Caroline Bloom

Confiteor Deo


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ankämpfen, während er sie herausangelte. Während er, den Rucksack über der Schulter und die triefende Federmappe mit zwei Fingern weit von sich weghaltend, die Treppe zu seinem Zimmer hoch schlich, fragte er sich immer wieder, was er wohl falsch gemacht hatte. Er ließ sich absichtlich Zeit beim Säubern um Umziehen, eigentlich hätte er Chemie Unterricht gehabt, bei seinem Klassenleiter, Georg Schubert. Doch die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass auch von dem jungen Lehrer nur spöttische Bemerkungen zu erwarten waren. Ob aus Machtgehabe oder weil der Lehrer nicht zugeben wollte, dass er mit dieser Situation überfordert war, Toni wusste es nicht. Erst am Montag hatte der Lehrer ihm eine gelbe Karte gegeben, weil Toni zum wiederholten Male seine Hausaufgaben nicht abliefern konnte. Dabei hatte er mit eigenen Augen gesehen, dass Toni sie in der Studierzeit erledigt hatte. Doch als er nach dem Heimfahrwochenende wieder ins Internat zurückkehrte, musste er feststellen, das seine Hausarbeiten ihm wieder einmal spurlos verschwunden waren. Der junge Lehrer hatte ihm nicht geglaubt und so hatte er erneut eine gelbe Karte kassiert und sein nächstes Heimfahrwochenende stand auf der Kippe. Für sein Zu-spät-kommen würde er wohl die zweite gelbe Karte bekommen und am nächsten Wochenende in der Schule bleiben müssen. Schließlich konnte er den Zeitpunkt nicht länger herauszögern, er atmete tief durch und klopfte an die Tür zum Chemiesaal.

      Kapitel 13

      »Es ist schön, mal heraus zu kommen.« sagte Constanze und lächelte entspannt. Georg und sie hatten die Burg besichtigt, es war ein strahlender Herbsttag und die Sonne bäumte sich ein letztes Mal auf und sandte ihre warmen Strahlen über das Land. »Wie gefällt es dir bei uns?« erkundigte sich Georg während sie nebeneinander den Waldweg entlang gingen. Das lichte Blau des Himmels schimmerte durch das bunte Blätterdach, die Vögel zwitscherten und ganz in der Nähe hörte man das leise Plätschern eines Baches. »Es gefällt mir sehr gut. Das Arbeiten mit den Schülern ist angenehm, die Kollegen sind nett.« Sie stockte kurz und biss sich auf die Lippen. Ihr fiel die Auseinandersetzung zwischen Horst Falkenbach und Ludwig Oswald ein, welche sie unfreiwillig belauscht hatte. Sollte sie Georg direkt darauf ansprechen? Doch noch bevor sie zu einer Entscheidung gekommen war, stellte Georg die nächste Frage: »Wo warst du eigentlich vorher?« »Meine Referendarstelle hatte ich am Hildebrand-Gymnasium in M.« »Dieses Musikgymnasium? Ich habe schon viel von dieser Schule gehört, wie ist es da so?« »Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt, ich hatte zwei gute Mentoren und der Rest des Kollegiums war auch super. Dort stand die Musik auch an erster Stelle und ich habe unheimlich viel gelernt.« »Stimmt es, das diese Schule drei Chöre hat?« »Vier sogar.« erklärte Constanze: »Den Kinderchor, den gleichstimmigen Jugendchor, den gemischten Chor und den Kammerchor. Für die letzten beiden hatte ich im zweiten Jahr die Korrepetition übernommen. Es hat sehr viel Spaß gemacht.« Constanze lächelte versonnen, als sie sich an die letzten zwei Jahre erinnerte. Georg betrachtete sie von der Seite, ihr Lächeln faszinierte ihn. Seine Kollegin gefiel ihm, sehr sogar und er ertappte sich bei dem Gedanken, dass er sich längst mehr wünschte als Freundschaft. Doch durfte er es überhaupt wagen, ein solches Ansinnen zu stellen? Sie wusste nichts von seiner Vergangenheit, seiner Schuld, die Tag für Tag auf ihm lastete und er war sich auch nicht sicher, ob er wollte, dass sie jemals davon erfuhr. Doch noch ein anderes Gefühl regte sich in ihm, er glaubte, alles besser ertragen zu können, wenn sie an seiner Seite war. Er zögerte einen Moment, dann nahm er vorsichtig ihre Hand in seine. Sie zog sie nicht weg, was ihn in seinem Vorhaben bestärkte. »Conny, ich...« »Ja?« Sie sah ihn mit ihren blauen Augen direkt an. Georg holte tief Luft und gab sich einen Ruck: »Ich mag dich sehr. Du hast mich vom ersten Tag an fasziniert, von der Minute an, in der ich dich beinahe über den Haufen gerannt hätte.« Constanze konnte nicht anders, bei dem Gedanken an ihren ersten Zusammenstoß in der Eingangshalle der Schule, musste sie grinsen. »Was gibt es denn da zu lachen?« fragte Georg verunsichert. »Ich musste nur gerade an unseren Zusammenstoß denken. Sprich weiter.« »Na ja, das war es eigentlich, was ich dir sagen wollte. Was denkst du denn darüber?« Constanze spürte, dass es Georg ernst war und wurde ebenfalls ernst. »Mir geht es genauso. Ich fühle mich wohl in deiner Gegenwart. Aber lassen wir es langsam angehen, in Ordnung?« Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her und lauschten den Geräuschen, die ihre Schritte auf dem Waldboden machten. Constanze legte sich ihre nächsten Worte sehr sorgfältig zurecht, sie vertraute Georg, aber sie hatte bisher mit niemandem darüber gesprochen, das sie Zeugin einer Unterhaltung geworden war, die sicher nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war. »Was hast du?« forschte Georg, der Constanzes Zögern bemerkte. »Ich bin letzte Woche nach meiner Stunde ins Lehrerzimmer gekommen und habe eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen Ludwig und Horst mitbekommen.« Georgs Herzschlag beschleunigte sich, scheinbar ruhig fragte er jedoch: »Worum ging es denn?« »Das weiß ich nicht genau.« Constanze verzog den Mund und versuchte, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. »Es ging um eine Sache, in die beide wohl verwickelt sind und noch eine dritte Person. Es klang, als ginge es um etwas ziemlich Ernstes.« »Ach was!« versuchte Georg abzuschwächen: »Dann hätten sie das Gespräch doch nicht im Lehrerzimmer geführt, wo jederzeit jemand reinkommen konnte, so wie du eben.« »Hast du keine Ahnung, worum es gehen könnte?« Constanze blieb plötzlich stehen und sah Georg offen ins Gesicht, dieser konnte den Blick kaum erwidern und starrte schließlich auf seine Füße. »Nein, ich habe keine Ahnung. Vielleicht ging es ja gar nicht um etwas Schulisches, immerhin verkehren die beiden auch privat miteinander.« Constanze war nicht überzeugt, Georg wusste offensichtlich mehr, als er preisgab. »Hör mal.« sagte er nach einer Weile betont forsch: »Du solltest dir darüber keine Gedanken machen, sicher war es etwas Privates. Vergiss es einfach, es gibt nichts worüber du dir Sorgen machen musst, okay?« Um seine Verlegenheit zu überspielen, zog er sie schließlich mit sich und die beiden rannten zurück zum Auto. Constanze, die etwas schneller war als er, lehnte bereits am Wagen, als er ihn schließlich erreichte. Er stützte die Hände auf die Knie und atmete ein paar Mal tief durch. »Du bist gut in Form.« »Ich gehe viel joggen.« erklärte Constanze und grinste übermütig: »Am liebsten würde ich gar nicht mehr zurück fahren!« »Leider, liebe Kollegin«, sagte Georg mit übertriebenem Pathos in der Stimme: »ruft die Pflicht!«

      Kapitel 14

      Constanzes bellendes Husten war im ganzen Haus zu hören. »Du solltest im Bett liegen und nicht durch die Gegend stiefeln!« schalt Georg sie zum wiederholten Male. »Das geht nicht! Ich habe meine Stelle gerade erst begonnen, was macht das für einen Eindruck, wenn ich sofort krank mache.« »Also bisher hast du einen durchweg positiven Eindruck hinterlassen.« argumentierte Georg: »Du bist von Schülern und Lehrern einstimmig zur Vertrauenslehrerin gewählt worden und das in deinem allerersten Jahr hier und du bist ein geschätztes Mitglied im Chor. Auch die Direktorin hält eine Menge von dir. Du solltest dir momentan mehr Gedanken um deine Gesundheit machen.« »Georg, wie stellst du dir das vor?« Constanze hustete erneut, ihre Stimme klang heiser und Georg vermutete zu Recht, dass sie Fieber hatte: »In zwei Wochen sind Herbstferien, da habe ich genug Zeit, um mich auszukurieren.« Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen litt Constanze seit der ersten Andacht in der kalten Schulkapelle immer wieder unter Erkältungen mit Atemwegsinfekt, Fieber und Kopfschmerzen. Doch anstatt sich zu kurieren, hatte sie bisher keine einzige Unterrichtsstunde versäumt, obwohl ihr nicht selten gegen Ende des Tages die Stimme komplett den Dienst versagte. Allen vernünftigen Argumenten gegenüber hatte sie sich völlig unzugänglich gezeigt. »Conny, wenn du uns zusammenklappst, nützt uns das gar nichts!« startete Georg dennoch einen neuen Versuch, doch Constanze brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Georg, bitte, ich habe jetzt weder Zeit noch Nerven, dass mit dir auszudiskutieren, ich muss noch einen ganzen Stapel Arbeiten korrigieren.« Damit wandte sie sich wieder den Blättern zu, die vor ihr lagen und begann zu lesen, doch nach ein paar Minuten lehnte sie sich zurück und rieb sich die Augen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihnen, die Worte, die sie zu lesen versuchte, verschwammen vor ihren Augen und wurden wieder klarer. Ein neuer Hustenanfall schüttelte sie, sie versuchte, die Schmerzen in ihrer Brust vor ihrem jungen Kollegen zu verbergen, doch es gelang ihr nicht. »Jetzt reicht es mir!« rief er aus, als er sah, wie sehr Constanze sich quälte: »Ich bringe dich auf die Krankenstation, ob du willst oder nicht!« Constanze, die noch damit beschäftigt war, gegen den neuerlichen Hustenanfall anzukämpfen, widersprach nicht und kurz darauf betraten die beiden das Reich von Dr. Schreiber, der Schulärztin.