Caroline Bloom

Confiteor Deo


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lange, bis er anfing zu trinken. An Constanze, die in einer anderen Stadt studiert hatte und nur selten zu Hause war, waren die Anfänge seiner Alkoholsucht zunächst unbemerkt vorbei gegangen, denn ihre Mutter tat alles, um die Fassade der heilen Familie so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. An dem Motto Es kann nicht sein, was nicht sein darf hielt ihre Mutter nach wie vor fest und ließ kein schlechtes Wort gegen ihren Mann aufkommen. Der Alkohol schlug eine tiefe Schlucht, die sie nicht mehr überbrücken konnte und sie richtete ihre Konzentration nun ganz darauf aus, ihr einziges Kind zu schützen. Sie war froh, dass Constanze in einer anderen Stadt studierte und nicht genau mitbekam, was zwischen ihren Eltern ablief. Constanze registrierte jedoch mehr, als ihre Mutter ahnte. Ihr Vater veränderte sich immer mehr, er zog sich immer häufiger zurück, wurde aber ausfällig, wenn man ihn darauf ansprach. Constanze hatte es ein paar mal probiert, doch er ließ niemanden mehr an sich ran. Der Mensch, der vor knapp einem Jahr starb, war nicht mehr ihr Vater gewesen. Für sie war er längst fremd geworden, doch ihre Mutter hing immer noch in Liebe an diesem Mann, den sie einst geheiratet hatte. Und immer noch reagierte sie empfindlich auf alles, was mit Tod zu tun hatte. »Mama! Wer weiß, was mit diesem armen Jungen passiert ist, aber das hat doch mit der Schule nichts zu tun! Vielleicht war er krank, oder es war ein Unfall.« Constanze schüttelte den Kopf, wie um die traurigen Gedanken, die ihr durch den Geist schwirrten zu vertreiben. Statt dessen versuchte sie, sich das Gespräch mit der Direktorin der Schule in Erinnerung zu rufen. »An dieser Schule herrscht ein besonderer Geist.« hatte diese gesagt: »Deshalb ist es für uns enorm wichtig, unsere Lehrer mit Sorgfalt auszuwählen. Der christliche Glaube und die Musik sind bei uns groß geschrieben. Wie steht es mit ihrem Glauben?« »Ich wurde christlich erzogen.« hatte Constanze erwidert, daraufhin hatte die Direktorin sich vom Fenster abgewandt und sie gemustert. »Das habe ich Sie nicht gefragt.« Auch wenn Constanze gewusst hatte, wie wichtig diese Anstellung für sie war, hatte sie beschlossen, ehrlich zu sein. »Ich bin gerade dabei, meinen eigenen Weg zu Gott zu finden.« »Das ist doch nichts, wofür Sie sich schämen müssen. Jeder macht das durch und jeder zweifelt auch mitunter. Sehen Sie nur, was in der Welt alles geschieht, da muss man sich nicht wundern, wenn christliche und ethische Werte zu Grunde gehen. Sie wissen, nach wem unser Gymnasium benannt wurde?« »Nach dem französischen Pastor und Ethnologe Maurice Leenhardt.« antwortete Constanze sofort, froh darüber, dass sie sich gestern nochmal über diesen bedeutenden Mann belesen hatte: »Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde er in Neukaledonien zum Pastor ernannt und gründete eine Mission. Er übersetzte das neue Testament in die Sprache der dort lebenden Kanaken.« Frau Amberg nickte beeindruckt: »Sie sind gut informiert.« Sie blätterte in der Bewerbung, die vor ihr auf dem Tisch lag: »Sie sind noch sehr jung, 29 Jahre alt und haben ihr Referendariat am Hildebrand-Gymnasium in M. gemacht?« »Ja, es war eine sehr prägende Zeit, vor allem, was die Musik betrifft. Es herrscht dort ein sehr gutes Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern und die Kollegen waren alle sehr nett.« »Warum haben Sie sich für den Beruf als Lehrerin entschieden?« »Es ist das Arbeiten mit jungen Menschen, das mich fasziniert. Das stetige Dazulernen und das nicht alles planbar, sondern die Unterrichtsstunde voller Überraschungen ist. Es macht mir Freude, zu beobachten, wie die Schüler ihre persönlichen Ideen entwickeln und umsetzen um sich künstlerisch auszudrücken und etwas Neues zu tun.« Die Direktorin hatte genickt, ihr gefiel die junge Frau, die vor ihr saß und mit einem solchen Enthusiasmus von ihrem Beruf sprach, außerordentlich. »Sie spielen Klavier seit sie sechs Jahre alt sind?« Constanze nickte: »Ich hatte einen sehr guten Lehrer, bei ihm habe ich unheimlich viel gelernt. Während meiner Referendar-stelle am Hildebrand-Gymnasium war ich dann eine Zeit lang Korrepetitorin für den gemischten Chor und habe mich auch in dieser Richtung weiter entwickelt.« Abschließend hatte die Direktorin sie gefragt, warum sie sich am Leenhardt-Gymnasium beworben hatte. »Vor allem nach meinem Referendariat am Hildebrand-Gymnasium war mir klar, dass ich gern an einer Schule unterrichten möchte, an der die Musik eine übergeordnete Rolle spielt.« hatte Constanze geantwortet: »Man geht an diesen Schulen bewusster mit der Musik um, interessierter und aufgeschlossener.« Obwohl das Gespräch gut gelaufen war, hatte Constanze schon nicht mehr damit gerechnet, die Stelle zu bekommen. Sie hatte sich noch an fünf weiteren Schulen beworben und war zu drei Vorstellungsgesprächen gebeten worden, aber ihr Favorit blieb das Leenhardt-Gymnasium. Eine Woche später hatte sie die Zusage dieser Schule aus dem Briefkasten geholt. Seitdem war sie von einer kribbelnden Vorfreude erfasst, die langen Jahre des Studiums waren vorbei, nun bekam sie endlich die Chance, ihren Traumberuf auszuüben und sie hatte sich geschworen, ihr Bestes zu geben. Wie sehr ihre Entschlossenheit auf die Probe gestellt werden sollte und dass sie dabei an ihre Grenzen geraten würde, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht.

      Kapitel 2

      Tom saß auf dem Bett und hörte Musik. Die Stereo-Anlage war bis zum Anschlag aufgedreht und er wunderte sich, dass seine Mutter noch nicht auf der Matte stand und ihn aufforderte, diesen Krach, wie sie es nannte, leiser zu stellen. Er hatte sich die ganzen Sommerferien lang hauptsächlich in seinem Zimmer aufgehalten, ihm war nicht nach Ausgehen gewesen. Ab und zu hatten ein paar Klassenkameraden geklingelt, aber entweder hatte er gar nicht reagiert oder sie von seiner Mutter abwimmeln lassen. Er konnte nicht verstehen, wie seine Klassenkameraden so tun konnten, als sei nichts gewesen, nachdem was mit Toni passiert war. Sein Blick wanderte hinüber zu der Pinnwand neben seinem Bett, dort hingen in der Mitte die beiden Todesanzeigen. Eine von Tonis Familie und die von der Schule. Rund herum hatte er Fotos angeordnet. Manche zeigten Toni allein, einen meist fröhlichen Jungen, mit blonden Igelschnitt, der beim Lächeln ein paar spitze Eckzähne entblößte. Ein Bild zeigte ihn zusammen mit Toni, sie hatten sich einen Arm um die Schultern gelegt und lachten in die Kamera. Dieses Foto war letztes Jahr in den Sommerferien entstanden, als ihre Clique noch bestanden hatte. Sie waren alle gemeinsam im Sommercamp an der Ostsee gewesen, es hatte ihnen dort so gut gefallen, dass sie eigentlich dieses Jahr wieder hatten fahren wollen. Doch nach Tonis Tod hatte sich alles verändert, die Clique brach auseinander, er hatte keinen der beiden anderen Jungen gesehen, seit die Sommerferien begonnen hatten, dabei wohnten sie alle nicht weit voneinander entfernt. Am Anfang der Ferien hatten sie noch versucht, ihn in ihre Pläne einzubeziehen, doch er wollte keinen Kontakt. Zu schwer lastete Tonis Tod auf ihm, er konnte an nichts anderes denken und es war ihm unmöglich, einen auf Party zu machen. Es wäre ihm unehrlich vorgekommen. Alex und Henry hatten es irgendwann aufgegeben und er hatte schließlich nichts mehr von ihnen gehört. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass sie ihm auch nicht fehlten und das er die Rückkehr ins Internat regelrecht fürchtete. Er nahm ein Foto von der Pinnwand, dass sie alle vier zeigten, Toni und ihn in der Mitte. »Stell bitte diesen Krach leiser!!!« Er zuckte zusammen und das Bild fiel ihm aus der Hand. Er war so in seine Gedanken vertieft gewesen, dass er nicht mitbekommen hatte, wie seine Mutter herein gekommen war.

      »Kannst du nicht anklopfen?« fragte er ärgerlich und klaubte das Bild vom Boden auf. »Das habe ich, aber...« Seine Mutter wartete, bis er die Stereo-Anlage ausgemacht hatte und fing nochmal an: »Das habe ich, aber bei dem Lärm kannst du das ja nicht hören. Hast du schon angefangen zu packen?« »Ja.« sagte er gedehnt. Er hatte kein Interesse daran, in diese Schule zurück zu kehren. Er hatte seine Eltern gebeten, ihn woanders hin zu schicken, aber sie waren hart geblieben. »Weißt du, wie schwer es war, dich auf diesem Elite-Internat unterzubringen?« hatte sein Vater ihn mit gefährlich ruhiger Stimme gefragt, als er es eines Abends am Esstisch gewagt hatte, dieses Thema anzusprechen. »Ja, natürlich. Und ich war ja auch dankbar dafür, aber nach der Sache mit Toni...« »Toni!« hatte sein Vater geschnaubt: »Er war ein Feigling. Er wusste gar nicht zu schätzen, was er da hatte.« Tom hatte gezittert vor Wut, am liebsten hätte er irgendetwas durch die Gegend geworfen: »Er war kein Feigling!« Er hatte seiner Mutter einen Blick zugeworfen, aber von ihr war, wie gewöhnlich, keine Unterstützung gekommen. »Und ob!« hatte sein Vater weiter gewettert: »Sich das Leben zu nehmen, nur weil man von ein paar Leuten etwas härter angefasst wird, ist feige. Ich wäre früher froh gewesen, wenn ich die Chance bekommen hätte, an so einer Schule lernen zu dürfen. Meine Eltern hatten damals nicht das Geld und ich habe zu hart dafür gearbeitet, damit du es mal besser hast, ich werde nicht ruhig dabei zusehen, wie du dir wegen dieser Sache deine Zukunft verbaust!« »Dieser Sache«, hatte Tom erwidert: »Du sprichst davon, als wäre es ein Diebstahl oder ein Einbruch gewesen! Aber Toni ist tot! TOT!« »Ja und du