehmendem Alter gebleicht. Er wandte sein grinsendes Gesicht mir zu, seine Zähne leuchteten wie Phosphor in dem Licht der Bar, und er schlug mir freundschaftlich auf die Schulter.
„Damals hatte das Geld nie gestimmt wir verdienten viel weniger als die jungen Burschen heute. Ich spielte in einer Band, in der viele nur eine Nacht oder so auftraten, sie kamen und gingen. Wir wollten damals unbedingt nach London, Hamburg oder Paris.“
Ich sah im Spiegel hinter der Bar, wie Nestor bedächtig seinen Kopf wiegte. Daneben mein Gesicht, fratzenhaft verzerrt durch das reflektierende Licht der verschiedenfarbigen Flaschen über der Theke. Der Spiegel musste etwas verbogen sein, denn mein Gesicht zog sich gewaltig in die Länge. Mein Spiegelbild trug einen Farmerhut aus Stroh, aber ich konnte ihn auf meinem wirklichen Kopf nicht spüren, und ich fürchtete mich mit meiner Hand nach oben zu greifen, um es zu überprüfen, denn was würde ich tun, wenn der Hut am Ende gar nicht existierte? Ich bemerkte, dass ich wohl betrunkener war als ich ursprünglich angenommen hatte.
Nestor nickte voller Erinnerung. „He, He“, lachte er in sich hinein und schlug mit seiner schweren Hand vertraulich auf meinen Arm.
In der folgenden Woche war ich bei Nestor. Er bewohnte eine Altbauwohnung im 5ten Bezirk. Ich rauchte etwas Hasch oder Gras und lümmelte mich auf dem Boden, während er mir von seinen Bekanntschaften erzählte und von Leuten, die er lieber nicht kennenlernen wollte.
Dann und wann kamen einige Mitglieder seiner Band vorbei. Einer von ihnen, Carson Fielding, ein Pianist, erzählte mir, dass zwischen Nina Pless und Lukas Oppenhaim irgendetwas stattfand. Carson sagte, dass sie die verrücktesten Dinge machen würden; Nina sei jede Nacht in Lukas Haus.
„Da laufen auch noch andere Dinge“, lachte er und schlug sich dabei mit der flachen Hand auf die Knie. Armer Pless, dachte ich mir.
Carson war ein ziemlich verrückter Typ, groß und stark wie ein Schwergewichtsboxer, mit einer ebenholzschwarzen Haut.
In der Nacht, als er mich einlud, mit zu Oppenhaim zu gehen und gemeinsam anzusehen, was sich dort ereignete, trug er einen grauen Tweedmantel und elegante Hosen. Auf seinem Kopf saß ein dunkelgrauer