Caroline Bloom

Confiteor Deo


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sofort wieder an zu husten und hielt sich mit schmerzverzerrten Gesicht die Brust. »Das sieht man ja...« sagte Georg lakonisch. »Kommen Sie mal mit.« Die Ärztin führte die junge Lehrerin in das Untersuchungszimmer. Georg konnte sie bis raus auf den Gang husten hören. »Sie haben eine verschleppte Bronchitis, mit beginnender Lungenentzündung. Ich gebe Ihnen ein Antibiotikum und Sie müssen eine Woche lang strengste Bettruhe einhalten!« sagte die Ärztin zu Constanze, als diese sich wieder ankleidete. »Aber ich...« »Daraus können immer noch zwei werden!« Constanze gab sich geschlagen und die Ärztin trat hinaus auf den Flur. »Ich behalte ihre Kollegin eine Woche hier, bitte begleiten Sie sie kurz in ihr Zimmer, sie soll ihre nötigsten Sachen holen und dann liefern Sie sie bei mir persönlich wieder ab.« »Wird gemacht!« versprach der junge Lehrer. Als Constanze die Krankenstation wieder verließ, war es nur noch eine Woche bis zu den Herbstferien. Die letzten Arbeiten wurden geschrieben, dann wurden Schüler und Lehrer mit einer letzten Andacht in die Ferien entlassen.

      Kapitel 15

      »Wie schön, dass du wieder zu Hause bist!« wurde Constanze von ihrer Mutter überschwänglich begrüßt, wie es sonst gar nicht so ihre Art war. Sie hatte Constanzes Lieblingsessen gekocht, Nudelauflauf mit Pilzen, und Constanze musste alles haarklein berichten. »Vertrauenslehrerin!« rief ihre Mutter erfreut: »Und gleich im ersten Jahr. Schade, dass dein Vater das nicht mehr erleben darf, er wäre sehr stolz auf dich.« Beide lächelten traurig, dann sagte Constanze: »Ich war selbst ein wenig überrascht. Ach, Mama, ich bin so froh, dass ich an dieser Schule unterrichten darf. Sie ist so ganz anders als die meisten Schulen.« »Du siehst blass aus. Überfordern Sie dich dort?« »Nein, Mama. Alles in Ordnung, ich war die letzten beiden Wochen krank. Nichts Ernstes!« wiegelte Constanze gleich darauf ab: »Nur eine Erkältung, aber ich bin noch nicht wieder ganz auf dem Damm.« »Ich werde dich schon wieder aufpäppeln.« sagte Helga Taubert, dann fragte sie: »Hast du eigentlich mal etwas über diesen Jungen herausbekommen?« Ihre Tochter sah sie einen Moment lang verständnislos an. »Na diesen Jungen, diesen...« Sie ruderte hilflos mit der Gabel herum, ihr fiel der Name nicht mehr ein: »Der in der Todesanzeige.« »Nein.« Jetzt fiel auch Constanze wieder ein, was ihre Mutter meinte und sie nahm sich vor, Georg zu fragen, sobald sie sich wiedersehen würden. »Und hast du auch nette Männer kennen gelernt?« »Mama!« Wie kam ihre Mutter nur so schnell von Todesanzeigen zu Männerbekanntschaften: »Na ja, meine Kollegen sind alle sehr nett, aber mit einem verstehe ich mich besonders gut. Wir sind gleich am ersten Tag zusammen gerauscht.« »Das war bestimmt Absicht von ihm!« Constanze schüttelte nur lächelnd mit dem Kopf und erinnerte sich an den ersten Zusammenstoß mit Georg: »Er braucht bestimmt keinen Vorwand, um Frauen anzusprechen.« »Du magst ihn sehr?« hakte die Mutter nach, als sie Constanzes leuchtende Augen sah. »Ja, er ist so ganz anders als die anderen Männer, die ich bisher kennen gelernt habe. Ernsthafter und pflichtbewusst. Ich habe das Gefühl, mit ihm über alles sprechen zu können.« Über fast alles...ergänzte Constanze in Gedanken und wieder nagte das Gefühl an ihr, dass Georg ihr etwas verheimlichte. »Es würde mich freuen, wenn du endlich jemanden kennen lernen würdest. Pass nur auf, dass er ehrlich zu dir ist.« Constanze schwieg, sie wollte das Thema jetzt nicht weiter vertiefen. Sie würde Georg nach den Ferien noch einmal darauf ansprechen und vielleicht erfuhr sie auch, was mit dem Schüler geschehen war, der im vergangenen Schuljahr ums Leben gekommen war.

      Kapitel 16

       Tagebucheintrag vom 7.10.2010

       Die Lehrer hier sind nicht besser als die Schüler. Wie ich sie hasse, diese Schule und diese ganze verlogene Bagage! Morgens und abends sitzen wir in der Schulkapelle, predigen über Nächstenliebe und darüber, einander Respekt entgegen zu bringen. Doch sobald der Schulalltag begonnen hat, sind all diese Werte vergessen. Dann wird an jeder Ecke gehänselt, gelästert und gemobbt. Wer nicht ins System passt, wird ausgegrenzt, von Schülern und Lehrern gleichermaßen. Was nützt es, von der grenzenlosen und vorurteilsfreien Liebe Jesu zu reden, wenn niemand es schaffte, sie auch nur ansatzweise zu praktizieren? Was nützt es, Gottes Vorbildfunktion herauszustellen, wenn ihn sich niemand zum Vorbild nahm? Mir fällt es immer schwerer, mein gleichmütiges Gesicht zu wahren, das ich hier Tag für Tag zeigen muss.

      »Sie kommen zu spät!« stellte Horst Falkenbach mit kalter, schneidender Stimme fest. »Ja, ich weiß.« entgegnete Toni kaum hörbar: »Es tut mir leid.« »Wie bitte?« »Es tut mir leid.« wiederholte Toni, etwas lauter, doch das genügte dem Lehrer immer noch nicht. »Können Sie sich nicht laut und klar artikulieren?« Er wusste genau, wie sehr er seinen Schüler damit quälte, doch es war ihm egal. »Es tut mir leid, das ich zu spät gekommen bin.« sagte Toni nun vernehmlich, wäre dabei aber am liebsten vor Scham im Boden versunken. »Und nicht einmal ordentlich anziehen können Sie sich.« hänselte der Lehrer weiter. Die Klasse lachte und Toni sah an sich herunter. Sein Hemd hing ihm aus der Hose und erst jetzt bemerkte er, dass er seinen Pullunder falsch herum an hatte. Es hatte alles so schnell gehen müssen. Auf dem Rückweg vom Sportplatz zum Schulgebäude hatten ihm seine Peiniger wieder einmal aufgelauert und so dreckig und mit zerrissenen Sachen konnte er nicht im Unterricht auftauchen. Also war er wieder einmal gezwungen gewesen, sich vor der nächsten Stunde umzuziehen. Er war sehr in Eile gewesen, denn er wollte nicht schon wieder zu spät kommen. Es wäre bereits das dritte Mal in dieser Woche gewesen und bedeutet unweigerlich einen weiteren Eintrag im Klassenbuch und eine gelbe Karte für ihn. Doch trotz aller Eile hatte er es nicht geschafft pünktlich zu kommen und mehr noch, er hatte sich durch seine Hast zum Gespött der gesamten Klasse gemacht. Hätte er mehr Sorgfalt walten lassen, wäre ihm wahrscheinlich aufgefallen, dass er seinen Pullunder falsch herum trug. Die Hitze stieg ihm ins Gesicht und unter dem hämischen Gelächter seiner Klassenkameraden, stopfte er rasch sein Hemd in die Hose und zog den Pullunder richtig herum an. Nun war - zumindest äußerlich - wieder alles einigermaßen in Ordnung.

      Kapitel 17

      Tom stand vor der Pinnwand in seinem Zimmer und hielt in Gedanken Zwiesprache mit Toni. »In der Schule läuft alles wie gewohnt. Das macht mich so wütend. Als hätte es dich nie gegeben. Als wäre das, was passiert ist, es nicht wert, darüber zu reden. Manchmal würde ich dort am liebsten alles kurz und klein schlagen. Vielleicht mache ich das auch. Eines Tages werden sie nicht mehr ignorieren können, was passiert ist. Die glauben, sie sind die Größten, aber ich werde sie klein machen...ganz klein und dann werden wir sehen, wer am Ende gewinnt! Dein Tod soll nicht umsonst gewesen sein!« Tom schreckte aus seinen Gedanken auf, als seine Mutter ihn zum Essen rief. Am Tisch beantwortete er die Fragen seines Vaters nach der Schule so gleichmütig wie möglich, während er mit seinen Gedanken völlig woanders war.

      »Tom!« rief seine Mutter aus der Diele herauf: »Du hast Besuch!« Er war so in Gedanken vertieft gewesen, das er die Klingel nicht gehört hatte. Nach dem Stimmengewirr zu urteilen, standen die Besucher bereits im Flur, also konnte er seiner Mutter schlecht sagen, sie solle ihn verleugnen. Lustlos kam er die Treppe hinab und erkannte die Stimmen, sie gehörten seinen Freunden, Henry und Alex. »Was macht ihr denn hier?« Er versuchte nicht allzu unfreundlich zu klingen, aber es war ihm gar nicht recht, dass sie hier aufgetaucht waren. Dabei waren sie einst die besten Freunde gewesen. Doch jetzt, so schien es Tom, trennten sie Welten. Er betrachtete die beiden Jungen. Zu Alex hatte er aufgesehen, seit er denken konnte. Er wäre gern selbst wie Alex gewesen, immer einen flotten Spruch auf dem Lippen und er wirkte, als könne ihm nichts und niemand etwas anhaben. Und wahrscheinlich war das so. Er schien jedenfalls keineswegs durch den Tod seines ehemaligen Freundes erschüttert. Henry war der typische Sonnyboy, er wirkte immer unbekümmert und sorglos, riss am laufenden Band Witze und lachte in jeder passenden oder unpassenden Situation. Manchmal fragte sich Tom, ob Henry wirklich so unsensibel war oder ob es einfach seine Art war, seine Unsicherheit zu überspielen. »Mensch, mit dir ist nichts mehr anzufangen, seit der Sache mit Toni. Tu uns einen Gefallen und lass uns heute Abend etwas zusammen unternehmen.« sagte Alex offen: »Kino, vielleicht?« »Also eigentlich...« fing Tom an, doch Henry unterbrach ihn. »Würdest du liebend gern mit uns mitkommen.« Er schnappte sich eine von Toms Jacken vom Garderobenhaken und schob seinen Freund zur Tür hinaus. »Du