Caroline Bloom

Confiteor Deo


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Danke, dass ich Sie kennen lernen durfte

      Prolog

      Notaufnahme Diakonissenkrankenhaus 15:40 Uhr

      »Wir bekommen einen Notfall herein. Eine junge Frau mit schwerer Rauchvergiftung.« Schwester Anja sah auf, als Dr. Bender die Notaufnahme betrat, nachdem sie ihn über den Piepser verständigt hatte. Sie kam, wie üblich, ohne Umschweife zur Sache. Sie hatte oft Dienst in der Notaufnahme und wusste, dass es dort auf jede Sekunde ankam. In diesem Moment schwang auch schon die Tür auf und zwei Sanitäter kamen herein. Sie schoben eine Trage vor sich her, auf der eine junge Frau lag. Der Arzt warf einen kurzen Blick in ihr bleiches Gesicht, dann räusperte er sich und fragte in geschäftsmäßigen Ton: »Was haben wir hier?« »Eine junge Frau, Ende zwanzig, Zustand nach schwerer Rauchvergiftung. Sie hatte einen massiven Kreislaufzusammenbruch. Wir mussten sie wiederbeleben. Der Notarzt hat sie noch vor Ort intubiert. Sie ist immer noch nicht ansprechbar. Außerdem hat sie eine Schnittwunde in der Handfläche der rechten Hand. Sieht aus, als müsste die genäht werden.« »Sofort in den Schockraum mit ihr.« befahl Dr. Bender, nahm die Papiere von den Sanitätern entgegen und folgte dann der Trage der Patientin. »Was da wohl passiert ist?« mutmaßte Schwester Anja und sah den Arzt aus ihren braunen Augen mitleidsvoll an. Sie war gerade dabei, die Patientin an die Überwachung zu hängen. Dr. Bender schätzte die junge Schwester, die sich nicht nur hervorragend um das körperliche Wohl ihrer Patienten sorgte, sondern auch um das seelische. Sie gehörte damit zu den wenigen Schwestern, die erkannt hatten, dass körperliches Wohl allein oft nur die halbe Miete war. Auch die junge Schwester arbeitete gern mit Dr. Bender zusammen, der es immer schaffte, Ruhe in die Notaufnahme zu bringen, egal wie viel dort los war. Er nahm sich dennoch soviel Zeit wie irgend möglich für die Patienten und Angehörige und das wurde hoch geschätzt. Viele Angehörige dieser mehr oder weniger schwer verletzten oder verunglückten Patienten, die Tag für Tag die Notaufnahme bevölkerten waren verunsichert und verstört. Da taten ein paar aufmunternde Worte von professioneller Seite gut. Dr. Bender wandte sich der jungen Schwester zu. »Es war noch ein junger Mann bei ihr, mein Kollege hat ihn übernommen. Ihm scheint es jedenfalls besser zu gehen, er ist ansprechbar. Vielleicht erzählt er uns, was passiert ist. Jetzt sollten wir uns erst einmal um die Hand der Patientin kümmern.« Schwester Anja nahm vorsichtig die rechte Hand der Patientin in die ihre und begann mit Umsicht die Wunde zu reinigen. »Der Schnitt ist ziemlich tief, ich fürchte, es bringt nicht viel, ihn zu strippen.« stellte Dr. Bender fest, als er der jungen Schwester über die Schulter schaute: »Ich werde nähen und gebe ihr vorsorglich ein Lokalanästhetikum. Bitte machen Sie eine Spritze fertig. Schwester Anja nickte, zog eine Spritze auf und reichte sie dem Arzt. »Fangen wir an.«

      Kapitel 1

      Constanze Taubert zog den Kopf ein und hastete die Straße entlang. Sie verwünschte sich zum x-ten Mal an diesem Tag, dass sie vergessen hatte, einen Schirm mitzunehmen. Nun goss es in Strömen, die junge Frau schlug den Kragen ihres schwarzen Mantels nach oben und beschleunigte ihre Schritte noch einmal. Sie konnte die gut gemeinten Worte ihrer Mutter schon hören. Ich habe dir doch gesagt, du sollst einen Schirm mitnehmen. Ich wusste, dass es Regen geben würde, das spüre ich in den Knochen. Constanze seufzte unwillkürlich auf, mittlerweile lief ihr das Wasser aus den Haaren und in den Nacken hinein, sie schauderte. Hoffentlich erkälte ich mich nicht noch, immerhin muss ich doch in einer Woche meine neue Stelle annehmen, dachte sie und nahm sich vor, gleich in die heiße Wanne zu steigen, sobald sie zu Hause war. Nach einem prüfenden Blick überquerte sie die Straße, endlich hatte sie das Mietshaus erreicht, in dem sie bisher mit ihrer Mutter zusammen in einer schmucken Vier – Zimmer – Wohnung lebte. Eigentlich träumte Constanze längst von ihren eigenen vier Wänden, doch vor nicht einmal einem Jahr war ihr Vater, viel zu früh, verstorben und ihre Mutter hing nun mit noch mehr Fürsorge an ihr als zuvor. Und da sie bald ihre neue Stelle als Lehrerin für Musik und Deutsch an einem Elite-Internat antrat, lohnte es sich kaum, sich etwas eigenes zu suchen, da sie die meiste Zeit in den Lehrerunterkünften der Schule wohnen würde. Ein wenig plagte Constanze das schlechte Gewissen, ihre Mutter allein zu lassen, doch irgendwann musste diese lernen, auch wieder ohne sie zurecht zu kommen. »Bist du das, Conny?« rief es aus dem Wohnzimmer, kaum dass die junge Frau die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte. »Ja, ich bin wieder zurück!« Wer soll es denn sonst sein?, dachte Constanze bei sich während sie sich mühsam aus dem nassen Mantel schälte. Kurz darauf betrat sie das überheizte Wohnzimmer. Dieses war ein Sammelsurium aus antiken Möbeln, in den Glasvitrinen stapelte sich Geschirr mit Goldrand, ein altmodischer Fernseher stand in der Schrankwand, in einem extra dafür eingebauten Fach, das man schließen konnte, wenn man nicht fern sah. Grünpflanzen zierten Fensterbank und Schränke, ein paar größere Pflanzen standen auf dem Boden. Ihre Mutter saß in einem Sessel, nahe an dem elektrischen Strahler, den sie zusätzlich zur Heizung angestellt hatte und las die aktuelle Ausgabe der Tageszeitung. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst einen Schirm mitnehmen.« hob sie an: »Ich wusste...« »...dass es Regen geben würde, das spüre ich in den Knochen!« beendete ihre Tochter den Satz für sie: »Ich weiß, Mama.« Sie trat zu ihr und gab ihr einen Kuss: »Ich werde fix in die heiße Wanne gehen, so, wie ich gefroren habe, hole ich mir sonst noch was weg.« Eine Viertelstunde später trat sie, die Haare noch nass vom Baden, aber wieder von wohliger Wärme durchströmt, erneut ins Wohnzimmer. »An welcher Schule fängst du nächste Woche an?« fragte ihre Mutter und sah ihre Tochter über den Rand der Zeitung hinweg scharf an. »Ach, Mama, dass habe ich dir doch bestimmt schon fünfmal gesagt.« Constanze versuchte, nicht allzu viel Ungeduld in ihre Stimme zu legen: »Es ist das Leenhardt-Gymnasium in H., warum fragst du?« »In der Zeitung ist ein Nachruf drin, von diesem Gymnasium, da ist wohl ein Schüler gestorben.« »Zeig mal her.« Constanze stellte sich hinter ihre Mutter und sah ihr über die Schulter. Sie musste die Augen zusammenkneifen, um die Anzeigen lesen zu können, normalerweise trug sie Kontaktlinsen, aber die hatte sie vor dem Baden raus genommen. »Setz doch deine Brille auf, Liebes!« tadelte die Mutter sanft: »Du bekommst doch sonst Kopfschmerzen, wenn du deine Augen so anstrengen musst.« Seit dem Kindesalter hatte Constanze regelmäßig unter schlimmen Migräneanfällen gelitten, bis ein Arzt herausfand, dass sie eine Brille brauchte. Jetzt litt sie nur noch selten unter diesen Attacken, am meisten, wenn sie unter Stress stand oder, wie jetzt, ohne Brille las. Doch Constanze wischte den Einwand ihrer Mutter ungeduldig mit der Hand weg, sie hatte den Nachruf gerade gefunden und las.

      

      

       Ein guter Engel begleitet ihn, und seine Reise

       wird ein gutes Ende nehmen. (Tobit 5,22)

      Wir trauern um unseren Schüler und

      Mitschüler

       Toni Marcello

      (3.8.1996 – 6.4.2012)

      Die Klasse 10a, alle Schülerinnen und

      Schüler sowie Lehrkräfte des

       Leenhardt-Gymnasiums

      »Das ist ja schrecklich!« entfuhr es Constanze, es nahm sie immer mit, wenn so junge Menschen starben. »Meinst du wirklich, du solltest an einer Schule unterrichten, wo solche Dinge passieren?« Constanze wusste, dass ihre Mutter nur deshalb so empfindlich reagierte, weil sie den Tod ihres Mannes noch nicht überwunden hatte. Auch Constanze vermisste ihren Vater, obwohl sie, vor allen in den letzten Jahren keine guten Erinnerungen an ihn hatte. Ihr Vater war ein Mann gewesen, der alles im Griff hatte. Als Kind und auch noch als Heranwachsende hatte Constanze die Stärke ihres Vaters bewundert. Er wusste genau, was er wollte und was er sich einmal vorgenommen hatte, setzte er auch um. Er war in seiner Firma Niederlassungsleiter gewesen und regierte dort mit harter, aber fairer Hand und die ihm unterstellten Mitarbeiter waren ihm loyal ergeben. Seine Niederlassung war die letzte, die vom Abbau betroffen war, als die Firma Konkurs anmelden musste, doch irgendwann musste auch er seinen Schreibtisch räumen. Nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle entglitt ihm nach