Caroline Bloom

Confiteor Deo


Скачать книгу

beendet gewesen. »Es gibt Abendessen.« riss ihn seine Mutter aus seinen Gedanken. »Ich habe keinen Hunger.« sagte er sofort. Seit der Diskussion vor drei Tagen, fiel es ihm immer schwerer, mit seinem Vater an einem Tisch zu sitzen. »Du musst etwas essen.« Seine Mutter machte eine Bewegung, als wolle sie ihm kurz durchs Haar fahren, ließ es dann aber doch. Zärtlichkeiten waren sowieso rar in diesem Haus, sein Vater führte ein straffes Regiment und hielt gar nichts davon, seinen einzigen Sohn zu verhätscheln. Seine Frau fügte sich, sie konnte sich nicht gegen ihn durchsetzen. »Wasch dir die Hände und kämme dich noch einmal, dann komm hinunter ins Esszimmer.« Missmutig ging er ins Bad, wusch sich Gesicht und Hände, fuhr sich mit einem nassen Kamm durch die Haare, langsam stieg er, die Hände in den Hosentaschen, die Treppe hinab. Er ertappte sich dabei, wie er den Moment, das Esszimmer zu betreten, absichtlich hinauszögerte. Erst als sein Vater ungeduldig nach ihm rief, legte er eine schnellere Gangart an den Tag.

      Kapitel 3

      Der Parkplatz der Leenhardt-Gymnasiums füllte und leerte sich fast im Minuten-Takt, Eltern brachten ihre Kinder nach den Ferien wieder ins Internat. Der Hof und die Gänge waren erfüllt von lautem Stimmengewirr. Frau Amberg, die Direktorin, stand am Fenster ihres Büros und sah auf das Treiben hinunter. Sie war eine große, schlanke Frau mit sorgfältig frisierten Haaren und klugen Augen. Bereits seit vier Jahren hatte sie die Leitung dieses Internats inne und der Beginn eines neuen Schuljahres war immer eine aufregende Angelegenheit. Doch so nervös wie dieses Mal hatte sie sich seit ihrem ersten Tag als Direktorin nicht mehr gefühlt. Als es klopfte, wandte sie sich vom Fenster ab und setzte sich an ihren Schreibtisch. »Herein.« sagte sie, froh von ihren Grübeleien abgelenkt zu werden. Kurz darauf trat Herr Falkenbach ein. Er war ein großer, schlaksiger Mann, mit kurz geschnittenen dunkelblonden Haaren und tiefliegenden Augen. »Guten Tag, Herr Falkenbach! Sind Sie gut hergekommen?« erkundigte sich die Direktorin liebenswürdig. »Ja, auf den Straßen war wenig los, wir sind gut durchgekommen. Georg ist mit mir gefahren.« setzte er nach einem fragenden Blick der Leiterin hinzu. Georg Schubert, ein weiterer junger Lehrer, war mit Horst Falkenbach befreundet, er unterrichtete seit drei Jahren ebenfalls am Leenhardt–Gymnasium. »Sie übernehmen dieses Jahr die Klasse 8b und Herr Schubert bekommt eine neue fünfte Klasse.« Die Direktorin reichte dem Lehrer die Pläne über den Tisch: »Dann wünsche ich Ihnen einen guten Start in das neue Schuljahr.« »Danke, Frau Amberg! Ihnen auch!«

      Die Direktorin winkte ab, doch bevor der junge Mann die Tür erreicht hatte, fiel ihr noch etwas ein: »Sie bekommen eine neue Kollegin, Constanze Taubert. Eine sehr sympathische junge Dame. Bitte kümmern Sie sich darum, dass Sie sich hier gut zurecht findet.«

      Constanze Taubert stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne aus, als sie mit ihrem blauen Kleinwagen auf den Parkplatz der Schule einbog. Sie war zwar zu dem Vorstellungsgespräch schon einmal hier gewesen, aber dieses große Schulgebäude bot, trotz der Tatsache, dass überall auf dem Hof verwaiste Gepäckstücke herum standen, einen imposanten Anblick. Es war ein ehemaliges Renaissance-Schloss, welches auf eine lange Geschichte zurück blickte. Nachdem es in der Zeit des Nationalsozialismus als Schutzhaftlager gedient hatte, war es aufwendig restauriert worden und bot seit zehn Jahren dem Leenhardt-Gymnasium und Internat ein Zuhause. Der Hauptzugang erfolgte durch ein gotisches Tor, einem sogenannten Flüsterbogen. Das weiß getünchte Gebäude war quadratisch angeordnet, die vier Ecken wurden von eindrucksvollen Renaissance-Erkern gesäumt. Constanze stellte ihren Wagen ab und beschloss, zunächst erst einmal in Erfahrung zu bringen, wo sie untergebracht war, bevor sie das ganze Gepäck aus dem Auto lud. Sich umsehend betrat sie die große Eingangshalle, doch noch bevor sie sich genauer orientieren konnte, wurde sie von einem Zusammenprall fast von den Füßen gerissen. »Hey! Was...« rief sie ärgerlich und rieb sich den Arm. »Entschuldigung! Ich hab Sie nicht gesehen. Es tut mir wirklich leid. Haben Sie sich weh getan?« Constanzes Ärger flaute schon wieder ab, der Schmerz in ihrem Arm war nicht schlimm, sie war einfach nur furchtbar erschrocken. Nun nahm sie sich Zeit, ihr Gegenüber genauer zu betrachten. Ein junger Mann mit blonden Haaren, blauen Augen und einer Brille mit ovalen Gläsern, die ihm nach dem Zusammenstoß schief auf der Nase hing. »Ehm...ich bin Herr Schubert.« sagte er und rückte verlegen seine Brille zurecht. Die junge Dame gefiel ihm, ein Teil ihrer großen schwarzen Locken hatten sich bei dem Aufprall aus der Frisur gelöst und ihre Augen waren von einem so intensiven Blau, dass sie sicher kalt gewirkt hätten, wäre da nicht das Lächeln gewesen, das nun ihre Mundwinkel umspielte und ihre Augen warm erscheinen ließen: »Eigentlich nehmen wir in der Oberstufe keine neuen Schüler mehr auf.« Jetzt lachte sein Gegenüber hell auf und bot ihm ihre Hand. »Ich bin keine Schülerin, aber vielen Dank für das Kompliment! Ich fange als Lehrerin hier an, heute ist mein erster Tag und ich weiß nicht so genau, wo ich hin muss.« »Ich denke, da kann ich dir behilflich sein. Ich heiße Georg.« »Constanze, aber nenne mich einfach Conny.« »Ist das dein ganzes Gepäck?« Georg wies mit dem Kopf auf die Handtasche, die von Constanzes Schulter baumelte. »Ja. Eine Zahnbürste und Wimperntusche, mehr brauche ich wirklich nicht.« entgegnete diese und klimperte mit den Augen: »Nein, ich wollte mich erst einmal umschauen, ehe ich auspacke.« »Weißt du was, ich mache dir einen Vorschlag. Ich bin mit meinem Freund, Horst Falkenbach, im Lehrerzimmer verabredet. Komm doch gleich mit, dann beginnen wir mit der Führung dort. Und später helfe ich dir mit dem Gepäck.«

      Kapitel 4

      »Du kommst spät.« empfing Horst Falkenbach seinen Freund mit leichtem Vorwurf in der Stimme. »Ich weiß, es gab einen kleinen Unfall. Dafür habe ich unsere neue Kollegin dabei.« »Sie sind Constanze Taubert?« Horst Falkenbach zog die Augenbrauen in die Höhe: »Sind Sie nicht ein bisschen jung?« Constanze seufzte. Bei Georg hatte es ihr nichts ausgemacht, dass er sie für eine Schülerin gehalten hatte, aber in dieser Frage lag ein geringschätziger Unterton, der ihr nicht gefiel. »Sollte mich auch nur eine Schülerin oder ein Schüler nicht als Lehrerin für voll nehmen, quittiere ich freiwillig den Dienst.« Horst Falkenbach merkte wohl, dass er mit seiner Frage zu weit gegangen war und beeilte sich nun, zurück zu rudern: »Schon gut, schon gut. Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Also noch mal von vorne. Ich bin Horst, willkommen im Kollegium.« »Danke.« Constanze legte ihre Hand nur zögernd in die ihr angebotene: »Meinen Vornamen wissen Sie ja schon.« »Ich habe ihr angeboten, sie herum zu führen und ihr beim Ausladen zu helfen.« unterbrach Georg die Anspannung: »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?« Horst wandte sich dem Schreibtisch zu, auf dem er bereits einige Papiere geordnet hatte: »Ja, du übernimmst die 5a, hier sind die entsprechenden Unterlagen.« »Danke. Na dann, komm.« sagte er an Constanze gewandt: »Jetzt zeige ich dir unsere Schule. Also dies hier ist das Lehrerzimmer, hier verbringen wir viel Zeit. Wir befinden uns im Westflügel, hier ist der komplette Schultrakt untergebracht.« Sie verließen das Zimmer und liefen einen langen, mit Linoleum ausgelegten, Gang entlang. »Hier liegen die Unterrichtszimmer, diese sind speziell für gewisse Fächer ausgestattet, aber das ist eher für die Chemie- Physik- und Biologielehrer von Interesse. Die Musikzimmer findest du hier allerdings nicht, es gibt einen eigenen Musiktrakt. Den zeige ich dir nachher, er liegt im Südflügel.« Sie stiegen eine Treppe hinauf und gelangten in einen weiteren Gang von dem mehrere Türen abgingen. Georg öffnete eine davon und ließ Constanze an sich vorbei eintreten. Es sah aus wie ein Klassenzimmer, außer das die Tafel fehlte, es gab auch keinen Polylux oder Kartenhalter. »Das sind unsere Studierzimmer, hier werden die Hausaufgaben gemacht. Wir beaufsichtigen die Klassen fünf bis acht, ab der neunten Klasse sind dafür die Klassensprecher selbst verantwortlich.« »Und das funktioniert?« Constanze war ein wenig skeptisch, sie wusste, dass nicht jeder Sechzehn – Jährige so viel Verantwortung schultern konnte. »Unsere Klassensprecher werden sorgfältig ausgesucht, sie werden zwar in erster Linie von der Klasse gewählt, aber die letzte Entscheidung obliegt den Lehrern beziehungsweise der Direktorin. Wer sich nicht vertrauenswürdig genug zeigt, kann jeder Zeit ausgetauscht werden.« »Das klingt aber nach einem ziemlich strengen Regiment – Fehler unerwünscht.« »Ganz so ist es natürlich nicht!« schwächte Georg ab: »Jeder hat eine zweite Chance verdient. Aber wir haben einen so straff organisierten Tagesablauf, dass wir darauf angewiesen sind, uns auf die größeren Klassen zu verlassen, sonst wäre das gar nicht durchführbar.« »Was erwartet mich denn da?« erkundigte sich Constanze,nun neugierig geworden, während sie ihren Weg in