Caroline Bloom

Confiteor Deo


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vorbereitet, was er zu tun hatte, wenn er akzeptiert werden wollte. Er hatte sich zurückgehalten, hatte nie einen Schüler verpetzt, ganz gleich was dieser angestellt hatte. Trotzdem hatten sie sich gerade ihn geschnappt. Und die Lehrer waren keinen Deut besser. Natürlich nicht alle, aber leider schlugen ausgerechnet sein Klassenleiter und die beiden Vertrauenslehrer in die gleiche Kerbe wie die Schüler. Er hatte niemanden, dem er sich anvertrauen konnte. Seine Eltern hatten sich geradezu überschlagen vor Stolz, als er, genau wie sein Bruder, Aufnahme an diesem Elite-Internat fand. Er wollte sie nicht enttäuschen, sie setzten große Erwartungen in ihn. Mit seinen Zimmerkameraden konnte er auch nicht reden, er wusste, dass er den drei Jungen höchst ungelegen kam und sie ihn nur ungern in ihrem Zimmer aufgenommen hatten. Es klingelte, er hätte längst im Biologieraum sein müssen, doch er bekam seine Füße einfach nicht vom Fleck. Ihm war klar, dass er damit innerhalb von zwei Wochen seinen dritten roten Punkt und damit eine gelbe Karte kassieren würde, doch das war in diesem Moment sein geringstes Problem. Niedergeschlagen stand er vor seinem Schrank und starrte hinein, ohne etwas wahrzunehmen.

      Kapitel 10

      Diakonissenkrankenhaus ITS

      17:00 Uhr

      Helga Taubert war, nachdem sie von der Polizei über die Geschehnisse unterrichtet worden war, sofort ins Krankenhaus geeilt. »Wie geht es meiner Tochter?« Die Empfangsdame im Krankenhaus musterte die völlig aufgelöste Dame vor sich. »Ganz ruhig. Nennen Sie mir erst einmal ihren Namen und den Ihrer Tochter.« »Mein Name ist Helga Taubert und meine Tochter heißt Constanze. Constanze Taubert. Irgendein Herr Walke oder wie auch immer er hieß hat mich angerufen und mir gesagt, meine Tochter läge auf der Intensivstation. Oh Gott, mein armes Kind!« »Die Intensivstation ist gleich den Gang hier runter und dann rechts. Klingeln Sie einfach, dann macht Ihnen jemand auf.« Frau Taubert hörte kaum zu, sie stürmte schon den Schildern nach in Richtung Intensivstation. Sie ließ den Finger auf dem Klingelknopf, bis sich eine Stimme meldete: »Ja?« »Meine Name ist Helga Taubert, ich möchte zu meiner Tochter!« keuchte Frau Taubert in die Gegensprechanlage. »Einen Moment bitte.« Und schon tönte der Summer und die Türen schwangen auf. Schwester Anja fing die Mutter im Flur ab und führte sie zunächst ins Schwesternzimmer. »Was...was ist mit meiner Tochter passiert?« Schwester Anja sah mitleidig in das vorzeitig gealterte und vor Sorge blasse Gesicht ihres Gegenübers: »Wir wissen es selbst noch nicht genau. Ihre Tochter konnte bisher noch keine Angaben machen. Sie hat noch am Unfallort das Bewusstsein verloren und ist bisher nicht wieder zu sich gekommen.« »Sind ihre Verletzungen so schwer?« »Der Arzt wird Ihnen darüber genauer Auskunft geben. Sie hat eine schwere Rauchvergiftung erlitten und einen tiefen Schnitt in der Handfläche, der aber bereits genäht wurde. Ich bringe Sie jetzt erst einmal zu Ihrer Tochter, sie dürfen aber vorerst das Zimmer nicht betreten.« Die beiden Frauen verließen das Zimmer und Schwestern Anja wies auf eine große Glasscheibe, die in die Wand eingelassen war. »Ihre Tochter liegt in diesem Zimmer, durch das Fenster können Sie sie sehen. Ich lasse sie jetzt allein und sage Dr. Bender Bescheid, dass Sie da sind.« So eilig Helga Taubert es gehabt hatte, auf die Intensivstation zu kommen, umso zögernder wurden nun ihre Schritte, als sie sich dem Zimmer ihrer Tochter näherte. Geschockt nahm sie das Bild in sich auf, das sich ihr bot. Constanze sah so zerbrechlich aus zwischen den ganzen Maschinen und Monitoren. Helga Taubert liefen die Tränen über das Gesicht. Die Herzkurve auf dem Monitor rechts von ihrer Tochter war der einzige Beweis, dass diese noch lebte.

      Kapitel 11

      »Hättest du Lust, am Sonntag nach dem Gottesdienst etwas mit mir zu unternehmen?« fragte Georg Constanze, als diese nach dem Mittagessen zurück ins Lehrerzimmer trat. Constanze schaute verblüfft auf und musste sich im selben Moment das Lachen verbeißen. Georg sah reichlich verlegen aus und putzte völlig unnötigerweise seine Brille. »Gern, kennst du dich hier in der Gegend ein wenig aus?« »Ja, es gibt ganz in der Nähe eine Burg, die man besichtigen kann und ein großes Waldgebiet drum herum. Natürlich nur, wenn dir das recht ist.« setzte Georg unsicher hinzu. »Klingt verlockend!« stimmte Constanze zu und dachte gleichzeitig, dass dies eine wunderbare Möglichkeit war, Georg auf ihre Beobachtungen anzusprechen. Wenn sie sich nicht sehr täuschte, wusste der junge Lehrer genau, was sich im Kollegium abspielte, schließlich war er seit drei Jahren dabei. Die Glocke schellte und riss Constanze aus ihren Gedanken, rasch eilte sie in ihre Klasse. Georg, der eine Freistunde hatte, blieb im Lehrerzimmer zurück um Klausuren zu korrigieren. Horst Falkenbach trat ein und Georg sah auf. »Hast du auch eine Freistunde?« fragte dieser. »Ja, ich korrigiere gerade die Klausuren von meinem Deutschkurs.« »Und, wie ist sie ausgefallen?« »Es sieht recht gut aus, nur die Leistungen von Tom Sturm machen mir Sorgen. Er scheint im Unterricht kaum bei der Sache zu sein und das schlägt sich natürlich in seinem Notenspiegel wieder.« »Das war doch auch schon Ende des letzten Schuljahres ein Problem.« entgegnete Horst Falkenbach und runzelte die Stirn. »Ja, natürlich hängt es mit dem Tod von Toni zusammen.« Georg biss sich auf die Lippen und sah seinen Kollegen unsicher an: »Ich weiß, ich sollte darüber nicht sprechen, aber seit diesem Vorfall ist Tom nicht mehr der Selbe. Er ist unkonzentriert, aufmüpfig und lässt sich von mir kaum etwas sagen. Sein Verhalten ist im Prinzip eine permanente Anklage.« »Meine Güte, bei mir ist es ebenso, aber interpretierst du da nicht ein bisschen zu viel hinein? Ich habe ihm diesbezüglich eine klare Ansage gemacht und du solltest das Gleiche tun.« »Wie kann ich das nach...« Horst fiel seinem Kollegen unwirsch ins Wort, so langsam ging ihm Georg mit seinen selbst eingeredeten Schuldgefühlen auf den Nerv: »Georg, du bist sein Lehrer! Egal, was vorgefallen ist, wir haben uns nichts vorzuwerfen!« Georg nickte, auch wenn er nicht überzeugt war, dann wandte er sich wieder seinen Arbeiten zu.

      Kapitel 12

      

       Tagebucheintrag vom 8.9.2010

      

       Gestern haben sie sich Toni geschnappt, er kam mit zerrissener Kleidung und dreckbeschmiertem Gesicht ins Zimmer und mir war sofort klar, was sie mit ihm gemacht hatten. Ich weiß noch, wie sie das mit mir gemacht haben. Sie kamen meist völlig unverhofft, teilweise sogar mitten in der Nacht und dann hat man nichts mehr zu lachen. Mal sehen, wie lange er das durchhält. Bei mir waren es damals nur ein paar Wochen, denn als ich in die Clique aufgenommen wurde, hörten die Schikanen von einem Tag auf den anderen auf. Aber ich kann mir nicht vorstellen, das den jemand aufnimmt. Das ist ja voll peinlich, wenn man mit dem rumhängen muss. Na ja...aber ein bisschen leid tut er mir schon.

      »Zeit für eine kleine Abreibung, Milchbubi!« Der Rucksack wurde Toni von der Schulter gerissen. Noch ehe er sich umdrehen konnte, hatten seine Peiniger den Rucksack bereits geöffnet und verteilten den Inhalt über den gesamten Flur. Zwei weitere Jungen hielten ihn fest, während ein Dritter ihn mit Schlägen und Tritten traktierte. Toni hoffte, dass ein paar der vorbeigehenden Schüler oder Lehrer eingreifen würden, aber die Schüler waren viel zu froh, nicht selbst zum Opfer geworden zu sein und auch die Lehrer schienen sich nicht einmischen zu wollen. Schließlich wurde er unter lautem Gejohle hinaus auf das Fußballfeld geschleift, wo sie ihn so lange umher schubsten, bis er über seine eigenen Füße stolperte und fiel. Darauf hatten die Jungen nur gewartet, sie warfen sich auf ihn und drückten sein Gesicht mit aller Kraft in den Schlamm. Vier- bis Fünfmal pressten sie sein Gesicht ins Gras, zwischendurch ließen sie ihm immer nur ein wenig Zeit um nach Luft zu schnappen. Danach erhoben sie sich, klatschten ab und ließen ihn auf dem Rasen liegen. Die Tränen, die er mit aller Macht zurück gehalten hatte, strömten ihm nun über das Gesicht und hinterließen helle Spuren in seinem mit Schlamm beschmutzten Gesicht. Er spuckte ein paar Grasbüschel aus und erhob sich schließlich. Langsam und zögernd ging er zurück ins Haus, er hatte es nicht eilig. Er hoffte, dass er es schaffte, sein Zimmer ungesehen zu erreichen, um sein Gesicht zu säubern und sich umzuziehen, er hatte keine Lust, Stoff für neue Hänseleien zu bieten. Doch zunächst musste er seine Schulsachen und seinen Rucksack aufsammeln. Zum Glück hatte es bereits zur nächsten Stunde geläutet, als Toni die Seitentür erreichte. Der Flur war wie ausgestorben, er fand seinen Rucksack und begann Hefter und Bücher