Caroline Bloom

Confiteor Deo


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einen kurzen Blick in den Sopran und setzte sich dann in die letzte Reihe. Zwei Stunden probte der Chor, der aus knapp 30 Sängerinnen und Sängern bestand, dann stand das Programm für die nächsten Andachten fest. »Es ist toll, dass du jetzt bei uns mitsingst!« freute sich Lisa: »Wir proben immer dienstags von 20-22 Uhr, für die Schüler gibt es da eine Sondergenehmigung, dass die Nachtruhe erst eine halbe Stunde später beginnt. Nach dem Abendbrot gibt es noch eine kurze Dienstberatung, ich weiß, für dich als Neue ist das ein enormes Pensum für einen Tag, es geht auch nur um die Stundenpläne und ein paar Kleinigkeiten. Eine eigene Klasse bekommst du ja dieses Jahr noch nicht.« Auf dem Gang trat Constanze an Georg heran: »Entschuldigst du mich beim Abendessen, ich zieh mich nochmal zurück.« »Hast du keinen Hunger?« »Nicht wirklich, war alles etwas viel heute und wie ich gerade erfahren habe, haben wir ja nachher auch noch Dienstberatung.« Constanze fuhr sich erschöpft durch die Haare. Georg stutzte. »Davon weiß ich ja noch gar nichts. Aber okay, dann bis später. Die Dienstberatung ist im Lehrerzimmer, wie du dahin kommst, weißt du noch, oder?« Constanze nickte nur, in diesem Moment gesellte sich ein weiterer Lehrer zu ihnen, dem Constanze bisher noch nicht begegnet war. »Conny, das ist Ludwig Oswald, er unterrichtet Sport und Biologie.« Der Lehrer reichte ihr die Hand, Constanze musterte ihn einen Augenblick lang. Auch er war relativ jung, klein und drahtig. Sein Haar, das so strubbelig war, dass es nach allen Seiten ab stand und die Brille im Harry-Potter-Stil, gaben ihm das Aussehen eines zu groß geratenen Schuljungen. Im Erdgeschoss des Nordflügels trennten sie sich, die Herren gingen in den Speiseraum, während Constanze sich auf ihr Zimmer zurück zog.

      Kapitel 8

      In der zweiten Schulwoche trafen sich die drei befreundeten Lehrer, Horst Falkenbach, Georg Schubert und Ludwig Oswald, um sich über verschiedene Dinge auszutauschen. Sie hatten sich die ganzen Sommerferien nicht gesehen und hatten einigen Gesprächsstoff. »Also ich weiß nicht, wie es euch geht.« sagte Georg schließlich und wirkte etwas nervös: »Aber ich kann nicht so einfach über das hinweg gehen, was im letzten Schuljahr passiert ist.« Die beiden anderen wechselten einen raschen Blick, der Georg nicht entging. Er hatte soeben gegen das Abkommen verstoßen, welches sie am Ende des Schuljahres beschlossen hatten. Die Sache mit Toni sollte zwischen ihnen nie wieder thematisiert werden. Aber Georg konnte es einfach nicht, er musste darüber sprechen. »Wir hatten doch ausgemacht, dieses Thema nicht mehr zu diskutieren!« sagte nun Horst, seine Stimme klang kühl. »Aber.« setzte Georg an, doch Ludwig unterbrach ihn. »Nichts aber! Wir haben damals gemeinsam eine Entscheidung getroffen und wir alle wissen, dass es die richtige war.« »War es das denn?« warf Georg hitzig ein: »War es wirklich die richtige?« »Falls du Zweifel daran hast, dann kommen die ein wenig spät!« entgegnete Horst spöttisch. Georg sah die anderen beiden zweifelnd an: »Macht es euch denn überhaupt nichts aus? Ein Schüler ist tot!« »Jetzt verliere nur nicht die Nerven!« herrschte Horst ihn an: »Das war nicht unsere Schuld! Hast du verstanden?« »Aber das kannst du so nicht sagen, immerhin haben wir auch...« »Was denn? Was haben wir? Wir haben gar nichts getan, also hör endlich auf mit dem Gewinsel! Und kein Wort! Zu niemandem, klar? Auch nicht zu Constanze!« setzte Ludwig warnend hinzu und als Georg überrascht aufschaute, grinste er: »Ich hab doch Augen im Kopf. Du magst sie, sie ist ja auch eine Hübsche, aber diese Sache geht sie nichts an!« »So und jetzt schwöre, dass du weder ihr, noch sonst jemandem gegenüber diese Geschichte erwähnen wirst!« Horsts Blick war gnadenlos und Georg nickte ergeben.

      Constanze hatte sich wunderbar ins Kollegium eingefügt, mit ihrem heiteren, sonnigen Wesen war sie bei Schülern und Lehrern gleichermaßen beliebt. Doch war sie empfindsam genug, um bald zu merken, dass im Kollegium längst nicht alles so glatt lief, auch wenn der Schein nach außen hin gewahrt blieb. Horst Falkenbach, Ludwig Oswald und Georg Schubert gingen sich seit dem Treffen aus dem Weg, sorgsam vermieden sie jegliches Zusammensein. Bei Tisch oder wenn andere im Lehrerzimmer waren, gaben sie sich jovial und verhielten sich so ungezwungen, wie ihre Kollegen, doch Constanze merkte, wie unwohl Georg sich in Gesellschaft seiner angeblichen Freunde zu fühlen schien. Instinktiv ahnte sie, dass etwas Gravierendes zwischen ihnen vorgefallen sein musste, etwas das die Drei in jedem Fall verbergen wollten. Ihre Ahnung wurde schließlich zur Gewissheit, als sie drei Tage später zufällig Zeuge einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen Ludwig und Horst wurde. Sie war gerade aus ihrer Musikstunde gekommen und wollte ihre Bücher im Lehrerzimmer ablegen, ihre Kollegen standen sich gegenüber und waren so hitzig in ihre Debatte vertieft, das sie ihr Eintreten gar nicht bemerkten. »Meinst du, er hält dicht?« fragte Ludwig gerade und zupfte sich nervös am Ohrläppchen. »Er muss. Er steckt da genauso tief mit drin, wie wir. Wenn wir dran sind, ist er auch dran. Er wird nichts sagen, er hat viel zu viel Angst.« Er hat doch nicht...ich meine, wir sind doch wirklich nicht...« setzte Ludwig zaghaft an, doch Horst unterbrach ihn sofort. »Jetzt fang' du nicht auch noch an! Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Es war seine eigene Entscheidung!« So leise wie sie gekommen war, huschte Constanze wieder hinaus. Draußen lehnte sie sich zitternd gegen die Wand, ihr war bewusst, dass sie soeben etwas gehört hatte, was sie nicht hatte hören sollen. Was hatte Horst damit gemeint, als er sagte, sie würden alle tief drin stecken? Worum ging es hier und wer sollte dicht halten? Das Ludwig hochgradig nervös war, hatte sie ihm sofort angesehen, er und Falkenbach waren in irgendetwas verwickelt. Und noch eine dritte Person, die offenbar zunehmend unter Druck geriet. Sollte Georg diese Person sein? Dass er einem Zusammentreffen mit seinen beiden Freunden aus dem Weg ging, war offensichtlich. Setzten sie ihn unter Druck, gab es etwas womit sie Georg erpressen konnten? Sie musste unbedingt Klarheit darüber bekommen, aber natürlich war es auch gefährlich, Georg darauf anzusprechen. Wenn er da mit drin hing, bestand die Möglichkeit, dass er seinen Freunden erzählte, dass sie ihn darauf angesprochen hatte. Dass dieses Gespräch nicht für ihre Ohren bestimmt war, war Constanze sofort klar. Sie musste gut überlegen, wie sie die Sache anpackte. Constanze holte tief Luft und öffnete, diesmal laut und vernehmlich, die Tür, ihre beiden Kollegen zuckten zusammen und wandten sich augenblicklich voneinander ab. Offensichtlich hatten sie nicht mitbekommen, dass ihre junge Kollegin vor ein paar Minuten schon einmal im Raum gewesen war, Constanze hoffte es jedenfalls. Sie wollte sich lieber nicht ausmalen, was passieren würde, wenn die beiden wüssten, dass sie ihr Gespräch belauscht hatte. Schon allein bei der bloßen Vorstellung verkrampfte sich Constanzes Magen vor Angst schmerzhaft.

      Kapitel 9

      

       Tagebucheintrag 30.08.2010

       Die Schule hat wieder begonnen und wir haben einen neuen Mitschüler. Toni Marcello, und natürlich mussten ausgerechnet wir ihn in unser Zimmer bekommen. Ein ziemlicher Snob, aus reichem Hause, aber ich glaube, er verträgt nicht viel. Der wird es schwer haben, sich hier zu behaupten, denn viele werden seine Unsicherheit ausnutzen. Ich weiß noch, wie das bei mir damals war, auch ich musste mich erst beweisen und das war nicht einfach. Zum Glück bin ich dann relativ schnell Teil einer Clique geworden und war gewissermaßen unantastbar. Aber wer will den schon in der Clique haben. Ein total verhätscheltes Muttersöhnchen, wahrscheinlich bügelt die ihm sogar die Socken. Und sein schwülstiges Gerede kann man sich ja kaum anhören. Der nervt echt total!

      Als Toni das gemeinsame Zimmer betrat, verstaute er sein Tagebuch schnell unter seinem Kopfkissen. Das Zimmer sah aus, wie eine typische Internatsbude, die Betten waren ungemacht, überall lagen Sachen, Taschen und Schuhe verstreut, über der Heizung hingen ein Paar löchriger Socken. Toni passte überhaupt nicht in dieses Bild. Er wirkte vollkommen fehl am Platz mit seinen Hosen mit Bügelfalte, seinen Hemden und den altmodischen Pullundern, die er immer trug und die garantiert seine Mutter für ihn ausgesucht hatte. »Was hast du da geschrieben?« fragte Toni. »Nichts.« gab der Angesprochene unwirsch zur Antwort. Was ging es diesen Wicht an, was er tat. Schlimm genug, dass er sich das Zimmer mit ihm teilen musste. Toni merkte wohl, dass er nicht willkommen war und huschte mit einem unsicheren Seitenblick auf seinen Zimmerkameraden zu seinem Schrank. Dieser wartete, bis Toni ihm den Rücken zu wandte, dann holte er das Tagebuch unter dem Kopfkissen hervor, schloss es in seinen Schrank ein und verließ wortlos das Zimmer. Toni schaute ihm traurig nach, er fühlte sich unwohl. Er fragte sich, warum gerade er zum Mobbingopfer der anderen geworden war. Er hatte doch, seit er